Sitzung vom 16. Juni 2016 – Zusammenfassung

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In der 41. Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses war als Zeuge nur der 69 jährige Rechtsanwalt Jerzy Montag geladen, der elf Jahre Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen war und für diese im Rechtsausschuss saß.

  • Jerzy Montag, Sonderermittler zum Fall Corelli

Vernehmung Jerzy Montag

Montag wies zunächst darauf hin, dass er eine sehr enge Aussagegenehmigung gemäß des Kontrollgremiumgesetzes (PKGrG) habe. Über sich selbst sagte er, dass er „Im klassischen Sinne ein ungeeigneter Zeuge“ sei, da er seine Kenntnisse allein aus der Presse und durch seine Tätigkeit als Sachverständiger erworben habe, nicht aus eigenem Hören oder Erleben. Montag wies auch mehrmals daraufhin, dass er die Identität von Thomas Richter und Corelli nicht bestätigen dürfe. Er erklärte, dass sein Untersuchungsauftrag die Vorgeschichte und das Wirken des V-Mannes Corelli bis zu seiner Abschaltung im Jahr 2012, die Umstände der Betreuungsphase bis 2014 und die Umstände des Ablebens umfasste. Aktuell ist Montag erneut vom Parlamentarischen Konkrollgremiums des Bundestag als Sachverständiger beauftragt.

Der Zeuge wurde zuerst nach den Verbindungen von Corelli nach NRW befragt. Diese unterteilte er in drei Phasen. Die erste Phase betreffe die 1990er Jahre. Corelli sei in einem Vorort von Halle geboren worden. Er habe vier ältere Brüder gehabt, die alle in der rechtsextremistischen Szene aktiv gewesen seien. In der DDR habe er die Volksschule besucht, damals das unterste Bildungsangebot, die er ohne Abschluss verlassen habe. Im Vereinigungsprozess habe er sich dann rechtsextremistischen Organisationen in Halle angeschlossen, wie der DVU, der „Halleschen Deutschen Jugend“ u. ä. Mit 16/17 habe er sich auch in einem besetzten Haus in Berlin (Weitlingstraße) „herumgetrieben“, einem Brennpunkt der rechten Szene. Dort habe er zwei ältere Männer kennengelernt. Einen „Alt-Nazi“ aus Hamburg, der sein Gewährsmann wurde und ihn immer in Schutz genommen habe, wenn innerhalb der Szene der Verdacht aufgekommen sei, er könne ein Spitzel sein. Der zweite sei Meinolf Schönborn von der „Nationalistischen Front“ (NF) gewesen. Und hier liegt, laut Montag, die erste Verbindung zu NRW.

In den 1990er Jahren sei Corelli in die NF-Zentrale nach Detmold gezogen, „seine Funktion war die des Jungen und Klempners für alles“, so Montag. Schnell sei er in die organisatorische und ideologische Führungsriege aufgestiegen. Für manche sei er der „kommende Mann“ gewesen, für andere nur ein „aufgeblasener Ballon“. Nach dem Verbot der NF durch das Innenministerium sei er an der illegalen Fortführung der NF beteiligt gewesen. Montag äußert sein Unverständnis darüber, dass die Behörden die Zentrale trotz Verbots hätten weiter bestehen lassen. Als 18-jähriger sei Corelli in der Szene sehr gut vernetzt gewesen. Das sähe man anhand eines Ereignisses am 23. Oktober 1993. Nach dem Verbot feierte Corelli seinen 19. Geburtstag in der NF-Zentrale. Zu diesem Geburtstag waren mehrere hundert Leute eingeladen. Unüblicherweise habe es eine – heute noch existierende – Einladungsliste mit Namen und Wohnort und der Rubrik Mitglied oder nicht, gegeben, die von den Anwesenden handschriftlich abgezeichnet werden musste. Dabei habe es sich um das „Who is Who“ der rechtsextremistischen Szene gehandelt. Über hundert Namen seien darauf verzeichnet, unter anderem Jan Werner, der unter Verdacht stehe, dem NSU Waffen verkauft zu haben, und zwei Musiker der Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“, mit denen Corelli befreundet gewesen sei. Die Feier endete in einer großen Randale, bei dem ein Großteil der Inneneinrichtung zertrümmert worden sei. Schließlich hätten Hundertschaften der Polizei die Feier aufgelöst. Schon einen Tag später habe Schönborn sich Corelli zur Brust genommen und ihm klargemacht, dass er für alles einzustehen habe und verklagte Corelli vor einem Zivilgericht.

Noch am Nachmittag des 24.10.1993 sei Corelli dann zum Bielefelder Staatsschutz gegangen und habe zwei Aussagen getätigt. Er wisse viel und stehe zur Verfügung, sei die eine gewesen, die zweite die, dass er aussteigen und ein bürgerliches Leben führen wolle. Der Staatsschutz Bielefeld habe ihm dem Verfassungsschutz NRW übergeben, der sein Wissen über die NF abgeschöpft habe, was zur Enttarnung und Beschlagnahmung von illegalen Lagern mit Dokumenten geführt haben soll. Corelli habe den Wunsch geäußert, nach Halle zurückzugehen. Daraufhin hätten die Behörden den Kontakt nach Sachsen-Anhalt aufgenommen und „den frischgebackenen V-Mann“ an das dortige LfV übergeben.

Montag konnte sich nicht erinnern, ob Heise und Gerlach auf der Einladungsliste gestanden hätten. Nur die Namen von Jan Werner und den beiden Musiker seien ihm noch präsent, weil diese einen Teilaspekt seiner Arbeit betrafen, nämlich das Abklopfen von Corellis Umfeld nach Kontakten zum NSU. Dazu hätten er und seine Mitarbeiter selbst ein Umfeld definiert, das aus 31 Namen bestanden habe, darunter u.a. Jan Werner.

Auf Frage erklärt er, Bezüge von Corelli zum Ku Klux Klan NRW habe er nicht gefunden, aber an Kreuzverbrennungen des KKK in Baden-Württemberg, so Montag, habe Corelli sicher teilgenommen. In einem Vorhalt erklärte die Grünen-Abgeordnete Schäffer, sie hätte in den Akten gefunden, dass gegen Marko Hugo, einen der Teilnehmer der Geburtstagsfeier von Corelli, Anfang der 1990er Jahre in einem §129-Verfahren wegen der KKK-Gruppe in Herford ermittelt worden sei. Das NSU-Trio hat Anfang der 90er Jahre an Kreuzverbrennungen des KKK in den neuen Bundesländern teilgenommen, noch vor Bestehen des NSU.

