Protokoll der 4. Sitzung vom 3. März 2015

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Zur vierten Sitzung des Untersuchungsausschusses (PUA III) am 3. März 2015 waren im öffentlichen Teil die Sachverständigen Dr. Kati Lang, Dr. Thomas Darnstädt und Dr. Gerhard Pauli geladen. Das Thema des Hearings lautete: „Aufbau und Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden und der Justiz in NRW – Justiz“.

Um 14:03 eröffnet die Vorsitzende Nadja Lüders (SPD) die 4. Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) im Landtag NRW.

Sie begrüßt Herrn Christian Scholze, der am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel das Stück „Schmerzliche Heimat“ nach der gleichnamigen Autobiografie von Semiya Şimşek inszeniert hat, und bedankt sich für die Möglichkeit, dass Mitglieder und Mitarbeiter_innen des PUA das Stück vor zwei Wochen sehen konnten. Es sei ein besonderes Erlebnis gewesen.

Nachdem Lüders die Sachverständigen (SV), Zuschauer_innen und Pressevertreter_innen begrüßt hat, weist sie darauf hin, dass die Sitzung aus zwei Teilen besteht. Im ersten würden die Sachverständige zum Thema „Aufbau und Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden in NRW – Justiz“ gehört. Im Anschluss daran folgt ein zweiter, nicht-öffentlicher Teil der Ausschusssitzung. Ziel sei es, neue Erkenntnisse über genauere Strukturen, Aufbau, Zuständigkeiten und die Arbeitsweise der Justiz zu erlangen und diese mit den Sachverständigen zu erörtern. Die SV seien geladen worden, auch weil sie nicht am NSU-Verfahren beteiligt seien. Daher sollten sie vor allem ihre persönlichen Eindrücke vermitteln. Das sei auch deshalb wichtig, da beim letzten Hearing (Anmerkung der Red.: am 27.1.2015) eine Sachverständige ausgeschlossen worden sei, da diese als mögliche Zeugin in Betracht komme, da sie „unmittelbare Wahrnehmungen“ gehabt habe. Daher erinnert Lüders die SV, aber auch die Zuschauer_innen daran, dass sie, sollten sie als mögliche Zeug_innen im PUA in Frage kommen, nicht an der Sitzung teilnehmen dürften.

Vor der Befragung der Sachverständigen erklärt Lüders, dass sich der Ablauf des Hearings im Vergleich zu den beiden letzten Hearings geändert habe. Jede Fraktion könne immer nur eine Frage an einen Sachverständigen stellen. Sie bittet die SV, Fragen nicht mehrfach zu beantworten, sondern nur jeweils die an sie gerichtete Frage, um Wiederholungen zu vermeiden.

Lüders weist darauf hin, dass Bild- und Tonaufnahmen untersagt sind und informiert darüber, dass die Sitzung durch den Protokollarischen Dienst des Landtages in einem Wortprotokoll festgehalten wird. Sie bemerkt, dass ihr beim Gegenzeichnen der bisherigen Protokolle aufgefallen sei, wie viel Arbeit das Protokollieren bedeute und bedankt sich beim Protokollarischen Dienst.

Lüders entschuldigt sich, dass sie diesmal nicht viel reden werde, da sie erkältet sei. Sie bitte die SV, sich kurz vorzustellen.

Dr. Thomas Darnstädt arbeitet seit über 30 Jahren als Journalist beim „Spiegel“ in Hamburg, er ist promovierter Jurist mit zwei Staatsexamen. Schwerpunkt Staatsrecht. Er kenne daher die Arbeit von Justizbehörden von innen wie auch von außen. Darnstädt hat mehrere Bücher zum Thema Polizei und Justiz verfasst. Sein letztes Buch „Der Richter und sein Opfer. Wenn die Justiz sich irrt“ handelt vom Funktionsversagen der Justiz.

Lüders ist angetan von seiner kurzen und prägnanten Vorstellung und merkt dies gegenüber dem Auditorium an.

Dr. Gerhard Pauli studierte in Trier und promovierte über die Rechtsprechung im Dritten Reich. Mit Hinweis auf Darnstädt bemerkt er lakonisch, er habe „nur ein Staatsexamen gemacht“. Bis 1990 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Trier. Er arbeitete bei den Staatsanwaltschaften (StA) Hamm, Dortmund und Hagen. Zudem war er Leiter der Forschungsstelle Justiz und NS. Seit 2000 ist er Oberstaatsanwalt (OStA), seit 2002 leitet er die Staatsanwaltschaft Hagen und ist somit auch mit politischen Straftaten befasst. Zudem ist er dort auch als Pressesprecher tätig.

Dr. Kati Lang ist Rechtsanwältin in Sachsen. An der TU Dresden promovierte sie zum Thema „Vorurteilsbezogene Straftaten“. Über mehrere Jahre hat sie für die Opferberatung Sachsen gearbeitet und vertritt als Rechtsanwältin häufig Opfer rechter und rassistischer Gewalt.

Nach der Vorstellung der Sachverständigen beginnt die erste Fragerunde. Die Vorsitzende Lüders richtet ihre erste Frage an den SV Pauli. Sie möchte wissen, welche Aufgaben und Zuständigkeiten die Staatsanwaltschaft hat.

Pauli fasst die Aufgaben der Staatsanwaltschaft knapp zusammen: die Staatsanwaltschaft sei eine beim Landgericht angesiedelte Anklagebehörde und von Beginn an beteiligt an den Ermittlungen. Sie entscheide, ob ein Verfahren geführt oder eingestellt werde. In der Hauptverhandlung vertrete die Staatsanwaltschaft die Anklage. Dann stellt Pauli den Aufbau der Staatsanwaltschaften in NRW vor: Die Staatsanwaltschaften sind hierarchisch gegliedert. An ihrer Spitze steht auf Landesebene an den Landgerichten ein Leitender OStA. Diese wiederum sind einem Generalstaatsanwalt an einem der drei Oberlandesgerichte (OLG) unterstellt. Innerhalb dieses Aufbaus besteht ein System von Berichtspflichten und Weisungsbefugnissen. Die Staatsanwaltschaften bei den Landesgerichten nehmen auch die staatsanwaltschaftlichen Geschäfte bei den Amtsgerichten der Bezirke war. Die dienstaufsichtsführende Behörde ist das OLG. Alle Staatsanwaltschaften eines Landes sind wiederum dem Landesjustizministerium untergeordnet, die für Dienstaufsicht und Verwaltungsangelegenheiten zuständig ist.

