Protokoll der 3. Sitzung vom 27. Januar 2015

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Zur dritten Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses (PUA III) am 27. Januar 2015 waren im öffentlichen Teil erneut Sachverständige zu einer Anhörung geladen. Nachdem eine Woche zuvor, in der zweiten Sitzung am 20. Januar 2015, die Polizeibehörden Thema gewesen sind, ging es diesmal um den Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS). Eingeladen war offiziell zum „Hearing“ zu „Aufbau und Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden und der Justiz in NRW – Verfassungsschutz“.

Um 15:05 eröffnet die Ausschuss-Vorsitzende Nadja Lüders (SPD) die Sitzung und begrüßt die Mitglieder und die geladenen Sachverständigen (SV) Prof. Dr. Hans Peter Bull, Winfried Ridder und Heike Kleffner. Der vierte geladene SV, Roland Appel, ist noch nicht anwesend. Er stehe, so Lüders, im Stau. Auch die Presse und die Zuschauer_innen werden von Lüders begrüßt. Sie kommentiert die Anwesenheit der Zuschauer_innen und der Presse mit den Worten: „sieht gut aus“. Wie in der vorausgehenden Sachverständigen-Anhörung der Vorwoche sind auch dieses Mal Vertreter_innen der Landesregierung als Zuhörende anwesend.

Zu Beginn erläutert die Vorsitzende den Ablauf der Sitzung. Diese unterteilt sich in einen öffentlichen Teil – in dem die Anhörung der Sachverständigen stattfindet – und einen anschließenden, nicht öffentlichen Teil. Anmerkungen oder Änderungsanträge zur Tagesordnung liegen nicht vor. Lüders weist sowohl die Sachverständigen als auch die Zuschauer_innen und Pressevertreter_innen darauf hin, dass Personen, die potenziell als Zeug_innen im PUA III in Frage kommen könnten, nicht an der Sitzung teilnehmen dürfen. Darüber hinaus seien Bild- und Ton-Aufnahmen der Sitzung nicht gestattet.

Die Vorsitzende bittet die Sachverständigen, sich vorzustellen.

Prof. Dr. Hans Peter Bull stellt seinen beruflichen Werdegang vor. Er sei Jurist mit Schwerpunkt Öffentliches Recht. Von 1978–1983 sei er Bundesbeauftragter für den Datenschutz gewesen, von 1973 bis 1978 habe er als Professor für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg gearbeitet. Von 1988 bis 1995 sei er Innenminister des Landes Schleswig-Holstein und damit Vorgesetzter des Landesamtes für Verfassungsschutz gewesen. Intensive und unerfreuliche Erfahrungen mit dem VS habe er als Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem ersten NPD-Verbotsverfahren gemacht. Hier habe der VS das Parteienverbot nicht unterstützt, sondern sämtliche Anträge der verschiedenen involvierten Instanzen blockiert. Jedes Mal mit der Begründung, den Quellenschutz aufrechterhalten zu wollen. Bull dazu: „Das waren Insider-Erlebnisse, die es wert sind von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen zu werden“ Diese Erfahrungen hätten ihn noch weit nach seiner Pensionierung beeindruckt. Deshalb beobachte er auch weiterhin die Arbeit des VS und verfasse Aufsätze zur Thematik.

Winfried Ridder berichtet, dass er 1969 begonnen habe, sich mit dem Thema Rechtsextremismus zu beschäftigen. Er sei damals Projektleiter für die Friedrich-Ebert-Stiftung während des Bundestagswahlkampfes gewesen. In dieser Zeit habe er eine Initiative mit angestoßen, die vor allem in NRW den Vormarsch der NPD stoppen sollte. Ziel sei gewesen, die NPD in NRW in der Bundestagswahl von 1969 unter 5% zu halten. Ridder berichtet, dass sie dies auch erreicht hätten. 1973 sei er dann als Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingestiegen. Er habe dort als „Chefauswerter“ mit der Verantwortung für die Informationen von „menschlichen“ Quellen, den V-Leuten, gearbeitet. Seiner Schilderung nach sei er bei seinem Einstieg zutiefst „naiv“ gewesen. Er sei vor allem „an Inhalten“ interessiert gewesen.