Zu Johann H., Birgit Schneider oder anderer NF-Mitglieder aus Köln befragt, sagte der Zeuge, dass ihm diese Namen nichts sagen würden. Er gehe aber davon aus, dass Corelli massenhaft Kontakte hatte, da er bundes- und europaweit vernetzt gewesen sei von Großbritanien bis hin zu Kontakten in die USA. Corelli habe sich ausschließlich im braunen Sumpf aufgehalten, jede Demo, jedes Event und jedes illegale Treffen besucht und dort fotografiert. Montag ist sich sicher, dass die Szene nicht aus hunderttausenden Leuten bestehe, sondern überschaubar sei. So bestände durchaus die Möglichkeit, dass Corelli dem NSU-Trio begegnet sei.

Konkrete Namen dürfe er nicht bestätigen, so Montag, auf die Frage, ob einer der beiden erwähnten Musiker von „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ Jens Hessler gewesen sei. Die Grüne-Abgeordnete erklärte, dass sie Hinweise gefunden habe, dass der Chemnitzer NSU-Helfer Hendrik Lasch als „Strohmann“ von Hessler gedient habe.

Montag habe das LfV NRW um die Protokolle der „Abschöpfung“ von Corelli gebeten, diese aber nicht bekommen. Bei welcher Behörde die Teilnahmeliste der Geburtstagsfeier von Corelli liege, dürfe er nicht sagen.

Corelli habe im Alter von 16 oder 17 auf dem Marktplatz in Halle einen fliegenden Händler für Lederwaren kennengelernt, bei dem er bis 2012 gearbeitet habe. Weil Corelli ständig mit dem Händler in ganz Deutschland unterwegs gewesen sei, sei er für ein Landesamt schwer zu führen gewesen. Deshalb habe ihn das BfV übernommen. Montag spekulierte, dass der Händler, wie auch schon Schönborn, zu den drei Vaterfiguren gehörte, die Corelli in der eigenen Familie wohl nicht gefunden habe. Ohne ihn konkret zu benennen, spielte Montag darauf an, dass es sich bei dem dritten Vaterersatz um den V-Mann-Führer von Corelli gehandelt habe. [Anm.: Der PUA will den langjährigen V-Mann-Führer vernehmen, das BfV verweigert aber eine Aussagegenehmigung.]

Den Grund, warum Corelli trotz tiefsitzender rechtsextremistischer Identität nach seiner missglückten Geburtstagsfeier zum Staatsschutz gegangen sei und den Wunsch nach einer bürgerlichen Existenz geäußert habe, sah Montag darin, dass ein 17-19jähriger eben noch nicht fertig sei. Wenn jemand in dem Alter und der Situation zu Ämtern ginge und sage, er wolle Schluss machen, müsse man diese Chance ergreifen. Das sei aber niemals passiert. Es habe zu keiner Zeit Angebote zum Ausstieg aus der Szene gegeben. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Nach Corellis Angaben zu illegalen Lagern der NF und den daraus folgenden Razzien, hätten ihn die Behörden ungefragt und unaufgefordert bezahlt. „Da hat er was gelernt“, so Montag.

Seine Rolle bei der Weiterführung der illegalen NF sei u.a. die des Mieters des Hauses in Detmold gewesen. Um die Finanzierung des Hauses zu gewährleisten habe man ein bürgerliches Mietverhältnis mit vier Mietern inszeniert, einer davon sei Corelli gewesen. Außerdem war er bei Fahnenaufmärschen dabei und in Schönborns Verlag aktiv, z. B. bei der Verschickung von Propaganda-Material über Polen.

Zur Frage, ob er die Protokolle des Staatsschutzes Bielefeld gelesen habe, antwortete Montag in Bezug auf seine Aussagegenehmigung ausweichend: „Die gibt es. Die sind da, wo sie sie nicht erreichen können.“ [Anm.: also mutmaßlich in den Beständen des BfV.]

Bezüglich des Kontaktes zum NRW-Verfassungsschutz gebe es keine schriftliche Erklärung, wie bei ordentlichen V-Leuten üblich. Er glaube nicht, dass es etwas Förmliches gegeben habe.

Vermerke über Bedenken auf Grund des geringen Alters von Corelli habe er nirgendwo gefunden. Natürlich sei Corelli als V-Mann geeignet gewesen, dem stünde aber die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber. Damals habe es dafür kein Bewusstsein gegeben, das sei heute anders. Er schließe sich der Kritik an, dass Corelli sehr lange Zeit von demselben V-Mann-Führer geführt worden sei. Das verstoße gegen die eigenen Regeln der Behörden. Ob dies rückblickend ein Fehler gewesen sei, sei eine zu komplexe Frage für eine kurze Antwort. Aus der Arbeitsbeziehung entstünden enge Kontakte und auch persönliche Beziehungen, die „dienstnützlich“ sein könnten, aber eben auch schädlich. „Theoretisch könnten die dienstlich nützlich sein. Sie könnten aber auch für die Aufgabenerfüllung schädlich sein. Dass sie es waren, sehen sie daran, dass ich seit 1 ½ Jahren tätig sein muss.“

Zu Qualifikation des V-Mann-Führers dürfe er nichts sagen. Der habe aber den normalen Ausbildungsweg beschritten. Der Hoffnung des NSU-NRW PUA-Vorsitzenden Wolf, dass BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen doch noch die Befragung des V-Mann-Führers zulasse, schloss sich Montag an und formulierte noch eine weitere Hoffnung: „Ich habe auch noch eine. Es geht um meinen aktuellen Untersuchungsauftrag, den ich jetzt zu erfüllen habe. Der wird komplementiert durch eine Strafanzeige, so dass sich Zeugen auf §55 der STPO berufen können. Das Verfahren wird bei der Staatsanwaltschaft Köln geführt, da hätte ich gerne Akteneinsicht“.
[Anm.: Montag spielt offenbar auf die Anzeige von „Die Linke“ gegen das BfV wegen Beweismittelunterdrückung an.]