Die erste Frage der CDU-Fraktion wird von Peter Biesenbach gestellt und richtet sich an Pauli. Biesenbach fragt nach den Zuständigkeiten der jeweiligen Staatsanwaltschaft (StA). Wenn eine StA ein Ermittlungsverfahren betreibe und die Möglichkeit bestehe, dass es einen Zusammenhang mit anderen Straftaten geben könnte, und niemand sage „Wir machen da ein Ermittlungsverfahren daraus“ – ob ein einzelner Staatsanwalt das beeinflussen könne?

Pauli wiederholt Biesenbachs Frage, um klarzustellen, ob er sie richtig verstanden hat: „Also Sie fragen nach der Zuständigkeit und den Möglichkeiten einer kritischen Prüfung? Und wer die zuständige Behörde bzw. Gericht ist?“ Es gebe Fälle mit mehreren Zuständigkeiten. Manchmal müsse man sich einigen. Aber in der Regel sei die Staatsanwaltschaft zuständig, in deren Bereich die Straftat begangen wurde. Wenn ein Staatsanwalt jedoch eine andere Behörde für zuständig halte, müsse die jeweilige Staatsanwaltschaft angefragt werden, ob sie das Verfahren übernimmt. Im Zweifelsfall entscheide die nächsthöhere Behörde, welche Staatsanwaltschaft zuständig sei.

Zwischenfrage von Biesenbach: „Und wenn die Tat länderübergreifend ist?“

Lüders merkt daraufhin an, dass doch nur eine Frage pro Fraktion ausgemacht worden sei.

Pauli antwortet aber dennoch direkt auf die Nachfrage: „Dann wird es kompliziert“. Dafür gebe es keine gesetzlichen Regelungen. Es bestehe die Möglichkeit, dass die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren übernehme oder gegebenenfalls zuteile.

Als nächstes stellt Angela Lück von der SPD die Frage danach, wie die Staatsanwaltschaft sicherstelle, dass sie wirklich sämtliches relevante Ermittlungsmaterial von der Polizei bekomme.

Pauli weist darauf hin, dass es eine klare Trennung von Staatsanwaltschaft und Polizei gebe. Die Staatsanwaltschaft übernehme allein die juristische Strafverfolgung, die Polizei die Gefahrenabwehr und die Verfolgung der Straftäter. Es sei gesetzlich festgeschrieben, dass die Polizei alles für das Verfahren relevante Material an die Staatsanwaltschaft übergeben müsse. Sollte ein Staatsanwalt den Verdacht haben, dass ihm nicht alle Materialien aus einem Ermittlungsverfahren zugänglich gemacht worden seien, müsse er sich an die/den zuständigen Polizeipräsident_in wenden, da die Staatsanwaltschaft gegenüber einzelnen Polizeibeamten nicht weisungsbefugt sei. Sie müsse die polizeiinterne Hierarchie einhalten. Eine StA könne die Polizeibehörde nicht anweisen bzgl. einzelner Beamten: „….das geht wieder von oben nach unten“, so Pauli. Seiner Ansicht nach passiere es aber selten, dass eine StA so einen Verdacht hege.

Verena Schäffer von Bündnis90/Die Grünen fragt nach dem Verhältnis zwischen der StA und Polizei. Es gebe die Kritik, dass die StA sozusagen die „Herrin des Verfahrens“ sei, die Polizei jedoch erst die Ermittlungen abgebe, wenn diese ausermittelt seien. Welche Probleme sich daraus für ein Verfahren ergäben, möchte sie wissen.

Erneut antwortet Pauli: Dass die Polizei erst ausermittele und dann an die Staatsanwaltschaft abgebe, sei keine Kritik, sondern Realität. Pauli führt weiter aus: „Die StA ist die ‚Herrin des Ermittlungsverfahrens‘. Rechtlich gesehen. Faktisch behandelt die Polizei einen großen Teil des Ermittlungsverfahrens in eigener Zuständigkeit.“ Dass die StA die Ermittlungen von Beginn an leite und begleite, werde nur bei Kapitalverbrechen angewandt – sprich, dann gehe der verantwortliche Staatsanwalt tatsächlich zum Tatort, sei bei Obduktionen dabei etc.. Eine engmaschige Verfolgung für einen breiten Ermittlungsbericht sei nicht möglich und auch nicht notwendig, allein deshalb schon, weil es auch gar nicht so viele STA s gebe, um das überhaupt leisten zu können.

Bevor die FDP ihre erste Frage stellen kann, greift die Vorsitzende Lüders kurz ein:„ Sie hören jetzt eine Stimme aus ihrem Rücken, die FDP sitzt hinter Ihnen“, woraufhin gelacht wird.

Ebenso Joachim Stamp von der FDP, der ergänzt: „Wir stehen auch hinter Ihnen.“ Stamp fragt dann nach der Einmischung der Politik in Ermittlungen. Konkret möchte er wissen: „Wie häufig mischt sich die Politik bei politischen Verfahren in die Arbeit der Staatsanwaltschaften ein?“ Und ob man das beschränken könne.

Der SV Darnstädt antwortet auf die Frage: „Eine Einmischung der Politik findet nicht statt. Offiziell.“ Das werde ausgeschlossen. Allerdings, wenn man sich Aufbau und Zuständigkeiten genauer ansehe, würde deutlich, dass die Staatsanwaltschaften weisungsgebunden seien. Schon weil sie dem Justizminister unterstehen würden. Es könnten Anweisungen vom Justizminister an die Staatsanwaltschaft als Behörde gehen und damit auch an den ermittelnden StA, so Darnstädt. Die Staatsanwaltschaften, mit denen er gesprochen habe, bestritten aber immer, dass es solche Weisungen gebe. In NRW gebe es eine besondere Situation. Da lege der Justizminister Wert darauf, „ausdrücklich keine Weisungen an die StA zu geben“. Ein anderer Punkt sei natürlich, dass allein schon durch die Tatsache, dass die StA einem Ministerium untergeordnet sei, es eine Einflussnahme geben müsse. Ein Landtag könne es nicht hinnehmen, wenn ein Justizminister einfach „weiß ich nicht“ sage. Staatsanwaltschaften seien nicht unabhängig, auch weil der Justizminister für ihre Entscheidung gerade stehen müsse.