Schon früh sei er als Dozent für das BfV mit den in Folge des Abstiegs der NPD in den 1970er Jahren entstehenden rechtsterroristischen Gruppierungen befasst gewesen. Er nennt in diesem Zusammenhang die „Aktion Widerstand“, die sich mit der Parole „Brandt an die Wand“ gegen die damalige Ost-Politik gewendet hätte. Über seine Arbeit beim BfV resümiert er: „Wenn man da mal ist, bleibt man länger als man will“. Er sei am Ende 20 Jahre geblieben. Aus seinen Erfahrungen mit der Tätigkeit des VS im „Deutschen Herbst“ 1977 hätte sich seine kritische Haltung entwickelt. Er habe realisieren müssen, dass „wir“ nachrichtendienstlich keinen wesentlichen Anteil dazu beigetragen hätten, die RAF zu bekämpfen. Mitte der 1990er Jahre habe er aufgehört, für den VS zu arbeiten und sei unter anderem bei der Friedrich Ebert-Stiftung als Berater tätig gewesen. Auch seien unter seiner Mitarbeit zwei Dokumentarfilme im WDR entstanden zum Thema Verfassungsschutz. Einer habe sich mit dem Anschlag auf Alfred Herrhausen durch die RAF befasst. Sie hätten u.a. die „Spur der Bombe“ [Anm. NSU-Watch NRW: so der Titel der Dokumentation] verfolgt und mit diesen Recherchen mehr geleistet, als das BfV. Ridder sieht die Aufgaben des VS kritisch. Ridder: „Meine Hauptbotschaft ist, dass ich mir ernste Sorgen um die Leistungsfähigkeit des VS mache“.

Heike Kleffner stellt sich vor. Sie beschäftige sich seit Mitte der 1990er Jahren mit der extremen Rechten. Dabei habe sie sich im Schwerpunkt auch mit dem Aufstieg des Netzwerks „Blood&Honour“(B&H) auseinandergesetzt. Seit Anfang 2000 habe sie viel zur Neonaziszene in Thüringen recherchiert und u.a. Interviews mit einem Neonazi geführt, der aktuell in München im NSU-Prozess als Angeklagter vor Gericht steht. Von 2004 bis 2009 sei sie Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt gewesen. Inzwischen habe sie ihren Fokus darauf gelegt, dass den Perspektiven der Betroffenen rechter Gewalt mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde. Wie wichtig das sei, hätte man jetzt in München wiederum erlebt, bei der Anhörung der Betroffenen des Bombenanschlages auf die Kölner Keupstraße. Mit dem Thema VS und NSU habe sie sich darüber hinaus als parteilose Referentin der Obfrau der Linksfraktion Petra Pau im NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss auseinandergesetzt. Derzeit sei sie wissenschaftliche Mitarbeiterin von Martina Renner, Mitglied im Bundestag der Partei Die LINKE.

Der Sachverständige Appel ist nach dieser Vorstellungsrunde noch nicht anwesend, deshalb eröffnet die Vorsitzende Lüders die erste Fragerunde. Sie bittet die SV zu erläutern, wie (sinngemäß) 1.) die unterschiedlichen Bereiche Beschaffung, Auswertung und Observationen beim VS ineinander spielen? 2.) Wie die Verfassungsschutzbehörde NRW mit der Polizei und dem Staatsschutz zusammen arbeitet und wie der Austausch von statten geht?

Ridder antwortet als erster, da er, so Ridder, wohl der einzige Verfassungsschützer im Auditorium sei. Er führt aus, dass beim VS die Bereiche Beschaffung und Auswertung seit Jahrzehnten getrennt seien. Genauso lange gäbe es sprichwörtlich „Krieg zwischen ihnen“. Dies mache es den Führungsebenen schwer, operative und analytische Bereiche zusammen zu bringen. Es habe zwar immer wieder Versuche der Verzahnung gegeben aber die einzelnen Bereiche seien weitestgehend autonom und hätten „immer ein sehr schwieriges Verhältnis“ zueinander gehabt. Das Selbstverständnis der Auswertung sei, wie Ridder meint: „Wir [die Auswertung]steuern die Beschaffung. […] aber ein richtiger Beschaffer lässt sich nicht steuern“. Sie [die Auswerter_innen]gingen einen eigenen Weg. Hier liege ein „Zielkonflikt“ vor.