Auf Nachfragen der CDU, ob die Information stimme, dass Corellis V-Mann-Führer an die Ämter herangetreten sei, mit der Forderung ihm mögliche strafrechtliche Maßnahmen vorher mitzuteilen erklärte Montag, dass zum einen der V-Mann-Führer erst 1998/1999 die Quelle übernommen habe. Vorher sei er der Stellvertreter gewesen. Montag eröffnetw den Blick auf das Selbstverständnis des Amtes: „Der Fall, den sie schildern, ist von A-Z aktenmäßig festgehalten. Das was man tat, fand man so korrekt, dass man es sogar in den Akten festgehalten hat. Das betraf aber nicht den ab 1998 zuständigen V-Mann-Führer. Aber der Vorfall ist aktenfest.“

Montag äußerte, dass es in der zweiten Phase in Corellis Leben keine Spezifika in Richtung NRW gegeben habe. Generelle Beziehungen, auch nach NRW, habe er aber sicher gehabt. Als Mitarbeiter des fliegenden Händlers sei Corelli ständig auf Achse gewesen und habe aus ganz Deutschland berichtet. Er habe Weisung des BfV gehabt, an möglichst vielen Aktivitäten teilzunehmen. NRW sei eines der größten Bundesländer. Und da hätte es viele Aktivitäten gegeben, dessen ist sich Montag sicher: „Daher bin ich felsenfest überzeugt, dass es da mannigfaltige Bezüge und Kontakte gegeben hat.“

Da diese Bezüge aber nicht sein Untersuchungsauftrag gewesen seien, könne er dazu nichts berichten. Corellis Aussagen seien aber gut dokumentiert. Er habe überdurchschnittlich viel berichtet. Während ein V-Mann in der Regel ca. 10-20 Leitz-Ordner fülle, gäbe es von Corelli 180. Auch habe dieser über viele Fähigkeiten verfügt. So habe er sich ohne Vorwissen in den Bereich Internet eingearbeitet, sei diesbezüglich ein gefragter Typ in der Szene gewesen, der sich u.a. um Serverplätze und Internetauftritte gekümmert habe. Er wäre auch derjenige gewesen, der der Szene den Tipp gegeben habe, nicht auf deutsche Server, sondern auf us-amerikanische Server auszuweichen. Er sei „unendlich busy“ gewesen und sein V-Mann-Führer habe immer für gute Computer gesorgt.

Corelli sei auch als Fotograf und Videofilmer tätig gewesen. Auf den NSU-CDs seien Sequenzen zu finden, die eindeutig von Corelli stammten z.B. von Demos aus Norddeutschland, die habe er auch auf seiner Homepage aufgestellt. Er habe auch von Konzerten und Bands berichtet, auch über „Oidoxie“.

Auf Frage der FDP sagte der Zeuge, Corelli habe keine konkreten Angaben zu Personen in NRW gemacht, denen er Anschläge zugetraut hätte. Er habe zwar auffällig viel berichtet, aber keine Informationen geliefert, um schwere Straftaten zu verhindern. Er habe sich für die Ideologie interessiert und sich mit der subkulturellen Seite der Szene beschäftigt. Er habe einen Touch zum Germanophilen gehabt. An schweren Straftatbeständen sei er nicht beteiligt gewesen. Nach 2011 sei er zu Personen bezüglich Gewalttaten befragt worden, habe aber nur ein oder zwei Personen abstrakt benannt. Ob Corelli einen Bezug zu „Combat 18“-Strukturen in Dortmund gehabt habe, wisse er nicht.

Die Frage nach konkreten Kontakten zu „Oidoxie“ sei in Bezug auf seine Aussagegenehmigung grenzwertig. Corelli habe über Konzerte und Ausschreitungen bei Konzerten berichtet, mehr dürfe er dazu nicht sagen.
Zur Frage, warum das BfV das von Corelli übergebene Magazin „Der Weisse Wolf“, Nr. 18, in dem die Danksagung an den NSU stand [Anm.: „Vielen Dank an den NSU. Es hat Früchte getragen“], zwar ausgewertet habe, dem aber nicht weiter nachgegangen sei, könne Montag nur wiedergeben, man habe dort nicht gewusst, was der NSU sei und dem Satz deswegen keine Beachtung geschenkt.

Der „Weisse Wolf“ sei ursprünglich in der JVA Brandenburg erstellt und in der Anstaltsdruckerei gedruckt worden. Erst später sei es von außerhalb herausgegeben worden, so Montag. Der Herausgeber, später Landtagsabgeordneter der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, habe einen Brief mit Geld bekommen. Darin habe gestanden: „Ihr vom „Weissen Wolf“ macht gute Aufklärungsarbeit, deswegen unterstützen wir euch“, unterschrieben mit dem NSU-Signet. Der Herausgeber habe später der Polizei erzählt, er habe keine Ahnung gehabt, was NSU sei, habe sich aber bedanken wollen und deshalb die Danksagung in der Ausgabe 18 abgedruckt.

Es spräche vieles dafür, dass Mundlos und Böhnhardt die Absender gewesen seien, da das Signet in dieser Form nur noch auf der Bekenner-DVD identisch auftauche. Nach dem 04.11.2011 habe Corelli auf Weisung Internet-Foren nach Hinweisen zum NSU durchforstet. Es habe vereinzelt Kritik und Zustimmung gegeben, aber vor allem viel Schweigen. Konkrete Namen dürfe er nicht sagen, so Montag.

1995 sei Corelli Uwe Mundlos begegnet. Der habe in einer anderen in der Nähe gelegenen Bundeswehr-Einheit gedient. Corelli habe sehr viele Arztbesuche gemacht und es sei zwar eine Hypothese, aber sehr wahrscheinlich, dass er Mundlos bei einem Sanitätsbesuch getroffen habe. Ein Kontakt sei dokumentiert. Für beide Einheiten sei eine Stelle zuständig gewesen. Montag meint, er habe sich sehr gewundert, dass beide sofort erkannt hätten, dass sie gleich tickten und Informationen ausgetauscht hätten, die man nicht gleich jedem erzählt. Corelli habe am Tag darauf seinen V-Mann-Führer informiert, der habe das verschriftlicht. Das sei der einzige dokumentierte persönliche Kontakt gewesen. Ansonsten gäbe es nur die zwei Garagenlisten. Corelli und Mundlos hätten sich darüber ausgetauscht, dass eine neue Kameradschaft in Jena gegründet worden sei, die Namen von Mitgliedern seien genannt worden. Der V-Mann-Führer habe die Namen nur phonetisch übertragen und verfälscht, beide Namen seien aber auf der Mundlos-Liste gewesen.

Auch Corellis Telefonnummer war auf der 1998 in der Garage aufgefunden Liste. Diese Nummer sei aber 1998 längst abgeschaltet gewesen. Daraus könne man die Schlussfolgerung ziehen, dass der Kontakt nicht sehr eng gewesen sei, so Montagt. Die Firmenadresse von Corelli und seiner Internetseite „Oikrach“ seien ebenfalls auf der Liste gewesen. „Oikrach“ sei die eigentliche Brücke zu Corelli gewesen.