Darnstädt hält es für problematisch, wenn sich der Justizminister, wie im Fall NRW, ganz heraushalte. Seiner Ansicht nach müsse „ein Minimum an Verantwortung“ da sein und das werde sicherlich auch in NRW wahrgenommen. Seiner Erfahrung nach sei das von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Darnstädt benennt als Beispiel Niedersachsen. Dort sei seitens der Politik massiv Einfluss auf die die Ermittlung führende StA genommen worden.

Birgit Rydlewski (Piraten) richtet ihre Frage an die SV Lang: Welche praktischen Erfahrungen sie bei Prozessen gemacht habe, bei denen Neonazis angaben, ausgestiegen zu sein, dieser Ausstieg strafmildernde Wirkung in den entsprechenden Verfahren gehabt habe und für wie glaubwürdig sie solche Aussagen eines Aussteigers erachte?

(Während der Fragestellung durch Rydlewski ertönt ein Murren aus den Reihen der CDU.)

Lang stellt, bevor sie die Frage beantwortet, klar, dass sich ihre Aussagen allein auf Prozesse in Sachsen beziehen, die sie begleitet hat. Sie sehe solche „Leumundszeugen“ kritisch, die den angeklagten Neonazis einen Ausstieg bescheinigten. Für die Opfer rechter Gewalt sei es ein Hohn, wenn angeblich ausgestiegene Neonazis wieder an Aufmärschen teilnähmen. Und sie sich dann von ihnen Sprüche wie „..hätten wir gewusst, dass du da bist, hätten wir dir was mitgebracht“ anhören müssten.

Aufgabe von Staatsanwaltschaften und Gerichten sei es, diese Angaben kritisch zu überprüfen und zu hinterfragen, ob wirklich eine ideologische Distanzierung und nicht bloß ein Rückzug ins Private stattgefunden habe. Leider würden Opfer rechter Gewalt selten von Nebenklageanwälten vertreten, die die Arbeit der Justiz kritisch und interessiert beobachteten.

Im §46 Abs. 2 StGB gehe es um die Strafzumessung. Da bestehe die Möglichkeit, eine politische Motivation der Tat strafverschärfend mit einzubeziehen oder eben auch eine Distanzierung strafmildernd zu bewerten. „Das kann nicht einfach ausgeblendet werden“, so Lang.

Lüders gibt der CDU die Möglichkeit, eine weitere Frage zu stellen. Diese hat jedoch keine Fragen.

Ibrahim Yetim (SPD) fragt beim SV Darnstädt nach, was er mit dem Zusatz „offiziell“ im Zusammenhang mit seiner Aussage „Eine Einmischung der Politik findet nicht statt“ gemeint habe.

Darnstädt antwortet: „Ich kann keine Behauptungen aufstellen, dass in NRW sich irgendjemand nicht daran hält.“ Aber seiner Ansicht nach gebe es eine „subkutane Einflussnahme“. (Anmerkung der Red.: subkutan = unter die Haut“) Als Beispiel benennt er den Fall Christian Wulff in Niedersachsen. Da sei von der Politik aus über die Staatsanwaltschaft eine Art Kreuzzug ausgegangen. Im Büro der Staatsanwaltschaft hätten sich von einem Tag auf den anderen plötzlich unzählige Kisten mit Akten vom Fall Wulff gestapelt. Was man als „subkutane“ Aufforderung an die StA verstehen könne, „letztendlich zu ermitteln“.

Es gebe eine Menge Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen, beispielsweise Berichtsanforderungen zu stellen. Gerade bei öffentlichkeitswirksamen Ermittlungsverfahren sei das der Fall, wenn der Druck der Öffentlichkeit sehr groß sei. Wenn beispielsweise der OstA von seinem zuständigen StA ständige Berichte verlange, um dem Minister Auskunft geben zu können, dann vermittelt das den Eindruck, „da guckt mir jemand über die Schulter“.

Verena Schäffer (Bündnis 90/Die Grünen) richtet ihre nächste Frage zum Themenkomplexes PMK (politisch motivierte Kriminalität) rechts an Lang. Sie interessiere, welche Rolle politisch motivierte Kriminalität bzw. Vorurteilskriminalität in der Justiz spiele, wie mit dieser Definition seitens der StA umgegangen werde und ob die Definition noch zeitgemäß sei oder überarbeitet werden müsse?

Lang holt aus: Der Bund habe 2001 einen großen Schritt gemacht, indem er „Hasskriminalität“ in das Definitionssystem aufgenommen wurde. Sie halte die Definition für gut, aber konkretisierungsbedürftig. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages habe die Überarbeitung der Definition in seine Empfehlungen aufgenommen. Nun gelte es, die Definition von „Hasskriminalität“ konkret auszuarbeiten. Gerade auch weil sie Stilblüten treibe. Zudem werde diskutiert, weitere Phänomenbereiche in die Definition aufzunehmen. NRW habe angekündigt, wenn antimuslimischer Rassismus als Merkmal nicht aufgenommenwerde, dann werde das Land dies im Alleingang durchziehen.

Dass die politische Tatmotivation im Laufe eines Gerichtsverfahrens manchmal „verschwinde“ und nicht in das Urteil einfließe, glaube sie, liege daran, so Lang, dass es eine Scheu gebe, sich im Gerichtssaal mit politischen Ebenen auseinanderzusetzen, das erfordere nämlich Haltung. Staatlicherseits müssten Richter_innen und Staatsanwält_innen bestärkt werden, für Demokratie Partei zu ergreifen, auch gegen Anwält_innen, gerade solche aus der rechten Szene.