Lüders stellt nach Ridders Ausführungen direkt an den SV Bull gewandt die Frage, wie das Verhältnis des VS zur Polizei sei.

Bull antwortet, der Kernpunkt des problematischen Verhältnisses zwischen Polizei und VS sei, dass Polizei und VS zum Teil für dieselben Sachverhalte zuständig gewesen wären und sind. Dies sei besonders bei der Verfolgung der RAF-Terroristen deutlich geworden. Die Bundesregierung habe die Terroristen möglichst schnell ausschalten wollen, ohne Rücksicht auf die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz zu nehmen. Diverse Pannen seien die Folge gewesen, da der VS lediglich beobachten wollte, die Polizei aber zugreifen. Die Polizei sei nicht ausreichend durch den VS informiert worden. Am Ende sei es sogar zu einem Wutausbruch seitens des BKA gekommen. Das „Kernproblem“, so Bull weiter, sei die Abklärung der Zuständigkeiten der einzelnen Institutionen. Dadurch sei oft die Situation entstanden, dass einzelne Einheiten gegeneinander gearbeitet hätten. Bull beklagt die Mentalität der zuständigen Beamten, sich nicht an Regelungen zu halten, so dass Geheimhaltung auch zwischen den Behörden zu Fehlern und Versäumnissen geführt habe.

Kleffner weist zum Verhältnis zwischen VS und Polizei auf die Zeugenaussage des ehemaligen Chefs des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes Hartwig Möller vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU hin [nachzulesen unter: Öffentliches Dokument des Bundestages: Protokoll Nr. 31.].

Die SV Kleffner wird von der Vorsitzenden unterbrochen. Diese fragt bei der SV nach, ob die von ihr soeben genannten, paraphrasierten und zitierten Unterlagen öffentlich seien. Man wolle nicht schon zu Beginn des PUA Fehler machen, wie etwa den, aus nicht-öffentlichen Dokumenten zu zitieren.

Kleffner bestätigt, dass die Aussage von Hartwig Möller öffentlich sei. Sie stamme aus einem öffentlich zugänglichen Dokument des Bundestagsuntersuchungsausschusses. Kleffner führt aus: „Herr Möller hat auf etwas hingewiesen, was NRW auszeichnet“. Denn NRW habe schon früh eine Landes-IGR, also eine Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Gewalttaten, ins Leben gerufen, in der sich Vertreter des LKA, des Justizministeriums, des Innenministeriums und des VS regelmäßig getroffen hätten, um den Informationsaustausch zu verbessern. Kleffner ist der Überzeugung, dass die Ermittlungsbehörden im Fall der Verfolgung der Straftaten des NSU möglicherweise effektiver hätten arbeiten können, wenn es solche Landes-IGRs bundesweit gegeben hätte.

Das Verhältnis sei allerdings in der Praxis spannungsreich gewesen. Beispielsweise habe sich ein leitender Polizeibeamter nach dem Anschlag in der Keupstraße bei seinem Vorgesetzten über die Geheimdienste beschwert, dass diese keinerlei Beitrag geleistet hätten. Nachzulesen sei dies im Bericht des Bundestagsuntersuchungsausschuss Drucksache 17/14600, Seite 706. Als ein weiteres Beispiel nennt Kleffner die Suche nach dem „Trio“ [Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe] in Thüringen. Auch da hätte es keine bis ungenügende Informationen vom dortigen Landesamt für Verfassungsschutz gegeben.

Thomas Stotko (SPD) macht einen leisen Zwischenruf, dass hier NRW sei und nicht Thüringen.

Ridder führt ergänzend zu seiner Aussage über das Verhältnis der unterschiedlichen Bereiche innerhalb des VS aus: „wenn das interne Verhältnis von Beschaffung und Auswertung schon ein Jahrhundertproblem [ist], dann ist das Verhältnis zwischen Polizei und VS nicht zu lösen“. Der grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden Systemen läge einfach darin, dass der Nachrichtendienst im Kern langfristig denken würde und damit an kurzfristigen Erfolgen nicht interessiert sei. Das sei aber genau die Zielrichtung der Polizei. Ridder verweist auf eine Aussage des V-Manns Tino Brandt im Münchener NSU-Prozess. Brandt habe hier angegeben, dass Straftaten den VS gar nicht interessiert hätten.

