Für Freitag, den 28. Oktober 2016, hatte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ erneut Dinchen Franziska Büddefeld geladen. In dieser 49. Sitzung versuchte der Ausschuss nun also nachzuholen, was Monate zuvor, am 1. Juli 2016 (in der 45. Sitzung des PUA), nicht gelungen war: mit der Abteilungsleiterin des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) diejenige Zeugin zu befragen, die im April 2014 in verantwortlicher Position war, als einer ihrer früheren V-Männer, Thomas Richter, plötzlich und überraschend verstarb. Richter, der bis zu seiner Enttarnung 2012 zwei Jahrzehnte lang unter dem Arbeitsnamen „Corelli“ dem Verfassungsschutz Informationen aus der extrem rechten Szene lieferte, lebte nach Aufdeckung seiner vormaligen Spitzeltätigkeit unter dem Legenden-Namen „Thomas Dellig“, u.a. in Paderborn.
Am 4. April 2014 verstarb er unter unklaren Umständen in seiner Wohnung. Todesursache sei, so hieß es lange, eine bis dato unentdeckte Diabetes-Erkrankung. An dieser Erklärung besteht aber nicht zuletzt seit der Befragung des Diabetologen Werner Scherbaum durch den PUA erheblicher Zweifel. Scherbaum revidierte am 2.6.2016 in seiner Aussage vor dem Ausschuss seine bisherigen Kenntnisse. Die diabetische Ketozidose, die zum Tode geführt habe, könne, so Scherbaum im Juni diesen Jahres, durchaus auch künstlich erzeugt worden sein. So kann das Rattengift „Vacor“ eine solche Stoffwechselentgleisung hervorrufen, die wie ein hyperglykämisches Koma tödlich verlaufen kann. Nach der Aussage hat die Staatsanwaltschaft Paderborn weitere toxikologische Untersuchungen an den noch vorhandenen Leichenasservaten in Auftrag gegeben.
Der Tod des ehemaligen V-Mannes, der zumindest 1996 Kontakt mit Uwe Mundlos hatte, war gerade darum so bemerkenswert, da er just im April 2014 noch einmal hätte Auskunft geben sollen zu einer CD, die sein V-Mann-Führer schon 2006 von ihm erhalten haben soll. Kurz vor Richters Tod war eine weitere CD beim Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz aufgetaucht, sodass Richter hierzu angehört werden sollte. Der CD, die vor allem Grafiken und Fotos enthielt, war ein Cover mit Schriftzug NSU/NSDAP beigelegt, in einem Anschreiben zur CD war die Rede vom „Nationalsozialistischen Untergrund der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“. Lange bevor die Abkürzung NSU durch die Selbstenttarnung am 4.11.2011 bekannt wurde, wurde es bei dieser CD verwandt. Noch bevor Richter Auskunft darüber gegeben konnte, ab wann mit Übergabe der CD die Geheimdienst- oder Ermittlungsbehörden also Kenntnis von der Existenz eines „NSU“ hatten erlangen können oder wie die Entstehungszusammenhänge des Datenträgers überhaupt waren, verstarb der Ex-Spitzel.
Die Zeugin Dinchen Franziska Büddefeld hatte in ihrer Funktion als Abteilungsleiterin im BfV kurz nach Entdeckung von Richters Leichnam durch Mitarbeiter des Bundesamtes an einer Besprechung in Bielefeld teilgenommen. Hier klärten die Anwesenden Vertreter der Ermittlungs- und Justizbehörden (Polizei Bielefeld, Staatsanwaltschaft Paderborn) mit der Verfassungsschützerin, in ‚deren‘ Schutzprogramm der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Todes war, wie mit dem Toten mit dem Legendenamen Thomas Dellig und der wahren Identität des Thomas Richter umgegangen werden solle. Für dieses Treffen hatte sich der Ausschuss im Düsseldorfer Landtag schon im Juli 2016. interessiert. Büddefeld aber konnte nicht vernommen werden, da das Bundesamt für Verfassungsschutz keine Aussagegenehmigung für seine Top-Mitarbeiterin gegeben hatte. Im Ausschuss hatte das Mauern des Bundesamtes für erhebliche Irritation und Verärgerung gesorgt. Büddefeld wurde nach Absprachen mit dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU ein zweites Mal geladen. Diesmal erteilte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, eine eng gefasste Aussagegenehmigung, die sich offenbar allein auf diese Besprechung und die folgenden Entscheidungen erstreckte – wie die Befragung der Zeugin im NRW-Untersuchungsausschuss zeigen sollte.