Die Begriffe in der Definition der PMK rechts müssten genauer formuliert werden, so Lang. Der Begriff werde einfach sehr bunt verstanden in den Polizeibehörden. Um nur ein Beispiel zu nennen, der Begriff des „sozialen Status“. Einige verstünden darunter Taten gegen Obdachlose, andere bezögen jegliches Status-Merkmal mit ein, also auch Statussymbole, wie z.B. brennende Autos – selbst wenn das nicht haltbar sei, denn laut Statistik sei in 50% der Fälle brennender der Grund Versicherungsbetrug. Es fehle einfach an wissenschaftlicher Expertise. Momentan einige man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Man müsse der Polizei zugutehalten, dass sie wenigstens Kriterien habe, im Gegensatz zur Justiz. Hier brauche es vor allem auch Statistiken, auch wie mit der politischen Motivation innerhalb der Justiz, speziell in den Prozessen, umgegangen werde. Bisher verweigere sich die Justiz der Statistik. Das sei auch im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags thematisiert worden. In der Frage, ob eine Verlaufsstatistik nicht sinnvoll wäre, sei man leider noch nicht weiter. Es habe auch Untersuchungen und Statistiken gegeben. Diese endeten leider 1989. Danach habe es nur noch in zwei Ländern weiter Untersuchungen zur PMK gegeben, in Baden-Württemberg zwischen 2006 und 2008 sowie in Sachsen. Zusätzlich gebe es noch eine Studie von Backes, Mletzko und Stoye vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden, die NRW und Sachsen verglichen haben. Sie seien auch zu der Erkenntnis gekommen, dass es „mehr als unzureichend“ sei, „was Staatsanwaltschaften und Gerichte“ in puncto PMK machten.

Nehme man Sachsen als Beispiel – da tauche die von der Politei vorgenommene Kategorisierung als „politisch motivierte Kriminalität“ in 47% der Fälle bei den Anklagen nicht mehr auf. Es finde sich nichts über Hintergründe oder Motive. Vor Gericht in der Hauptverhandlung würden dann die Opfer häufig etwas zum Motiv aussagen. Deshalb wird den Protokollen der Hauptverhandlung die Motivation wieder zum Thema. Aber nur 59 % der Urteile würden Aussagen zur Tatmotivation enthalten und in nur 25 % der Urteile fließe diese Motivation in die Strafbemessung ein.

Lang schließt ihre Antwort ab mit der Forderung, es müsse dringend „etwas bei der Aus- und Fortbildung der Justiz“ in puncto PMK rechts getan werden.

Joachim Stamp (FDP) fragt Pauli und Darnstädt, wer die Verantwortung trage, wenn in Ermittlungen etwas in die falsche Richtung laufe. Und wie ihre Einschätzung sei bzgl. eklatanter Fehlentscheidungen, was Ermittlungsstränge anginge. Ob das ausschließlich die Schuld der Polizei oder ob auch der Justiz ein Vorwurf zu machen sei?

Pauli antwortet als erstes auf seine Frage: Die politische Verantwortung trügen natürlich die Politiker. Formal gesehen sei der Staatsanwalt verantwortlich bei fachlichen Fehlern innerhalb der Ermittlungen. Das sei so auch im Gesetz niedergelegt. Es gebe auch ein sogenanntes „Weisungsrecht“, das allerdings heutzutage sehr selten angewendet werde. Es könne sein, dass Anweisungen erteilt würden, Ermittlungen noch einmal aufzunehmen. Doch das „passt nicht mehr in unsere Zeit“. Wenn eine Tat Gegenstand der Berichterstattung sei, müsse der entsprechende Minister auch informiert werden, damit er reagieren könne, um zu tun, was in seiner Macht stehe, z.B. eine Umorganisation durchzuführen.

Pauli geht zudem noch auf Darnstädts Einlassungen ein: „Eine Einflussnahme, wie sie Dr. Darnstädt geschildert hat, ausgelöst durch ein Gerichtssystem – also was man sich vornimmt und was man meldet, das muss man vor allen verantworten können.“ Seiner Ansicht nach ist allerdings die Einflussnahme der Medienberichterstattung weitaus stärker als die der Politik. Einfach schon deshalb, weil es dann heiße, schnelle Aufklärungserfolge zu erzielen. Der Druck aus der Politik sei kaum spürbar und setze sich auch nicht in politische Weisungen um, dieses oder jenes zu tun.

Der SV Darnstädt nimmt Bezug auf die Frage, wer die Verantwortung trage, wenn etwas schief laufe bei den Ermittlungsverfahren. Das sei dann natürlich der Staatsanwalt, der die Ermittlungen leite. Aber der sei in einer schwierigen Situation und oftmals mit seiner Rolle überfordert. Denn offiziell habe er im Strafprozess ja die Verantwortung für die Ermittlungen, aber die Ermittlungsherrschaft liege meist bei der Polizei, ungeachtet der Kräfte und Möglichkeiten. Und diese führe die Ermittlungen selbstständig durch. Gerade bei großen Fällen könne die StA die Polizei nicht steuern. Auch weil die Polizei einfach viel mehr Möglichkeiten habe, beispielsweise all die technischen Möglichkeiten der LKAs, wie Spurensicherung, DNA-Tests, Analysen etc.. All das liege alleine in den Händen der Polizei, die auch die tatsächlichen Erfahrungen im Auswerten von Spuren habe. Also alles das, was ein StA in seiner Ausbildung nie gelernt habe. So wie Internetspurenanalysen, die Wahrscheinlichkeit von Spuren, woher die kommen könnten, Funkzellenauswertungen etc.. „Vor so etwas“, so Pauli, „steht ein gelernter Jurist ratlos“ da. Er muss einfach den gut ausgebildeten Mitarbeitern vom LKA glauben.