In Bezug auf die Verfolgung der RAF führt Ridder aus, der VS habe damals gewusst, dass sich Terroristen der RAF in Hamburg aufhielten. Ihm sei von Vorgesetzten gesagt worden: „Herr Ridder, das ist eine VS-Operation, davon sagen wir dem Herold [meint: dem damaligen BKA-Präsidenten Horst Herold] nichts.“ Eines der heftigsten Erlebnisse sei für ihn, Ridder, 1993 der Zugriff gegen die RAF in Bad Kleinen gewesen. Da hätte es einfach ein „strukturelles Spannungsverhältnis“ gegeben. Die Generalbundesanwaltschaft habe einen Zugriff gewollt, das BKA habe zugreifen sollen. Der VS aber habe allein seine Quelle schützen wollen. Die Folge seien – in dieser Reihenfolge im Wortlaut des SV – etliche Rücktritte und zwei Tote gewesen.
Ridder ergänzt, dass jeder, der den Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses aus Thüringen lese, auf jeder zweiten Seite sehen könne, wie Polizei und VS nebeneinander und gegeneinander gearbeitet hätten. Es gäbe ein „strukturelles Problem“. Ridder schließt aus all dem: „Die Bekämpfung des Terrorismus darf nur in einer Hand liegen. Und zwar in der von der Polizei. Punkt.“

Inzwischen ist der als Sachverständiger geladene Roland Appel eingetroffen. Die Vorsitzende bittet auch ihn, sich kurz vorzustellen.

Roland Appel gibt an, dass er schon seit Jahren mit dem Thema VS beschäftigt sei. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Theologie in Tübingen habe er 1978 als Landesvorstand der deutschen Jungdemokraten auch an dem Hearing zu Horst Herold und anderen teilgenommen. Von Januar 1984 bis Mai 1990 sei er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Bundestag gewesen. Bei den Grünen habe er lange im Bereich der Kontrolle des VS mitgearbeitet. 1990 sei er als Abgeordneter in den Landtag NRW eingezogen und sei Mitglied der Ausschüsse für Innere Verwaltung, Recht der Strafvollzugskommission sowie der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKG) für den Verfassungsschutz gewesen. Neben Ströbele sei er vielleicht der älteste Kontrolleur des VS im Land.

Appel habe Indizien und Berichte über die Aktivitäten des Kampfsporttrainers Bernd Schmitt im Zusammenhang mit dem Brandanschlag 1993 in Solingen recherchiert. Laut Appel wurde die Rolle des V-Manns Schmitt und seine Rolle als Quelle nie aufgeklärt. Daraus habe er, Appel, den Schluss gezogen: „Der Einsatz von V-Männern ist nie unproblematisch.“ Es stelle sich die Frage, ob V-Leute Straftaten begehen dürften. In Bezug auf „szenetypische Delikte“ werde dies meist bejaht.

Zur Trennung der Arbeit von Polizei und VS meint er, dass schon die Einordnung schwierig sei, beispielsweise die Zuordnung von verfassungsfeindlichen Taten. Sprich: Wohin gehöre das Schmieren eines Hakenkreuzes und wohin die politisch motivierte Gewalttat? Seien diese verfassungsrechtlich oder verfassungspolitisch einzuordnen?  Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst sei eine Konsequenz aus den Erfahrungen mit der GESTAPO. Viele Bürgerinitiativen seien der Meinung, dass schon durch den Lauschangriff diese Trennung durchlöchert worden sei. Bei der Polizei würden TÜ-Maßnahmen [Telekommunikationsüberwachungs-Maßnahmen] durch einen Richter angeordnet. Keiner habe sich je überlegt, was da eigentlich mit der Rechtsstaatlichkeit passiere, bemerkt Appel fragend. Und wie effizient seien diese Handlungen wirklich? Beim Verfassungsschutz gäbe es wenigstens mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) und der G10-Kommission eine parlamentarische Kontrolle.