Vernehmung Dinnchen Franziska Büddefeld
So nahm der Vorsitzende Sven Wolf (SPD) zu Beginn der Sitzung umstandslos eben diesen zu untersuchenden Zeitraum in den Blick. Denn mit Büddefeld hatte der Ausschuss nicht zuletzt die Vorgesetzte der beiden BfV-Mitarbeiter als Zeugin geladen, die den toten Thomas Richter am 7. April 2014 in dessen Wohnung in Paderborn fanden. Wer die Zeugin angerufen, von wem sie die Nachricht erhalten habe und um welche Informationen und Details es genau gegangen sei, wollte Wolf eingangs also wissen. Doch bereits auf diese erste Frage sollte es keine konkrete Antwort geben. Über mehr als, dass eine „Mitarbeiterin“ sie gegen „15 Uhr, 15.30 […]“ persönlich informiert habe, wusste Büddefeld keine Auskunft zu geben. „Rekonstruiert“ habe sie im Nachhinein, wen die BfV-Mitarbeiter, die „Corelli“ gefunden hätten, konkret benachrichtigt hätten: dass sie wohl deren direkten Vorgesetzten in Köln [im Sitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln Chorweiler] angerufen hätten. „Über Köln“ werde die Information dann an sie, die Abteilungsleiterin der Abteilung 2, Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus gekommen sein. Ob diese Informationskette „stimme“ wisse sie aber nicht. „Normalerweise“ sei dies aber der Verlauf der Weitergabe von Informationen. Inhaltlich – also etwa: „unter welchen Umständen und wie“ die BfV-Mitarbeiter Richter in dessen Wohnung aufgefunden hätten (so Wolfs Frage an die Zeugin) – habe sie gleichsam keine unmittelbar weitergeleiteten Informationen erhalten. Auch habe sie nicht nachgefragt, da die „Kollegen vor Ort“ involviert und zuständig gewesen seien. Auffallend war hier, dass die Zeugin ihre Antworten zum Teil von einem mitgebrachten Papier ablas.
Selbst und persönlich beteiligt war Büddefeld indes zwei Tage später, am 9. April 2014: Hier nahm sie an der Besprechung in Bielefeld teil. Um diese Besprechung sollte es nun im Wesentlichen in der gesamten Befragung durch die Ausschussmitglieder gehen. Sven Wolf machte als Vorsitzender den Anfang. Er fragte nach Gegenstand und Gesprächsinhalt des Zusammentreffens von Oberstaatsanwaltschaft, Beamt_innen der Mordkommission und ihr, Büddefeld, als Abteilungsleiterin des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ja, sie und „meine Kollegen“ [es blieb unklar, ob sie damit die beiden BfV-Mitarbeiter meinte, die Richter gefunden hatten]seien anlässlich des Todes von Richter TeilnehmerInnen der Besprechung in Bielefeld gewesen. Das BfV nahm teil, da der Tote als „ehemalige V-Person“, der unter einer Legenden-Identität in Paderborn lebte, „unsere Schutzperson war“. Das war „der Grund, warum uns Bielefeld zu der Besprechung bat“, so Büddefeld, als habe das Polizeipräsidium in Bielefeld, unter dessen Leitung die Besprechung stattfand, eine Einladung ausgesprochen. Später sollte sich die Zeugin in diesem Punkt mit einer anderen Formulierung zur „Initiative“ für das Treffen widersprechen.