2011 machte Corelli widersprüchliche Aussagen zu ihm vorgelegten Fotos des NSU-Trios. Zunächst bestritt er, Kenntnis von den Personen gehabt zu haben. Später hielt er es doch für möglich. Wenn man von der Richtigkeit der Aussage ausgehe, dass Corelli Mundlos tatsächlich nur einmal 1995 getroffen habe, könne es natürlich sein, dass er sich 20 Jahre später nicht mehr erinnere. Zudem habe Corelli in den 18 Jahren Zusammenarbeit mit den Nachrichtenämtern keine einzige Lüge erzählt. Er sei also absolut „nachrichtenehrlich“ gewesen, so die Einschätzung von Montag.

Er habe auch nicht den Eindruck gehabt, dass sein V-Mann-Führer, nach dem Auffliegen Corellis, versucht habe, diesen zu decken. Das BfV habe Corelli als Top-Quelle eingeschätzt. Er habe so umfangreich berichtet, dass das BfV monatelang nicht in der Lage gewesen sei, alles zu verarbeiten. Corelli habe auch aus laufenden Aktionen heraus berichtet, wodurch die Polizei direkt eingreifen konnte. In seinen Bereichen habe er alles berichtet, was er gewusst habe. Das seien aber auch Bereiche gewesen, die für das BfV uninteressant gewesen seine. Aus Bereichen, in den es um „Leben und Tod“ gegangen sein, oder um staatsgefährdende Dinge, habe Corelli wenig berichtet. Es sei schwer zu sagen, ob er vielleicht mehr gewusst habe. Seine Tendenz sei, so Montag, dass er alles berichtet habe und nachrichtenehrlich gewesen sei. Daran habe er gut verdient. Es gäbe in den Akten nur wenige Hinweise darauf, dass er Sachen ohne Erlaubnis gemacht habe. In einem Fall habe er seinen V-Mann-Führer erst drei Wochen später darüber informiert und dafür einen Rüffel bekommen. Er war persönlich sehr an einer Seite gegen „Kinderschänder“ interessiert, die aber für das BfV nicht von Interesse war. Er bekam die Weisung, die Seite zu schließen, wogegen er rebelliert habe.

Der Grund für seine Abschaltung 2003 war, dass er gegen Weisungsgrundlagen verstoßen hatte. Es ging dabei um die Produktion von CDs. Corelli durfte keine Geschäfte mit dem Verkauf von CDs machen, habe sich aber nicht daran gehalten. Sein V-Mann-Führer sei damit nicht einverstanden gewesen und setzte 2005 Corellis erneute Anschaltung durch.

Dass es angeblich keine Bezüge von Corelli zu „Combat18“ gäbe, er aber die Zeitschrift „Stormer“ an das BfV übermittelt habe, führte Montag darauf zurück, dass Corelli sich „überall“ herumgetrieben habe. Er habe die eigene Homepage „Nationaler Demo-Beobachter“ mit Fotos und Videos gehabt und sei bundesweit als der Nachrichtenmann bekannt gewesen. Er habe überall Infomaterial abgegriffen. Die Frage, woher dieses stamme, sei für Montag nicht wichtig gewesen.

Zu dem Vorhalt der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass Corelli auf einer Liste von Personen stehe, die im Februar 2012 an einem Kameradschaftstreffen in der Rheinischen Straße in Dortmund teilnahmen, konnte Montag nichts sagen. Dieser Vorfall sei ihm weder „bekannt noch erinnerlich“. Aber er gehe davon aus, dass Corelli in allen größeren Städten Ankerpunkte und Freunde gehabt habe und dass es daher gut möglich sei, dass ihn jemand mitgenommen habe. Solche Treffen seien aus Sicht des V-Mannes „Geschäftsinhalt“. In den Akten gäbe es aber keine Hinweise auf eine Mitgliedschaft, die sei nur beim KKK belegt.

Im Bericht des PKGr werde von Corelli übergebenes Fotomaterial von einer Veranstaltung des KDS Gau Rheinland erwähnt, auf dem Thomas Gerlach zu sehen sei. Auf die Frage, ob Corelli Fotos aus dem Internet oder selbsterstellte Fotos, was ja ein Hinweis auf seine Teilnahme an der Veranstaltung sei, erwidertete Montag es sei wahrscheinlich, dass Corelli selbst anwesend war und das Foto gemacht hat.

Ob Corellis Engagements zum Thema Kinderschänder und Todesstrafe ein biografisches Motiv zugrunde gelegen habe, könne Montag nicht sagen.
Nach seinem Wissen sei Corelli heterosexuell veranlagt gewesen. Sein V-Mann-Führer habe sich in Eingaben für Belange von Corelli eingesetzt, die im BfV für Kopfschütteln gesorgt hätten. Montag nannte als Beispiel, dass, als man sich 2012 für Corellis Abschaltung entschieden hatte, Corellis V-Mann-Führer vorschlug, mit Corelli zusammen zu ziehen und die Wohnung geheim zu halten. Daraufhin seien die zuständigen Beamten „im Quadrat gesprungen“.
Die Frage, welchen Charakter die Beziehung zwischen Corelli und seinem Mann-Führer gehabt habe, dürfe er nicht beantworten, so der Zeuge auf Nachfrage. Zu konkreten Zahlen über die finanziellen Zuwendungen an Corelli dürfe er ebenso nichts sagen. Es gäbe aber im BfV die Weisung, dass Zahlungen an V-Leute keinen Umfang erreichen dürfen, aus denen ein Arbeitsverhältnis abgeleitet und eingeklagt werden könne. Die Zuwendungen an Corelli hätten diese Grenze gestreift.

Zu konkreten Kontakten zu Dennis Giemsch oder Alexander Deptolla dürfe er nichts sagen, so der Zeuge auf eine Frage von Birgit Rydlewski (Piraten). Die Telefonnummer einer der Personen sei aber in einem Handy von Corelli gespeichert gewesen. Ob das vom BfV an Corelli gezahlte Geld in rechte Strukturen geflossen sei, könne man seriös nicht beantworten, da es immer eine Vermischung gebe. Corelli habe z. B. erst schwarz, dann auf Lohnsteuerkarte bei dem fliegenden Händler gearbeitet. Er habe Geld vom BfV erhalten, über die Wege dürfe er nichts sagen. Wenn er also 50 Euro bei einem Treffen gespendet habe, sei immer die Frage: „Was ist das für Geld?“ Corelli sei aber kein „Krösus“ der Bewegung gewesen. Er habe nicht als jemand gegolten, der mit größeren Beträgen ausgeholfen habe. Ein Obmann entgegnet, ein Betrag wäre öffentliche genannt worden. Dabei handele es sich um eine Gesamtsumme von ca. 200.000 Euro.