Zum VS-NRW merkt Appel an, dass es zu wenige wissenschaftliche Mitarbeiter gäbe. Meistens würde auf Grund von praktischen Erfahrungen der Mitarbeiter entschieden. Bei den VS-Behörden habe sich nach 9/11 der Fokus verändert. In NRW hätte man jedoch mit der Beobachtung des Rechtsextremismus nicht nachgelassen. Es seien auch Analysen gemacht worden. Zum Beispiel sei es in Bezug auf „Blood&Honour“ zumindest diskutiert worden, dass es rechten Terror geben könnte.

Lüders unterbricht den SV mit der Frage, ob seine Zeit im Parlamentarischen Kontrollgremium nicht möglicherweise dazu führe, dass er als Zeuge in Frage kommen könnte?

Appel widerspricht. Er könne durchaus trennen zwischen öffentlichen Informationen und seinem „geheimen Wissen“. So führt Appel weiter aus, ihm bereite es Sorgen, dass ein Bild erzeugt würde, dass mit noch mehr V-Leuten und noch mehr Überwachung absolute Sicherheit erzeugt werden könne. Dies sei nach seinem Dafürhalten nicht möglich. Seiner Ansicht nach könnten die Nachrichtendienste genauso wenig wie die Wissenschaftler wissen, wer was wo wann tun werde. Der Nachrichtendienst sollte im Vorfeld beobachten. Die Strafverfolgung solle die Polizei übernehmen.

Die Vorsitzende erteilt in dieser ersten Fragerunde nun der CDU-Fraktion das Fragerecht. Doch bevor man mit den Fragen der CDU fortfahren wolle, so der CDU-Obmann Peter Biesenbach (CDU), merkt er um 15:45 Uhr an, dass auch die SV Kleffner möglicherweise als Zeugin im PUA in Frage kommen könnte.

Kleffner erwidert, sie habe nur aus öffentlichen Quellen zitiert.

Die Vorsitzende Lüders schließt daraufhin die Öffentlichkeit für eine halbe Stunde von der Sitzung aus. Auf der Seite der SPD-Mitglieder wird noch vor Ausschluss der Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Der Lärmpegel schwillt an. Die Zuschauer_innen und Pressevertreter_innen verlassen den Saal. Der Ausschuss berät unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber, ob die Sachverständige Kleffner weiterhin an der Sitzung des PUA teilnehmen dürfe oder nicht. Der anwesenden Öffentlichkeit ist zu diesem Zeitpunkt nicht ersichtlich, ob auch die weitere Teilnahme des SV Appel Thema der nicht-öffentlichen Erörterung ist.

Um 16:15 Uhr öffnet die Vorsitzende die Sitzung wieder für die Öffentlichkeit. Lüders teilt mit, dass die SV Kleffner nicht weiter als Sachverständige gehört werde. Sie müsse die Sitzung verlassen, da sie im weiteren Verlauf des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses als Zeugin in Betracht käme.

Heike Kleffner verabschiedet sich und verlässt den Sitzungssaal.

Bevor die Befragung der Sachverständigen weiter geht, bittet Lüders diese darum, ihre Erläuterungen im Weiteren möglichst ohne Fallbeispiele aus der Vergangenheit zu gestalten, da die Ausschussmitglieder sich unsicher darüber wären, ob Aussagegenehmigungen vorlägen.

Die Fragerunde wird bei der CDU-Fraktion fortgeführt. Heiko Hendriks (CDU) fragt den SV Bull, ob er als Innenminister von Schleswig-Holstein die Möglichkeit gehabt hätte, „Einfluss zu nehmen“, wenn ihm Widersprüche in ihm vorliegenden Berichten von Polizei und VS aufgefallen wären. Welche Möglichkeiten habe er da als Dienstherr gehabt?

Bull erwidert, dass sich diese Frage für ihn nicht gestellt habe, da der Berichtsweg der Polizei über die Staatsanwaltschaften an das Justizministerium verliefe. Er habe auch direkt keine Berichte zu einzelnen VS-Operationen erhalten.