Rein rechtlich sei die Staatsanwaltschaft verantwortlich. Auf der anderen Seite sei sie aber einer Ermittlungsgruppe ausgeliefert, die einem ganz anderen Ministerium unterstehe, nämlich dem Innenministerium. Und damit ganz andere Aufgaben habe. Das Justizministerium und damit das ausführende Organ, die StA, sei der „Wahrheit und Gerechtigkeit“ verpflichtet. Das heißt, sie müssten auch mutmaßliche Täter unter dem Aspekt von „Wahrheit und Gerechtigkeit“ behandeln. Sie müssten vorurteilsfrei sein und dürften niemanden fahrlässig beschuldigen. Müssten also auch entlastende Dinge einbringen, die die monatelange Arbeit der Polizei möglicherweise zunichte machten. Das IM (Innenministerium) sehe das anders: Es sei der Aufklärungsquote verpflichtet und müsse regelmäßig die polizeiliche Kriminalstatistik vorlegen, nach der die Arbeit der Polizei beurteilt werde. Es müsse die Polizei effektiv einsetzen.

Somit sei die StA „doublebinded“. Sie müsse die Erwartungen der Polizei erfüllen und die ihres Dienstherren nach „Wahrheit und Gerechtigkeit“. Damit müsse sie gegebenenfalls, z.B. bei Hausdurchsuchungen, die eigene Polizei bremsen und sich gegen eine Razzia entscheiden, einfach um die Person zu schützen, auch wenn das LKA schon auf dem Weg sei. Daher sei diese Rolle, zwischen den beiden Anforderungen zu stehen, eine die er sich als schwierig vorstelle.

Birgit Rydlewski von der Piraten-Fraktion stellt eine Nachfrage, die sich auf die Erfassung von PMK-Motiven im Bereich der Justiz bezieht.

Dazu führt Darnstädt aus, dass die polizeiliche Kriminalstatistik irreführend sei, wenn es darum gehe, wie die Justiz das Thema politische Motivation im Prozess spiegele, da die Justiz das selten weiterleite. Es gebe nur Zahlen und Statistiken vom Bund, nicht aber von den Ländern. Außerdem seien diese sehr umstritten, allein schon wegen der hohen Dunkelziffer. Es gebe große Mängel im Bereich der Justiz bezüglich wissenschaftlicher Evaluation, da es sich um eine föderalistische Justiz handele. Kein Land sei bereit, sich gemeinsam mit den anderen Ländern einer kritischen Untersuchung zu stellen. „Wir haben keine Idee wie, viele Justizirrtümer es gibt“, weil jedes Land seine Daten schütze.

Zu den Forderungen von Dr. Lang fügt Darnstädt noch hinzu, da würde er sich jedoch fragen, nach all den ihm bekannten Versuchen, die es bisher zur Einbeziehung politischer Motivation als Tatbestandsmerkmal gab, ob damit wirklich sichere und rechtsstaatlich befriedigende Aussagen getroffen werden könnte.

Peter Biesenbach, Obmann der CDU äußert, dass er gerne über Darnstädts Aussage debattieren würde. Da es sich aber um ein Experten-Hearing handele und nicht um eine Debatte, stelle er seine nächste Frage an den SV Pauli. Er fragt nach den Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft, direkt Kontakt mit dem Verfassungsschutz aufzunehmen.

Pauli: „Ja, Herr Biesenbach, das ist eine sehr gute Frage“, da Norm und Realität sehr stark auseinanderfielen. Eigentlich sollen StA und VS zusammenarbeiten. In der Realität gebe es aber keine gemeinsame Arbeit. „Solche Zusammenarbeit findet nicht statt“, konstatiert Pauli. Der VS sammele, komme vorbei, nehme Einsicht in die Akten und informiere sich. Dies sei aber eine „Einbahnstraße“, denn es komme nichts zurück. Er erinnere sich an ein einziges Mal, wo ein VS-Mitarbeiter vorbeigekommen sei. Nach dem Treffen habe er sich gefragt, was das jetzt gewesen sei. Die VS-Behörden hätten außerordentliche Angst mit Behörden zusammenzuarbeiten, die dem Legalitätsprinzip unterlägen.

Darnstädt schließt sich den Ausführungen von Pauli an und ergänzt, es gebe immer wieder Streitigkeiten über die Zusammenarbeit von StA und VS. Beim Verhältnis VS – Staatsanwaltschaft liege ein grundsätzliches Problem vor, da es sich um grundverschiedene und sich widersprechende Aufgaben handele. Die, wie er sie bezeichne, „Truppen des Innenministers“, also der VS und Polizei, seien zuständig für die Gefahrenabwehr und die Prävention. Die StA sei zuständig für die Strafermittlung. Man müsse sich das Ganze wie einen Zeitstrahl vorstellen. Auf dem liege der Punkt X für die Straftat. Aufgabe der Polizei als Sicherheitsbehörde sowie die des VS lägen vor der Straftat, also vor dem X, im Bereich der Gefahrenabwehr. Sobald eine Straftat begangen sei, sei es die Aufgabe und der Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft. Also alles, was nach der Koordinate X (= Straftat) auf dem Zeitstrahl liege. Die Polizei habe dann als ermittelnde Behörde der StA bei der Strafverfolgung zu helfen. Die Aufgabe des VS liege wiederum ganz am Anfang des Zeitstrahls, sprich im Vorfeld der Gefahrenabwehr. Dass die Aufgaben von Polizei und VS in der Vergangenheit immer weiter ineinander übergegangen sind, sei „bedauerlich“ so Darnstädt.

Im Bereich der Gefahrenabwehr beim VS gelte das Legalitätsprinzip nicht. Das führe im Bereich der Justiz zu großen Schwierigkeiten, da so V-Leute geschützt seien. Danstädt schließt ab mit dem Resümee: „Ich glaube, die Strafverfolgung tut sich keinen Gefallen, wenn sie Informationen vom VS erlangen möchte. Das Personal des VS ist keine Hilfsperson der Staatsanwaltschaft und sollte sich auch nicht dazu machen lassen.“

Lüders fragt Pauli, ob es Versuche des VS gegeben habe, Einfluss auf Staatsanwaltschaften zu nehmen.

Pauli erwidert, ihm seien keine derartigen Versuche bekannt. Ein regelmäßiger Austausch zwischen StA und VS finde nicht statt.