Worum war es aber am 9. April 2014 gegangen? Ein „Zusammenlegen der beiden Identitäten“ habe im Raum gestanden – „Beerdigungsansprüche“ hätten geklärt werden müssen: unter welchem Namen sollte Thomas Richter bestattet werden? Das BfV hatte, schilderte Büddefeld, allerdings ein eigenes Interesse: die Spuren der „Rolle [des BfV]in seinem [Richters] Leben“ zu beseitigen, „Eigentum des BfV zurück[zu]erhalten“ und etwa „Speichermedien zu bereinigen“ bevor sie in die Hände von „Berechtigten“ (etwa den Familienangehörigen) gelangten. „Gewagt“ habe Büddefeld es, diese Bitte des BfV zu formulieren, da den Behörden in NRW durch eine Bereinigung der Speichermedien, die sich in der Wohnung Richters befanden, keine Informationen verloren gingen. Das BfV meinte, jeden Hinweis auf einen Zusammenhang löschen zu können, der den Toten mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Verbindung bringen könnte. Denn den NRW-Ermittlungs- und Justizbehörden, die den Tod „Thomas Delligs“ ermittelten, hätten zu diesem Zeitpunkt bereits alle Informationen vorgelegen: Das „Material“ sei ja bereits „gespiegelt“ worden. Sogar eine Funkzellenabfrage habe es schon gegeben. Vor diesem Hintergrund sei das Gespräch mit Polizei und Oberstaatsanwaltschaft „sehr kooperativ[…]“ gewesen.
Man habe sich jenseits dieses konkreten Anliegens der Verfassungsschützerin auch ausführlich über die Person Richters ausgetauscht. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob hierbei auch das Stichwort „NSU“ gefallen sei, antwortete die Zeugin an dieser Stelle knapp: „Ja.“
Und das familiäre Umfeld Richters? Ob Büddefeld darüber Kenntnisse gehabt habe? „Nur wenig erinnere“ sie sich hierzu, sie „glaube“, der Tote hätte zwei Brüder gehabt. Aber dessen ungeachtet hätte man in der Runde am 9. April 2014 ihr „Anliegen verstanden“.
In diese Anspielung hakte der Vorsitzende ein und wollte es noch einmal genauer wissen. Konkret fragte er die Zeugin, ob diese darauf gedrungen habe, dass Richter unter seiner Legende, d.h. auch unter seinem Tarnnamen „Thomas Dellig“ bestattet werden würde? Hier suchte Büddefeld den Eindruck zu zerstreuen, das BfV habe in dieser Austauschsitzung regelrecht darauf gedrungen, die Identität des V-Mannes „Corelli“ mit der Tarn-Identität „Thomas Dellig“ verschwinden zu lassen und Richter unter seinem Legenden-Namen zu bestatten. Auch ohne, dass der Ausschuss-Vorsitzende dies hier explizit ansprach, ging es offenkundig hier auch darum, dass die in dieser Weise getarnte Bestattung unter fremdem Namen es sogar den Angehörigen erschwert oder unmöglich gemacht hätte, vom Tod Richters zu erfahren oder jemals sein Grab finden zu können. Und ob und inwiefern das BfV ein ‚Verschwinden‘ von Thomas Richter hier in Kauf genommen oder auch beabsichtigt hatte. Verena Schäffer von Bündnis 90/Die Grünen sollte hier später konkreter werden.