Hendriks (CDU) hakt noch einmal nach: Was sei im Bereich Vorberichterstattung und Prävention unternommen worden? Und gäbe es in anderen Bundesländern nicht auch die sogenannte WE- Meldung [meint als Abkürzung: Wichtige Ereignisse], wie in NRW? In NRW würden diese WE-Meldungen direkt zum Landesinnenminister geleitet.

Ridder ist der Ansicht, dass es noch kein Instrument gäbe, das sich wirklich bewährt habe. Die Behörden würden Informationen eher in die speziellen Gremien schicken. Dabei ginge es dann aber nicht um Informationsaustausch, sondern vor allem um gemeinsame Analysen. Oft würde die Arbeit aufgrund von Abwehrhaltungen scheitern. Mit der Etablierung von Gefahrenabwehrzentren sei ein Instrument geschaffen worden, mit dem die unterschiedlichen Arbeitsphilosophien unter einen Hut gebracht würden. Am Beispiel des Nagelbombenanschlages in der Keupstraße, dem größten Anschlag, den es je in NRW gegeben habe, sähe man deutlich, dass es keine Zusammenarbeit zwischen VS und Polizei gegeben habe.

Lüders unterbricht Ridders Ausführung. Sie bittet ihn darum, keine Wertungen vorzunehmen. Das sei Aufgabe des PUA. Lüders: „Bleiben sie bitte mehr an der Oberfläche“.

Heiko Hendriks (CDU) fragt nach, ob der Innenminister intervenieren könne, wenn Behörden sich rivalisierend zueinander verhalten würden.

Ridder: „Ja sicher“.

Appel macht einen tendenziellen Widerspruch zu Ridders Aussage geltend. Als Minister werde man sich nicht mit Einzelpersonen und Einzelfällen beschäftigen, das sei Aufgabe der Arbeitsebene. Die Berichte seien allgemeiner gefasst. Es gäbe Lagebilder allgemeiner Kriminalitätsentwicklungen, die über Fachabteilungen oder über die Staatsanwaltschaften weitergeleitet würden.

Die SPD erhält nun die Möglichkeit Fragen zu stellen. Der SPD-Obmann Andreas Kossiski fragt nach dem allgemeinen Trennungsgebot und was dies im alltäglichen Leben für die Arbeit des VS bedeute? Zudem möchte er von Ridder wissen, was dieser gemeint habe, als er zuvor die Personalauswahl des VS als einen Kritikpunkt benannt habe.

Andreas Bialas (SPD) fragt ergänzend 1.) nach der historische Entwicklung: Wohin sei beim VS geblickt worden, welche Ressourcen habe man im Hinblick auf Zeit, Personal und Vehemenz dort eingesetzt? 2.) wiederholt er die Frage von Hendriks (CDU) nach der Funktion von WE-Meldungen.

Felix von Grünberg (SPD) möchte zudem noch wissen, 1.) was genau die Aufgabe von Polizei und Staatsschutz sei? Auf der einen Seite solle der Staatsschutz Lagearbeit bzw. präventive Arbeit durchführen, zugleich sei er aber gebunden an das Vorliegen einer Straftat. 2.) interessiert Grünberg eine Einschätzung der SV, ob sie für die VS-Aufgaben ein Forschungsinstitut oder Gremium ohne den Einsatz von V-Leuten oder das herkömmlichen System der VS-Arbeit mit Einsatz von V-Leuten für sinnvoller hielten. Von Grünberg bittet darum, dies „auseinander zu klamüsern“. Was könne zudem die Staatsanwaltschaft im präventiven Bereich tun? Von Grünberg fragt, ausgehend von seinen Beobachtungen 3.) weiter: Wenn V-Leute eingestellt werden und sich in der Szene besonders gut behaupten, würden sie ja zu einem Teil der Gruppe, müssten aktiv sein. Wie könne man da eine Abgrenzung schaffen, wo beginne also die Straftat, und wie könne man dies stoppen?