Andreas Kossiski, Obmann der SPD, stellt an alle drei SV die Frage, ob sie Erfahrungen mit fehlenden Aussagegenehmigungen hätten und was für Möglichkeiten ein Untersuchungsausschuss habe, damit umzugehen.

Pauli: „Wenn Zeugen gehört werden, die Beamte sind, brauchen sie eine Aussagegenehmigung der Behördenleitung, für die die Beamten tätig sind.“ Es komme auch darauf an, ob es eine beschränkte oder eine komplette Aussagegenehmigung sei. Sagten die Beamten auch ohne solch eine Aussagegenehmigung aus, sei die Aussage verwertbar, „aber nicht gut für die Beamten“. Sollte eine Behörde ihren Beamten keine Aussagegenehmigungen erteilen, sei das ein komplett anderes Verfahren. Dann gilt §96 der StPO. Das ist dann verwaltungsrechtlich überprüfbar und gilt auch für V-Leute. Das wäre dann allerdings ein sehr langes Verfahren.

Lang antwortet auf Kossiskis Frage: Sie könne nichts zu Untersuchungsausschüssen sagen, Gerichte aber könnten versuchen, eine „Gegenvorstellung“ zu erheben, wenn sie nicht an die V-Leute ran kommt. Das sei aber auch schon alles. Es könne auch bei der Sperrerklärung bleiben, dann müsste dies eventuell sogar entlastend herangezogen werden. Dies sei strafprozessual unbefriedigend.

Der VS besitze nur so lange eine Legitimität wie er die Verfassung auch schützt und sie nicht unterminiert. Das ist aber eine Frage, die sich bei der Arbeit des VS immer wieder stellt. Es möge so sein, dass die VS-Behörden nicht besonders auskunftsfreudig seien. Wobei man dazu auch sagen könne, in manchen Strafverfahren hätte seitens der StA „auch einfach mal Google geholfen“. Da brauche man die Kenntnisse des VS gar nicht. Manchmal reiche auch nach Blick in die Akten ein logisches Nachhaken und ein Blick ins Umfeld. Ihr fehle oft das Engagement seitens der Staatsanwaltschaften. Davon wünsche sie sich mehr. Die Nebenklage müsse oftmals Nachermittlungen anregen. Dazu könne sie Beweisanträge stellen.

In Prozessen sei oftmals nicht der zuständige StA in der Verhandlung anwesend, sondern nur ein „Sitzungsvertreter“ mit Handakte, dem kein Vorwurf gemacht werden könne, da er nicht einmal die gesamte Akte kenne. Es sollte eigentlich relativ leicht umzusetzen sein, dass in Staatsschutz-Delikten der Staatsanwalt den Prozess führt, der die Akten kenne.

Andreas Kossiski (SPD) möchte noch von Darnstädt wissen, wie die mediale Wahrnehmung sei bzw. wie er aus journalistischer Sicht die Verweigerung von Aussagen wahrnehme.

Darnstädt stellt klar, dass er seine folgende Aussage nicht als Jurist tätige, sondern das seine private politische Meinung sei: „Ich empfinde das als einen Affront“, wenn sich die untere Behörde der Exekutive der Kontrolle des parlamentarischen Gremiums verweigert.

Verena Schäffer (Bündnis90/Die Grünen) fragt Lang nach den Ursachen dafür, dass im Laufe des Verfahrens die Einordnung bzgl. der politischen Motivation einer Tat verschwinde.

Lang meint, „dass es eine Scheu gibt, Politisches im Prozess zu benennen“. Dabei sei das möglich. Man könne sehr wohl erkennen, dass oft eine politische Motivation hinter rassistischen Taten stecke. Ein Urteil werde im „Namen des Volkes“ verkündet. Und Deutschland sei ein Rechtsstaat im politischen Sinne. Da sei es die Aufgabe, eine Tat, die aus einer Gesinnung heraus entstehe, auch als solche zu erkennen und als solche zu verurteilen. Vermittlung von Kompetenzen zur Einschätzung politischer Gesinnung in der Justiz – das fehle komplett in der Ausbildung zum Richteramt.

Es fehle staatlicherseits die Haltung, Richter_innen und Staatsanwält_innen zu bestärken, für die Demokratie Partei zu ergreifen, auch gegen Anwält_innen, z.B. aus der rechten Szene. Das sei hart, müsse aber sein. Wenn es für die Gerichtsverhandlung keine Verfügung gegen das Tragen von Symbolen aus der rechten Szene gebe, dann mache das etwas. Für die Opfer sei es scheinheilig, wenn da 20 Leute im Outfit der extremen Rechten säßen. Das schüchtere ein. Die besondere Schutzbedürftigkeit von diskriminierten und ausgegrenzten Gruppen könnte in das Gesetz einfließen, so Lang. Es gebe die Möglichkeit, etwas zu tun, zu erkennen und zu handeln. Es gebe Staatsanwaltschaften, die das tun. Aber oft fehle auch das Können. Man merke auch einfach nicht, dass der Gesetzgeber es wirklich wolle. „Und das von einem Gesetzgeber, der die besondere Schutzbedürftigkeit der Opfer festgestellt hat.“

Pauli antwortet: „Jeder Fall ist anders.“ So könne ein 17-Jähriger ohne Erfahrungen beispielsweise eine Tat mit einem politischen Motiv begangen haben, im Jugendstrafrecht stehe dann allerdings der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Das fordere Richter und Staatsanwälte: Sie müssten klar machen, wo die Grenzen sind und sie deutlich aussprechen. „Nach meiner Kenntnis geschieht das auch inzwischen.“ Andererseits gebe es aber auch Fälle, bei denen sich die politische Motivation in der Hauptverhandlung nicht herausstelle. Oft sei es eher Frustration, die in extremen Situationen freigesetzt werde. Laut Pauli seien mit 22/23 bestimmte Phasen des Lebens meist abgeschlossen. Auch das müsse man in einem Prozess wahrnehmen.

Dass keine Statistiken (bzgl. PMK) geführt würden, weist Pauli von sich: „In meinem Bezirk geschieht das.“ Man führe bei der Staatsanwaltschaft Statistiken darüber, welche Rolle der politische Hintergrund einer Tat in der Verhandlung und Verurteilung spiele, hauptsächlich im Bereich politisch motivierte Straftaten rechts/links. Diese gebe man zweimal im Jahr weiter.