Doch zunächst wiederholte Büddefeld im Folgenden ein ums andere Mal, dass das BfV eben dieses Interesse in den Ausgang des Austausches am 9.4.2014 gehabt habe und in den Raum gestellt habe, Richters Legendierung aufrecht zu erhalten und hierfür alle Hinweise auf die BfV-Arbeit und -Kontakte Richters sowie auf dessen Tarnleben im Schutzprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu tilgen. Es sei aber mehr eine Diskussion der BesprechungspartnerInnen von Bundesamt, Staatsanwaltschaft und Polizei gewesen, in der die Idee des BfV aufgegriffen worden sei. Man habe das Anliegen des Verfassungsschutzes klar formuliert. Aber: „Möglichkeiten“, die Bestattung unter dem Tarnnamen „zu erzwingen“ habe man ohnehin nicht gehabt. Am Ende der Besprechung sei man sich einig gewesen, Richter unter dem Namen „Dellig“ zu bestatten. Als der Leichnam des V-Mannes dann doch unter seinem Klarnamen bestattet werden musste, blieb, so Büddefeld, wenig weiterer Aktions- oder Verhandlungsspielraum. Die Brüder des Toten hätten sich gemeldet, habe die Oberstaatsanwaltschaft ihr wenige Tage später mitgeteilt. Die Presse habe den „Fall“ öffentlich gemacht. „Da gab‘s nichts weiter zuzustimmen oder abzustimmen. Das war einfach so.“
Bevor der Vorsitzende Sven Wolf die Fragerunde für die Ausschuss-Fraktionen öffnete, thematisierte er die Beteiligung bzw. Rolle des Verfassungsschutzes NRW. Ob „Corelli“, der im Informanten-Schutzprogramm des BfV war, auch in ein Programm der Abteilung 6/Verfassungsschutz des MIK NRW eingebunden war? Nein, dem sei nicht so.
Und die CD? Wann denn die Verfassungsschützer_innen der Bundesländer, in den Landesämtern, davon erfahren hätten, dass eine „NSU/NSDAP“-CD, die Thomas Richter 2006 an seinen V-Mann-Führer übergeben haben soll, existierte? Auch hier antwortete die Zeugin eindeutig, wohlgemerkt aber unter Angabe ihrer Erinnerung: Am 15.4.2014 – also eine knappe Woche nach Entdeckung des Leichnams von Richter, habe das Bundesamt für Verfassungsschutz im Abwehrzentrum [gemeint ist vermutlich das GTAZ, „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ mit Sitz in Berlin] vorgetragen. Alle 16 LKAs und alle 16 Landesämter für Verfassungsschutz hätten hier teilgenommen bzw. die Information von der Existenz der CD erhalten. Das, so Büddefeld, sei „der früheste Zeitpunkt, an dem die Landesämter diese Info erhalten haben können.“
In den sich anschließenden zwei Fragerunden gingen alle Fraktionen immer wieder auf die Besprechung vom 9. April 2014 ein. Heiko Hendriks (CDU) fragte etwa konkret danach, von wem die Initiative zu dem Treffen ausgegangen sei. Widersprüchlich zu ihren Einlassungen gegenüber den Fragen des Vorsitzenden formulierte die Zeugin nun klar: „Die Initiative ging vom BfV aus, der Teilnehmerkreis von der örtlichen Behörde.“ Auch Hendriks hakte außerdem noch einmal zur Frage nach, wie sie als Vertreterin des BfV bei dieser Sitzung ihre Interessen eingebracht habe. Auch hier bestand Büddefeld darauf, dass die Teilnehmenden der Besprechung vom 9.4.2014 keinem Druck des BfV ausgesetzt worden seien. Es sei – so Büddefeld – mehr ein „Brainstorming“ gewesen, bei dem man eine gemeinsame Lösung habe finden wollen. Damit grenzte sie sich von der Aussage des Oberstaatsanwaltes Ralf Meyer und dessen Aussage vor dem PUA ab, dass die Entscheidung zur Bestattung unter Tarn-Identität auf Wunsch des BfV zustande gekommen sei. Hier formulierte Büddefeld ihre Antwort erst nach einer längeren Pause: „Unser Ziel war es, die Legendierung aufrecht zu erhalten.“ Es wäre unwahr zu sagen, dass das BfV dieses Interesse nicht geäußert habe. Beeinflusst aber habe das BfV die Entscheidungsfindung nicht.