In der KKK-Gruppe Baden-Württemberg seien 15 bis 20 Personen gewesen, darunter desorganisierte, dem Alkohol zugeneigte „desparate Leute“, so der Zeuge. Sie hätten so getan, als seien sie 1000 Leute. Corelli habe da das Amt des Werbers in den neuen Bundesländern inne gehabt. Er habe allerdings nur drei Leute aus dem Osten dem KKK zugeführt. Über NRW könne er da nichts sagen, darüber wisse er nichts.

Zur dritten Phase erklärte Montag, dass im Frühsommer 2012 in Internetforen Einträge aufgetaucht seien, die Corellis Integrität in Frage stellten. Sein V-Mann-Führer habe Eingaben mit Gefährdungsszenarien gemacht. Dann sei Corelli auch noch Thema im Bundestag gewesen.

Im Sommer 2012 drangen Informationen an die Presse, der Innenminister Sachsen-Anhalt habe Journalisten mit der Bitte um Zurückhaltung informiert. Es sei daraufhin die Entscheidung gefallen, Corelli abzuschalten und zu betreuen. Im September habe man die „Legendierung“ von Corelli vollzogen. Zunächst sei er ins Ausland verbracht worden. Erneut in Deutschland, habe er einige Male die Wohnung.

Der Vorsitzende Wolf fragte, ob die „Betreuungseinheit“ im BfV über die Gefährdungslage informiert gewesen seien. Der Zeuge erklärte, die „Betreuungseinheit“ sei im BfV selbst stark abgeschottet. Die würden nicht umfassend über alles informiert.

Während Corellis Betreuungsphase habe ein V-Mann aus Hamburg dem Verfassungsschutz die Kopie einer CD, auf der der Name NSU gestanden habe, übergeben. Corelli habe diese CD dem BfV bereits 2005 übergeben. Laut Montag erzählte der Hamburger V-Mann eine recht unglaubwürdige Geschichte, nämlich, dass er zufällig, beim Aufräumen seines Speichers, dort die CD entdeckt habe, die ihm Corelli vor vielen Jahren zugeschickt habe, als der Hamburger noch kein V-Mann war. Montag meinte dazu: „Um auf dieser CD NSU zu lesen, muss man schon tief in die Inhalte der CD gegangen sein.“ Der Hamburger V-Mann habe angeblich auch das Couvert mit Corellis Absenderadresse aufbewahrt. Er habe seinen V-Mann-Führer informiert und dann seien auch die Nachrichtendienste heiß gelaufen.

Corelli sollte dazu 2014 vernommen werden, verstarb aber vorher, so dass man nicht in Erfahrung bringen konnte, woher er die CD hatte, wie viele er davon verschickt hatte und warum. Seine Betreuungseinheit sei über die Vorgänge nicht informiert gewesen. Sie sei nur für die Legendenbildung zuständig gewesen.

Corellis V-Mann-Führer habe eine Gefährdungsanalyse erstellt. Wenn abgeschaltete V-Leute gefährdet seien, gebe es eine nachwirkende Betreuungspflicht. Eine Legende für den V-Mann könnte dann auf Lebenszeit angelegt werden, oder nach einem gewissen Zeitraum wieder rückgängig gemacht werden. Darüber habe es Streit im BfV gegeben. Es sei noch nicht entschieden gewesen, ob lebenslange oder rücknehmbare Legende. So sei Corelli erst mal eine Betreuungseinheit gekommen. Von seiner Tätigkeit im rechten Milieu wusste die Betreuungseinheit nichts, so Montag.

Generell gelte, dass die Betreuung durch das BfV ein Angebot sei und die Annahme eine freie Entscheidung. Der Schutz werde nur angeboten, wenn alle alten Verbindungen gekappt würde. Das sei von Corelli nicht hundertprozentig eingehalten worden, was man aber zu Lebzeiten nicht gewusst habe.

Der Zeuge führte aus, er habe alle Akten des Todesermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft Paderborn erhaltne. Nach dem Studium der Akten habe er keinen Anlass für einen Verdacht auf Fremdverschulden gehabt. Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei müssten im Zusammenhang mit einem Strafvorwurf ermitteln. Das sei nicht der Fall, gewesen, daher sei das Verfahren eingestellt worden. Montag habe diese Entscheidung damals richtig gefunden. Er habe die Akten als Jurist und Strafverteidiger gelesen. Ein paar Dinge seien ihm falsch oder komisch vorgekommen, aber die hätten das Ergebnis im Wesentlichen nicht beeinflusst.

Montag schilderte den Tag der Todesmeldung fast wie eine Reportage: „Wir haben eine Todesmeldung, und die örtliche Polizei rückt an (Kreispolizeibehörde). Vor Ort trifft sie auf Leute, die sie klandestin beiseite ziehen un ihnen zuflüstern – wir sind vom BfV – der Tote ist eine Quelle. Das wichtigste ist, das alles geheim bleibt. Was dann passiert, ist alles aktenmäßig festgehalten.“

Dann sei eine Telefonkette in Gang gesetzt worden vom LfV zum BfV und dem Innenministerium. Montag sagte, „wie weit die Telefonate nach oben gegangen sind, weiß ich nicht.“ Und das, obwohl er darum gebeten habe, ihm die Informationen darüber zur Verfügung zu stellen. Die lapidare Antwort sei gewesen, es gäbe dazu nichts. Es sei nichts schriftliches festgehalten worden.

Noch am Abend sei dann die Präsidentin des zuständigen Polizeipräsidiums Bielefeld angerufen und aufgefordert worden, das „ganz große Besteck“ aufzufahren und den Tatort wie bei einem Kapitalvergehen durch die Mordkommission untersuchen zu lassen. Das sei dann am nächsten Morgen ab 8:45 Uhr passiert. In der Wohnung seien, so Montag, Asservate „zum Teil gesehen und notiert, zum Teil nicht fotografiert, zum Teil asserviert, zum Teil nicht asserviert“ worden. Einige der Asservate seien nicht sichergestellt worden.