Joachim Stamp von der FDP stellt eine Frage nach der Einschätzung der SV, ob Staatsschutz und Polizei für ihre Aufgaben ausreichend ausgestattet seien, ob es da Unterschiede zwischen den Ländern gebe und wo NRW da stehe.

Pauli antwortet, der Staatsschutz Hagen sei personell relativ gut ausgestattet. Ob man für alle Lagen – bspw. Demonstrationen – personell immer adäquat ausgestattet sei, sei eine andere Frage. NRW sei aber insgesamt gut ausgestattet.

Lang dazu: „Die Polizei sieht das wahrscheinlich anders“. Ihrer Einschätzung nach sei das Ineinandergreifen verschiedener Stellen noch ausbaufähig. Bei Demonstrationen wäre es beispielsweise wünschenswert und sinnvoll, wenn der Staatsanwälte mit dabei wären, um der Polizei eine Einschätzung geben zu können, ob Aussagen z.B. volksverhetzend seien.

Daraufhin Pauli: „Bei uns ist das auch so.“

Darnstädt meint, die Frage müsse lauten, ob die StA hinreichend ausgestattet sei. Die Polizei sei in den letzten Jahren technisch gut versorgt worden. Auch die rechtlichen Instrumente der Polizei seien in den letzten Jahren stark aufgerüstet worden. Das Problem sei nicht, dass die Polizisten zu wenig könnten. Er wünsche sich eine größere inhaltliche Sensibilität der mit den Ermittlungsinhalten Betrauten, „dass einer rechts und links auseinanderhalten kann. Um das etwas überspitzt zu formulieren.“ Das sei auch ein Teil der juristischen Ausbildung. Es sei einfach wünschenswert, dass auch die StA besser ausgerüstet und im Stande sei, eine bessere Einschätzung politischer Lagebilder abzugeben.

Birgit Rydlewski (Piraten) merkt an, dass die Polizei in Dortmund angekündigt habe, neue Wege einzuschlagen und alle Delikte, die von einschlägig bekannten Neonazis begangen würden, von einem Beamten bearbeiten zu lassen. Sie fragt nach der Einschätzung der Sachverständigen dazu.

Pauli antwortet, die Bildung von Sonderzuständigkeiten, vergleichbar auch mit denen im Sport, sei eine Art sicherzustellen, dass Informationen nicht verloren gingen. Dass sich ein Sachbearbeiter darum kümmere, Daten aufzuarbeiten, sei eigentlich eine gute Geschichte. Idealerweise würden diese Informationen auch an die zuständigen Staatsanwälte übergeben. Im Jugendbereich verfolgten die Staatsanwaltschaften das schon, um auch „Karrieren“ nachvollziehen zu können. Das gehe dann bis zum 21. Lebensjahr und habe positive Auswirkungen.

Die Vorsitzende fragt nach den Zuständigkeiten, wenn die Staatsanwaltschaft Hinweise bekommt, dass mehrere Länder in ein Verfahren verwickelt seien, dieses also länderübergreifend sei. Sie will wissen, wie das dann laufe, ob dann an die Generalbundesanwaltschaft übergeben werde und wer da eigentlich auf wen höre.

Pauli antwortet, es gebe da eine Sowohl-als-auch-Zuständigkeit. Man tue als StA gut daran, das an die GBA vorzubringen. Man sei sogar verpflichtet dazu, das anzuzeigen und die Akten vorzulegen. Im Allgemeinen laufe das so, dass man bei der GBA anrufe. Die Chancen, dass die das Verfahren übernehme, seien außerordentlich bescheiden. Nicht, dass die nicht arbeiten wollten, aber letztendlich sei die GBA eine kleine Behörde mit 200 Mitarbeitern. Die StA Düsseldorf sei dreimal so groß. Von diesen 200 Mitarbeitern seien 80 Staatsanwälte, die mit Revisionen beschäftigt seien. So blieben ca. 40 Staatsanwälte, die solche Ermittlungsverfahren bearbeiten könnten – für ganz Deutschland. Insofern sei die GBA stark eingeschränkt, möchte aber stets informiert sein.

Peter Biesenbach (CDU) bekundet sein Unverständnis über den Verlauf der Sitzung zum Thema Aufbau und Zuständigkeit: „wir reden von Staatsschutzdelikten und wie das aussehen könnte.“ Viele Fragen würden aus dem heutigen Wissensstand heraus erst entstehen. Seinerzeit (Anmerkung der Red.: vermutlich ist die Zeit der NSU-Morde und -Anschläge gemeint) habe man aber keine Staatsschutzdelikte gehabt. „Wir machen hier eine tolle Fragestunde, aber wir machen nicht unsere Arbeit“ Biesenbach: „Jetzt bin ich ein wenig ratlos, was soll ich denn da noch fragen“.

Zwischenruf von Verena Schäffer (Grüne), dass die CDU keinen einzigen Sachverständigen eingeladen habe.

Joachim Stamp von der FDP erwidert, er habe kein Verständnis für diese Debatte. Schließlich habe die CDU bisher wenig dazu beigetragen, Experten einzuladen. „Ich frage hier als Parlamentarier und empfinde das als sehr bereichernd.“

Die Vorsitzende bittet darum, diese Auseinandersetzung nicht vor den Sachverständigen und den Zuschauern zu führen. Sie bemerkt allerdings auch an, dass sie das Verhalten der CDU „grenzwertig“ finde. Die Obleute hätten sich viele Gedanken zum Thema gemacht und würden sich auch noch weitere machen.

Als nächster fragt Bernhard von Grünberg (SPD) nach der Strafbarkeit des Schredderns von Akten außerhalb der formalen Vernichtungszeit.

Lüders interveniert und weist von Grünberg darauf hin, dass das nicht Thema der heutigen Sitzung sein könne. Auch den Versuch einer Umformulierung der Frage durch von Grünberg lehnt Lüders ab. Grünberg darauf: „Dann ist die Frage geschreddert“, was zu allgemeinem Gelächter im Auditorium führt.