Die persönliche Verantwortlichkeit Büddefelds schien zu diesem Moment der Zeuginnen-Befragung im PUA indes nicht geklärt. So interessierte den SPD-Abgeordneten und Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, Andreas Kossiski, ob es den normalen Gepflogenheiten entsprochen habe, dass sie als Abteilungsleiterin höchstselbst an der Besprechung teilgenommen habe, wo doch auch bereits die Initiative zu dem Treffen in Bielefeld vom BfV ausgegangen sei. Allein die Frage, antwortete Büddefeld, habe sich ihr nicht gestellt. Für das Bundesamt für Verfassungsschutz sei es um einen „sehr sensible[n]Vorgang“ gegangen. Sie habe als Abteilungsleiterin die Kompetenz und Sprechfähigkeit in einer solchen Angelegenheit gehabt. „Normalerweise reden wir über sowas nicht“ – also habe sie die weitere Bearbeitung nicht delegieren wollen. Ihr Amtsleiter habe zugestimmt.
In der Befragung durch die Grünen-Abgeordnete Verena Schäffer spitzte sich die Frage nach der Konsequenz der Entscheidung, Richter als „Thomas Dellig“ zu beerdigen, noch einmal merklich zu. In Frage und Antwort lief die Aussage der Verfassungsschützerin darauf hinaus, dass es kalkuliert und in Kauf genommen worden war, dass die Angehörigen Richters durch die Bestattung „Delligs“ nie davon erfahren hätten, dass ihr Bruder (Büddefeld gab an, dass das BfV darüber informiert war, dass Richter zwei Geschwister hatte) tot ist. Auch Erbangelegenheiten – gar -Ansprüche – seien bewusst ausgeklammert worden. Verena Schäffer brachte diesen Zusammenhang knapp auf den Punkt: „Auch ein Thomas Richter muss aber doch den Meldebehörden als tot gemeldet werden. Oder lebt er weiter?“. „Das“, so Büddefeld darauf, „ist dann jetzt der Punkt, wo ich nichts sagen darf.“
Erbschaftsangelegenheiten, die Information der Familie über den Tod des Angehörigen, Persönlichkeitsrechte: über alle diese Punkte war man sich – ließe sich die Befragung Büddefelds in diesem Aspekt zusammenfassen – im Bundesamt für Verfassungsschutz bewusst, als man sich entschied, darüber hinweg zu gehen. Büddefeld wies mehrfach darauf hin, dass Thomas Richter schließlich nicht „gezwungen worden [sei], V-Mann zu werden und in ein Schutzprogramm zu gehen.“ Ihm sei „immer klar“ gewesen, „welche Folgen das hat“, gab Büddefeld an, auch wenn sie sich später darauf berief, Richter persönlich nicht gekannt zu haben und insofern auch keine Aussagen zu dessen Vorstellungen vom Ende einer V-Mann-Identität im Schutzprogramm machen könne. Eines machte sie aber mit konsequenter Härte deutlich: Der Schutz jedweder Information über Struktur und Arbeitsweise des BfV im Umgang mit V-Personen, Legenden, Tarn-Identitäten, Schutzprogrammen für Ex-V-Personen ging (und geht) für das Bundesamt für Verfassungsschutz (bis heute) vor. Das gilt auch für den „Fall Corelli“. So blieb die Zeugin dem Ausschuss alle Antworten auf Fragen schuldig, die mit der Tarn-Identität Richters nach dessen Abschaltung als Quelle zu tun hatten. Weder über dessen Aufenthaltsort noch über etwaige ärztliche Behandlungen Richters, die er als „Thomas Dellig“ wahrgenommen hatte, machte die Zeugin Aussagen. Wohl aber stellte sie in Aussicht, dass sie diesbezüglich an den Ausschuss übermittelbare Informationen recherchieren lassen wolle.
Die PolitikerInnen nahmen dieses Angebot wohlwollend zur Kenntnis, Heiko Hendriks (CDU) machte – bestärkt durch den Vorsitzenden – aber zugleich deutlich, dass der Ausschuss nun auch davon ausgehe, dass die Zeugin ihr Wort halte. Andernfalls behalte man sich vor, sie erneut zu laden.