Auf den Fotos seien Laptops, Mobiltelefone und zwei bis drei Festplatten zu sehen gewesen, die bis zum 15.04.2014 offensichtlich weder von der Polizei noch von der Mordkommission gefunden worden wären. Erst bei der dritten Durchsuchung durch das BKA wurden diese Dinge entdeckt. Das sei ihm „nicht besonders professionell“ erschienen, so der Zeuge.

Am 09.04. habe dann eine „nachvollziehbare Sitzung mit nicht nachvollziehbarem Inhalt“ unter Teilnahme des BfV, der Polizei und der Staatsanwaltschaft im Büro der Polizeipräsidentin in Bielefeld stattgefunden. Das BfV sei vor allem an vier Dingen interessiert gewesen. Zum einen hätten sie sofort alle schriftlichen Unterlagen, die auf Corellis Legende hinweisen könnten, haben wollen. Und zum anderen hätten sie aus Sicherheitsgründen, das Diensthandy zurück geforder, dass sie Corelli angeblich gegeben hätten. Alle Asservate hätten jedoch, nach Auskunft der Kripo und der Staatsanwaltschaft bei einem Kollegen im Nachbarzimmer gelegen. Der sei nicht mehr im Hause gewesen und nur dieser Tatsache sei es geschuldet, so Montag, dass „das BKA noch alles hat – sonst wäre vieles weg gewesen.“ Aber eins habe sich komplett als Ente erwiesen, „es gab kein Handy, das das Amt der Schutzperson gegeben habe“. Es habe sich lediglich um eine SIM-Karte gehandelt.

Als Drittes sollte Corelli, auf Wunsch des BfV, unter seinem Decknamen beerdigt werden. Es hätte eine Diskussion gegeben, ob man damit in das Erbrecht eingreife. Nach dem Einwand, es gebe eh keinen Kontakt zur Familie, stimmte die Staatsanwaltschaft dem Anliegen des BfV zu und stellte die Sterbeurkunde vom 8.4. auf Corellis Tarnpersonalien aus. Die Kripo habe einen Ausweis auf Corellis Tarnnamen bekommen, der notwendig für das Begräbnis gewesen sei. Die Kosten des Begräbnisses sollte die örtliche Gemeinde tragen. Man wollte ihr mit dem Inhalt aus Corellis Portemonnaie „unter die Arme“ greifen, so Montag.

Parallel zu den ganzen Abläufen habe der „Spiegel“ am 13.04.2014 in seiner Onlineausgabe über den Tod Corellis berichtet http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-ermittlungen-v-mann-corelli-ist-tot-a-964148.html. Daraufhin habe sich einer der Brüder Corellis am 15.4. telefonisch bei der Staatsanwaltschaft gemeldet. Diese habe dann die Polizei veranlasst, den Vorgang zu stoppen und das BfV sei angewiesen worden, die „Legende zu öffnen“. Montag schilderte den Ablauf ganz plastisch: „daraufhin ruft der Staasanwalt bei der Mordkommission an. Stopp alles zurück. Wir können nicht mehr die Beerdigung unter der Legende durchführen, alles ändern! Das Bundesamt wird angerufen und gefragt: Die Legende öffnen? Antwort: Ja! Daraufhin wird der Polizist zur Gemeinde geschickt, um die Dokumente zu ändern. Doch der legendierte Personalausweis ist schon zerschnipselt, alle anderen Dokumente wurden zurückgeholt. Am 20.4. stellt die Staatsanwaltschaft eine Urkunde aus zurückdatiert auf den 8.4. Das fand ich nicht ganz OK.“

Dies alles habe aber mit dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nichts zu tun gehabt, das er OK gefunden habe.Die Staatsanwaltschaft habe dann noch die Daten der Funkzelle gesichert. Die habe der Bundestag einsehen wollen, was ihnen aber gesetzlich untersagt gewesen sei.

Der nach Aussage von Montagt vierte und letzte Punkt, der dem BfV wichtig war: Das BfV habe am 9.4. verlangt, alle Daten von Festplatten und Laptops zu löschen, damit sie nicht missbraucht würden, sollte die Hardware in andere Hände gelangen. Die Staatsanwaltschaft habe dem zugestimmte, allerdings unter der Voraussetzung, dass eine Kopie erstellt würde. Mit diesem Auftrag seien die Geräte an die technische Abteilung der Kripo Bielefeld gegangen. Als das BKA später die Gegenstände angefordert habe, seien sie bereits im Löschvorgang gewesen, der mittendrin gestoppt werden konnte. Es sei versucht worden zu löschen, unklar sei, wie viele Daten verloren gegangen seien. Das zu klären, habe sich am Anfang sehr schwierig für Montag erwiesen, da es keine schriftlichen Protokolle der Abläufe gäbe und das BfV jegliche Verantwortung für die Löschung abgestritten habe Schließlich habe er, so der Zeuge, kraft seines Untersuchungsauftrages die Initiative ergriffen: „Ich habe die Teilnehmer des Bundesamtes vernommen. Insbesondere, weil diese Personen vor dem Gremium des Bundestages was anderes behauptet haben. Nach Klärung und Vorhalt haben die Personen mir gegenüber das dann so gesagt, wie ich es festgehalten habe.“

Nochmals auf das Thema angesprochen, von wem denn die Initiative zur Löschung der Daten und zu Corellis Beerdigung unter Tarnnamen ausgegangen sei, antwortete Montag mit einer Gegenfrage: „Die Frage ist, wem traut man es aus welchen Gründen zu?“ Seiner Ansicht nach hätte die Kripo keinerlei Interesse an einer Beerdigung unter dem Legendennamen haben können. Das hätte für sie nur Aufwand und Stress bedeutet. Außerdem wisse er definitiv, dass das aus einer anderen Ecke gekommen sei.