Angela Lück (SPD) fragt Pauli, bei welchem Anfangsverdacht eine StA Ermittlungen aufnähme, also welche Kriterien da ausschlaggebend seien.

Daraufhin Pauli: Sobald ein Anfangsverdacht vorliege, müsse – auf Grund des Legalitätsprinzips – die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnehmen. Sollte das nicht geschehen, wäre das Strafvereitelung. In der Realität gebe es jedoch eine Priorisierung bei der Bearbeitung von Fällen.

Die Grünen-Obfrau Schäffer fragt anschließend, ob StA im Laufe von Ermittlungen eingriffen, wenn die Ermittlungshypothesen einseitig in eine Richtung verliefen, so wie offensichtlich im Fall der Keupstraße und der Probsteigasse. „Wer hat da das Sagen? Wer greift ein und sagt beispielsweise: Halt! Stopp! Die Hypothese führt in die falsche Richtung oder so?“

Pauli antwortet, zum NSU-Verfahren könne er nichts sagen. Da sei er nicht befasst gewesen. Die Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen sei umso intensiver, je schwerwiegender die Straftat sei. In Köln sei davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft von Beginn an Teil der Ermittlungen gewesen und somit auch an der Entwicklungen von Hypothesen beteiligt gewesen sei. Sicherlich seien beide Fälle als versuchter Mord betrachtet worden. Es bestehe eine sehr hohe Aufklärungsrate bei Tötungsdelikten. Die höchste Zahl von Tötungsdelikten fuße auf Beziehungstaten. Wenn es bei einer Straftat aber keinen direkten Hinweis auf einen Täter gebe, also keine Beziehungstat vorhanden sei, sei der grundlegende Schlüssel zur Aufklärung des Verbrechens die Frage nach dem Motiv. Eben wie in einem guten Krimi. Die Ermittler hätten nur Opfer, aber keine Täter. Daher müssten sich die Ermittler die Frage stellen, wem die Tat nutze und dann müssten sie in alle Richtungen denken, so Pauli. Je enger der Staatsanwalt eingebunden sei in die Ermittlungen, desto schwieriger sei der Blick von außen auf die Tatumstände und -motive. Eine Art Tunnelblick entstehe dann.

Lang ergänzt Paulis Erläuterungen: Bei Straftaten mit rassistischem Hintergrund entstünden zusätzliche Probleme. Betroffene mit Migrationshintergrund träfen meist auf einen Beamt_innenapparat, der noch immer hauptsächlich weiß und männlich sei, also einen ganz anderen Erfahrungshintergrund habe. Zwischen Empfänger und Sender gebe es unterschiedliche Perspektiven. Von dem was A sage, komme nur noch relativ wenig bei B an. Das sei kein Vorwurf, man müsse sich nur überlegen, was man daran ändern könne oder wolle. Denk- und Erzählstrukturen von Menschen aus anderen Ländern seien nun mal unterschiedlich. Beispielsweise kenne sie das aus Afghanistan. Menschen dort hätten ganz andere Erzählstrukturen, weil sie es anders gelernt hätten. Das sollte sich ein Beamter klar machen und sich damit beschäftigen. Dann komme meist noch die Sprachbarriere beim Opfer dazu. Positiv sei zu sagen, dass sich seit der Selbstenttarnung des NSU Dinge auch positiv verändert hätten. Es gebe inzwischen Dolmetscher_innen. Bis dahin sei der Umgang damit eher gewesen: wenn kein Dolmetscher da war, dann war eben keiner da. Und dabei könne viel an wichtigen Informationen verloren gehen.

Bezüglich der Keupstraße meint Lang, dass sie die Akten nicht kenne, aber markant seien die Aussagen der Betroffenen gewesen, die von sich aus von Anfang an gesagt hätten, das sie sich die Täter nur aus der Neonaziszene vorstellen könnten.

Zu Einbindung und Eingriffsmöglichkeiten der StA meint Lang, sie kenne das nur so, dass wenn die Fälle nicht automatisch vom Staatsschutz kämen und dem aber StA auffalle, es könnte sich um eine politische Tat handeln, dann würde dieser Fall an den entsprechenden StA für Staatsschutz-Delikte abgegeben. Das funktioniere, setze aber ein Erkennen voraus. Oft herrsche aber auch Multikausalität bei einer Tat vor, der Gesetzgeber sage aber nichts zu Gewichtung von Motiven. Im Prinzip reiche es, wenn eine bestimmte Motivation mitbestimmend für Tat sei. Zumindest sei das so vorgesehen.

Von CDU FDP und SPD gibt es keine weiteren Fragen.

Die Grünen-Obfrau Schäffer richtet ihre letzte Frage an Pauli, ob es in der Ausbildung für Juristinnen und Juristen in NRW ausreichend Angebote zu den Themen Rassismus und extreme Rechte gebe.

Pauli ist es erst einmal wichtig klarzustellen, dass in der Justiz von Fortbildung und nicht von Ausbildung gesprochen werde, da angehende Staatsanwälte und Richterinnen schon ein abgeschlossenes Jurastudium hinter sich hätten. Es gebe Angebote, aber diese seien deutlich ausbaufähig. Dann zählt er eine Reihe von Maßnahmen auf: Dienstgespräche, Fortbildungen mit dem BKA etc. Dabei wird jedoch deutlich, dass es keine expliziten Ausbildungen zum Thema extreme Rechte und Rassismus gibt. Ingesamt sei das Fortbildungsangebot in NRW aber aus Sicht von Pauli verbesserungswürdig.

Lüders hakt nach, ob es verpflichtende Ausbildung gebe.

Pauli verneint, die gebe es nicht. Nur für angehende Richterinnen gebe es Pflichtvorlesungen. Vereinzelt gebe es Fortbildungen innerhalb der einzelnen Bezirke. Aber insgesamt seien alle Fortbildungen freiwillig.

Da es keine weiteren Fragen mehr gibt, bedankt sich Lüders bei den Sachverständigen und beendet den öffentlichen Teil der Sitzung gegen 16:07 Uhr.

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