Schärfe kam schließlich noch einmal in die Befragung, als Büddefeld sowohl seitens der SPD als auch durch Nachfrage der Grünen nach den letzten Kontaktversuchen des V-Mann-Führers von Richter zu seiner vorgeblich vormaligen Quelle gefragt wurde. Fünf Mal, so Verena Schäffer, habe dieser Richter in den Tagen vor dessen Tod anzurufen versucht. Ob es dafür eine Erklärung gäbe? Ihre Frage nach dieser unmittelbar dem Tod Richters vorausgehenden Zeit habe ja, so Schäffer, „unmittelbar mit dem Tod von Corelli zu tun“ und sei darum „auch abgedeckt mit der Aussagegenehmigung“. Ohne Umschweife ergriff der anwaltliche Zeuginnenbeistand von Dinchen Franziska Büddefeld das Mikrophon. Unmissverständlich brach er jede Frage in diese Richtung ab: „Das ist nicht Gegenstand der Befragung. Und das ist nicht in der Aussagegenehmigung der Frau Büddefeld, daher wird sie hier auch nicht Stellung nehmen können oder dürfen.“ Punkt.
Sven Wolf beendete an dieser Stelle die Befragung zu diesem Detail. Allerdings nicht, ohne zuvor darauf hinzuweisen, dass Fragen wie diejenige der Grünen-Obfrau Verena Schäffer heute zwar unbeantwortet bleiben würden. Andernorts, etwa im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, deutete Wolf an, besteht aber weiterhin die Möglichkeit, das BfV hierzu zu hören. „Wir tauschen uns sehr eng mit dem Kollegen Binninger [dem Vorsitzenden des PUA im Bundestag] aus. Wir geben diese Fragen weiter an ihn und den Bundestagsuntersuchungsausschuss. […] Wenn Sie das hier nicht beantworten, werden die Kollegen des Deutschen Bundestages Sie dazu befragen.“
Auch wenn Verena Schäffer einen letzten Fragenkomplex anfügte und – wie bereits Birgit Rydlewski für die Piratenfraktion – nach den Informationen und Bezügen der „NSU-NSDAP-CD“ fragte, die „Corelli“ übergeben habe (Büddefeld wisse hierzu nichts, sagte diese), war die Vernehmung der Verfassungsschutz-Abteilungsleiterin im Bundesamt an dieser Stelle gelaufen. Atmosphärisch war klar, dass weitere Antworten allenfalls einsilbig bleiben würden.
Fazit: Die kurze Befragung der Verfassungsschützerin war nichts desto trotz aufschlussreich. So machte Büddefeld als Vertreterin der Bundesbehörde deutlich, dass dem ‚Amt‘ der Schutz des eigenen Schutzprogramms über alles geht. Persönlichkeitsrechte eines Menschen an seinem eigenen Leichnam, rechtliche und moralische Verpflichtungen gegenüber dem Anspruch von Angehörigen, vom Tod eines Bruders zu erfahren und ggf. eine Erbfolge antreten zu können – alles dies gilt dem Bundesamt für Verfassungsschutz nichts im Vergleich zur ‚erfolgreichen‘ Verschleierung der eigenen Praxis im V-Personen-System. In den Antworten Büddefelds ergaben sich zugleich diverse Widersprüche sowie Einfallstore für weitere Fragen, die jedoch in der nicht einmal 1 ½ Stunden dauernden Zeuginnen-Befragung nicht explizit aufgegriffen wurden. So wären weitere, bohrender gestellte Fragen zur Informationspolitik des BfV zur Existenz der NSU-NSDAP-CD oder zu einer potentiellen Rolle Richters im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe u.a. (wie sie etwa „Die Grünen“ zum Ende der Befragung formuliert hatten) vielleicht zumindest insofern gut gewesen, als dass eine Nicht-Aussage Büddefelds angedeutet hätte, worauf sich die „Kollegen des Deutschen Bundestages“ einzustellen haben, wenn sie das Bundesamt hören wollen.