Zur Frage, ob das Betreuungsteam ohne Hintergrundwissen über Corelli dessen Gefährdungslage hätte einschätzen können, sagte Montag: „Nein, das konnten sie nicht“. So sei das aber im Amt organisiert. Für ihn selbst sei die Frage schwer zu beantworten, wie er selbst die Gefährdung eingeschätzt habe. Er sei erstaunt gewesen, dass es im Frühsommer 2012 auf rechtsextremistischen Seiten drei bis vier Hinweise gegeben habe, in denen sich mit Corelli beschäftigt worden sei. Die erhobenen Spitzel-Vorwürfe gingen bis auf das Jahr 1993 zurück. Er sei doch „der Typ, der die NF verpfiffen hat“. Im BfV sei das bekannt und an manchen Stellen auch aktenkundig gewesen. Bei der eher sehr allgemein klingenden Gefährdungsanalyse, die der V Mann-Führer als erstes geschrieben hätte, hätte die Bezugnahme auf diese konkreten Stellen gefehlt. Entweder seien sie dem Mann nicht wichtig gewesen oder er habe sie nicht gekannt. Corellis V-Mann-Führer hätte auch rein geschrieben, dass er die Gefahr als groß ansieht, obwohl es im rechtsextremistischen Umfeld keine historischen Beweise dafür gebe, dass enttarnte Spitzel umgebracht würden, so Montag. Verprügelt schon, aber mehr nicht. Montag meinte, der V-Mann-Führer hätte „Schutz auf Lebenszeit“ gefordert. „Die verschriftlichte Begründung hat das nicht getragen, aber sie ist dennoch von den Vorgesetzten quergezeichnet worden.“

Montag bestätigte, dass die Entscheidung, Corelli ins Ausland zu verbringen, im BfV „singulären Charakter“ gehabt habe. Auf Vorhalt eines Abgeordneten, dass Corelli auch im Kreis Steinfurt eine Wohnung gehabt habe, erklärte der Zeuge, keine der Wohnungen sei auf Dauer angelegt gewesen. Genauso, wie die letzte Wohnung in Paderborn, in der er verstorben sei. Zu seinen Aufenthaltsorten vor Paderborn dürfe er nichts sagen.

Nach seiner Enttarnung sei Corelli nicht weiter abgeschöpft worden. Grund für die Kontaktaufnahme des V-Mann-Führers mit Corelli 2014 sah Montag im psychologischen Bereich liegend. Der V-Mann-Führer habe „nicht von Corelli lassen können“ und sich für den Einzigen gehalten, der ihn wirklich schützen könne. Die Kontaktaufnahme sei gegenüber dem Amt nicht geheim gewesen, alles sei dokumentiert. Es hätte aber eigentlich nicht sein dürfen.

Zu der Frage, ob Corelli über Detailwissen verfügte, dass der Behörde hätte unangenehm werden können, sagte Montag: „Dazu hätte ich ihn gerne vernommen.“

Der Zeuge sagte, er habe sich auch die Frage gestellt, warum Corelli mit Paderborn in eine Gegend gezogen sei, in der ihn Leute hätten kennen können. Er habe sich auf Googlemaps die Gegend angesehen und festgestellt zwischen Anfang und Ende Corellis habe nur „ein Stück Heide“ gelegen. Es habe einen Verständigungsprozess über diese Frage gegeben. Corelli habe behauptet, seit NF-Zeiten nicht mehr in der Gegend gewesen zu sein. Die Wohnung sei nicht als endgültiger Wohnsitz vorgesehen gewesen, sie sollte gewechselt werden.

Warum Corelli zu seinen Brüdern, die alle in der rechtsextremen Szene aktiv gewesen seien, keinen Kontakt hatte, sei unklar. Aus den Akten gehe nichts Konkretes hervor, außer einer Bemerkung, dass die Familie zerrüttet sei und alle miteinander verfeindet wären. Lediglich beim 19.Geburtstag muss einer der Brüder anwesend gewesen sein, weil er auch auf der Liste stünde.

Bis zu dem Widerruf des Gutachtens von Scherbaum habe Montag keine Zweifel an Corellis Todesursache gehabt. Es habe keine Spuren wie Wunden oder Waffen gegeben, die auf eine Fremdeinwirkung hingedeutet hätten. Dazu das Gutachten, das besagte, dass kein Stoff existiere, der Diabetes auslösen könne. Nach einem Gespräch mit Scherbaum wisse er, dass es drei Stoffe gebe, die so einen Tod auslösen könnten. Zwei davon müssten gespritzt werden. Einer sei 1979 aus dem Verkehr gezogen worden. Selbst, wenn ein Stoff in den Asservaten gefunden würde, wäre die Frage, ob er ihn selbst genommen habe oder nicht, so Montag. Wenn ein anderer den Stoff verabreicht habe, sei die Frage, ob er einverstanden gewesen sei oder nichts davon gewusst habe. Dies zu klären, sei Aufgabe der Staatsanwaltschaft.
Nach seinem Eindruck habe die Staatsanwaltschaft ihm die Akten zu Corellis Todesumständen vollständig zugänglich gemacht, da Akten der Staatsanwaltschaft – im Gegensatz zu den Akten des BfV – paginiert seien. Die Handakten der Polizei habe er nicht gesehen, das BfV habe keine Akten zum Tod von Corelli. Nun seien aber wieder Gegenstände aufgetaucht, daher sei er jetzt vorsichtig. Er habe den Eindruck großer Kooperation gehabt und geglaubt, man habe ihm alles gezeigt. Das könne er jetzt nicht mehr sagen, daher würde er den Fall auch erneut untersuchen, so der Zeuge.

Ein Telefonkontakt kurz vor seinem Ableben habe sich, nach derzeitiger Lage, als harmlos erwiesen. Es habe sich um einen ehemaligen Nachbarn aus Leipzig gehandelt. Montag habe keine Erkenntnisse darüber, ob Corelli einen Hausarzt gehabt habe und seine Diabetes bekannt gewesen sei. Aus den Akten habe er lediglich den Vermerk, über ein aufgeschriebenes Gespräch, dass Corelli allgemein nicht gerne zu Ärzten gegangen sei. Er habe versucht, über Krankenversicherungen etwas in Erfahrung zu bringen. Es sei schwierig gewesen, dass BfV dazu zu bewegen, kooperativ zu sein. Dafür habe er ein „Restverständnis“. Eine reale Krankenversicherungskarte für eine legendierte Person zu bekommen erfordere Wege, die man nicht gerne offen lege. Die Krankenversicherung habe ihm dann bestätigt, dass aus den letzten Jahren keine Abrechnungen von Ärzten vorlägen. Daher sei er höchstwahrscheinlich nicht beim Arzt gewesen, außer er habe die Ärzte bar bezahlt.

Nach seiner Bewertung des Verhaltens des BfV befragt, sagte Montag, er könne alle Wünsche des BfV im Rahmen ihres Auftrags nachvollziehen. Es sei allerdings nicht Aufgabe anderer Behörden, auf diese Wünsche einzugehen. Das sei nicht nötig, Behörden dürften nicht gegen eigene Regularien verstoßen. Die versuchte Beerdigung unter dem Decknamen sei nicht ordnungsgemäß gewesen und hätte abgelehnt werden müssen. Auch die Rückdatierung von Urkunden durch Behörden sei falsch gewesen.

Allgemein müsse er sagen, dass es kein ideales Ermittlungsverfahren gebe. In diesem habe es aber viele Merkwürdigkeiten gegeben, wie die übersehenen Festplatten, Laptops und Handys. Auch bezüglich des Diensthandys konstatierte Montag, dass es eigentlich gar kein Diensthandy gegeben habe, sondern nur eine Dienst-SIM. Das Handy hätte Corelli sich selbst besorgt. Montag habe verfügt, dass alle Diensthandys des V-Mann-Führers und des Betreuungsteams überprüft würden. Es habe keinerlei Diskrepanzen gegeben, alles habe hundertprozentig zusammen gepasst.

Die Begründung des V-Mann-Führers für seine Kontaktaufnahme trotz Kontaktverbot sei gewesen, dass das Betreuungsteam Corelli nicht habe erreichen können. Dies muss er wohl irgendwie erfahren haben und es dann selber versucht haben, spekulierte der Zeuge. Spätestens am 30.03.14 sei seinem Vorgesetzten der Hut geplatzt, er habe dem V-Mann-Führer mitgeteilt: „Du bist am Ende“. Das sei natürlich hart für den gewesen. Aber dann wäre ja noch die larmoyante SMS von Corelli gekommen: „jetzt darf ich dich nicht mehr anrufen. Aber trotzdem noch einen schönen Abend.“

Laut der grünen Obfrau Verena Schäffer hatte die Staatsanwaltschaft Paderborn die Verbindungsdaten der Funkzellen vom 29.3.2014 bis 7.4.2014 angefordert, aber die Deutsche Telekom habe nur die Funkzellendaten ab dem 3.4.2014 geschickt. Der Zeuge Montag konnte diesen Sachverhalt nicht erklären, da er sich, „um die Zeiträume nicht gekümmert“ habe.
Spannend wurde es auch nochmal, als die Frage aufkam, wann wer im BfV von der NSU/NSDAP-CD, die im Februar 2014 dem Hamburger LfV übergeben wurde, wusste? Laut Montag hätten die Leute vom Schutzbereich dazu überhaupt nichts gewusst. Das Landesamt Hamburg habe parallel das BKA und das Bundesamt informiert. „Soweit ich mich erinnere, hat eine Abteilungsleiterin im Bereich Rechtsextremismus verfügt, dass die legendierte Quelle hierzu noch zu befragen sei. Das ist aber auf dem Weg zur Betreuungseinheit hängen geblieben und hat sich dann mit dem Tod Corellis überschnitten. Parallel hat das BKA Corelli unter Klarnamen gesucht und gefunden und wollte ihn vernehmen – auch das hat sich überschnitten mit seinem Tod.“

Schon 2005 habe Corelli dem BfV eine ähnliche CD übergeben. Die sei aber angeblich erst im Herbst 2014, also nach seinem Tod, wiederentdeckt worden. Laut der Verena Schäffer, habe das BfV bereits am 10.03.2014 erfahren, dass Corelli möglicherweise an der Herstellung der CD beteiligt gewesen sei. Dass Corellis Nachlass aus der Paderborner Wohnung im Keller des BfV lagern würden, wie von einem Abgeordneten behauptet, sei ihm, so der Zeuge, nicht bekannt. Er erklärte dazu, dass auf den Tatortfotos kaum Gegenstände zu erkennen gewesen“ seien, die dem Vermieter gehört hätten. Möglicherweise seien Dinge an die Erben übergeben worden. Zwei Brüder wären auf der Beerdigung anwesend gewesen. Der Zeuge erklärte, er habe die Sachen aus Corellis Leipziger Wohung eingesehen, dabei habe es sich um hunderte CDs, Militariabücher, „NS-durchseuchtes Material“, Schriften der SS sowie ein Fotoband zum 19. Geburts von seinen „Leipziger Kameraden“ gehandelt. Montag bezweifelte, dass örtliche Polizeibehörden oder das Innenministerium über Corellis Umzug nach NRW informiert worden seien.

Gegen 15:00 Uhr endete die Sitzung des Untersuchungsausschusses.

 

Fazit: Jerzy Montag s Vernehmung brachte einige neue Informationen zutage. Als Corelli sich 1993 dem Staatsschutz andiente, äußerte er den Wunsch auszusteigen. Dieser Wunsch wurde von den Behörden trotz des geringen Alters von Corelli ignoriert. Seine Informationen wurden abgeschöpft und Corelli wurde ungefragt dafür bezahlt. Corelli wurde sozusagen zum V-Mann erzogen. Oder, wie Montag es ausdrückt: „Da hat er was gelernt.“ In der folgenden Zeit seiner langjährigen Tätigkeit hat es zu keiner Zeit Angebote zum Ausstieg gegeben. Der erste Kontakt Corellis mit dem Verfassungsschutz war mit dem nordrhein-westfälischen. Neben Paderborn war Corelli im Rahmen des Schutzprogramms in einer Wohnung im Kreis Steinfurt untergebracht. Hier gibt es eine weitere örtliche Verbindung zu seinem Wirkungsbereich als Neonazi. Neu war auch die Information, dass Corellis V-Mann-Führer, der laut Montag „nicht von Corelli lassen konnte“, erst am 30.3.2014 die endgültige Weisung erhielt, keinerlei Kontakt mehr zu Corelli aufzunehmen. Dies war wenige Tage vor seinem Tod.
Bezüglich der Löschung von Daten von Handy-Karten, Festplatten und Laptops bestätigt Montag, dass Mitarbeiter des BfV bei Aussagen vor dem Bundestag gelogen haben. Ihre Falschaussagen widerriefen die Beamten in späteren persönlichen Vernehmungen durch Montag. Dies war bislang nicht bekannt, da Montags vollständiger Bericht an das PKGr nicht öffentlich ist und dieser Umstand im öffentlichen Teil nicht erwähnt wird. Zu den Kontakten Corellis in die NRW-Neonazi-Szene konnte Jerzy Montag wenig sagen – und wenn er etwas wusste, dann durfte er nichts sagen. Hier gabe die Abgeordneten die spannenderen Informationen heraus. So bislang nicht bekannt, dass Corelli Anfang 2012 an einem internen Kameradschaftsabend des „Nationalen Widerstands Dortmund“ teilnahm oder dass er 1993 Kontakt zu Personen des Ku-Klux-Klan Herford hatte, der eng mit der Brandenburger KKK-Gruppe des Carsten Sczepanski (alias V-Mann „Piatto“) verwoben war.

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