Appel beginnt mit der Beantwortung der von der SPD gestellten Fragen. Das Trennungsgebot sei von den Alliierten verordnet worden und hätte seinen Widerhall in den Gesetzgebungen gefunden. Jedoch sei aus bürgerrechtlicher Sicht das Trennungsgebot seit vielen Jahren ausgehöhlt worden, indem die Polizei immer mehr geheimdienstliche Befugnisse übernommen habe. Unterschiede zwischen Polizei und VS würden aber dennoch bestehen. Für die Polizei gelte immer das Legalitätsprinzip. Wenn ein Polizist eine Straftat mitbekomme, müsse er diese zur Anzeige bringen. Beim VS gelte das Legalitätsprinzip nicht, es bedürfe auch keines konkreten Anfangsverdachtes einer Straftat. Dadurch bestünde das Risiko, dass unter den Augen des VS Straftaten begangen werden könnten. Wenn der VS beobachte, stelle sich die Frage, wann er sich entscheide, das Beobachtete an die Polizei weiterzuleiten.

Bull führt aus, dass sich die Bereiche Verfassungsschutz und Polizei in den letzten Jahren angenähert hätten. Die Aufgabe des VS sei ungenau definiert, der Begriff „Bestrebungen“ halte sich alle Möglichkeiten der staatspolizeilichen Ermittlung bzw. nachrichtendienstlichen Analyse offen. Durch die Ausweitung des politischen Strafrechts in den §§89a und 89b könne sich der polizeiliche Staatsschutz weitere Befugnisse herausnehmen. Die Polizei sei nicht nur für die Strafverfolgung sondern auch für Gefahrenabwehr zuständig, dies ermächtige sie zu Vorfeldermittlungen. Das BKA habe mehr Befugnisse als die Landespolizeien, es bestünden Grauzonen und Überschneidungen. Es gäbe nur wenige klare Befugnisregelungen.

Bull betont, dass die Polizei nicht zum Geheimdienst werden dürfe. Zum Teil sei sie es schon geworden. „Diese Entwicklung gilt es anzuhalten oder zurückzudrehen.“ Der VS dürfe sich aber auch nicht um Fälle kümmern, in denen Personen nur ihre politische Meinung äußerten, selbst wenn sie sich ablehnend gegenüber dem Staatswesen äußern würden. Seiner Ansicht nach liege die Aufgabe des VS in der Aufklärung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, verstanden im Sinne von aktiv-kämpferischer Opposition. Dazu brauche man auch keine Informationen von V-Leuten, da es nicht um einzelne Personen gehe, um die man sich kümmern müsste, sondern um das Handeln von Organisationen.

Die Aufgabe des VS liege in der Berichterstattung zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Das sei eine Forschungsaufgabe für ein „wissenschaftliches Institut“. Der VS solle als eine solche Auswertungs-Institution Forschung und Publikationstätigkeiten durchführen.Ein Inlandsgeheimdienst solle sich eher auf Anschlagspläne, Attentate und gewalttätige Gruppierungen konzentrieren, die noch nicht von der Polizei verfolgt werden könnten. Oder eben Informationen sammeln, die für die Bekämpfung von gewalttätigem Ausländerextremismus oder Sabotage wichtig seien. Für die Entwicklung der Demokratie seien, so Bull die VS-Behörden in ihrem heutigen Zuschnitt nicht zuträglich.

Ridder führt aus: „Für mich ist das Thema Trennungsgebot durch“. In der Theorie sei dazu alles gesagt worden. In der Praxis jedoch hätten sich Polizei und VS immer weiter aufeinander zubewegt. Es werde dort ganz pragmatisch zusammengearbeitet. Die Polizei habe ja heute eigentlich schon alle Instrumente eines Geheimdienstes, daher solle der Staatsschutz alle Aufgaben im Bereich der Bekämpfung des Extremismus bekommen. Die neuen VS-Gesetze in NRW und Bremen sein zwar gut gemeint, würden aber den Dualismus zwischen Polizei und VS verfestigen und so das grundlegende Problem nicht lösen. Ridder: „Das ist nicht mehr aufzuhalten, das ist politisch so gewollt.“

Kossiski ( SPD) murmelt dazwischen: „Und was ist mit dem Personalaufwand?“

Ridder merkt zu Kossiskis Einwand an, dass die gesellschaftliche Kompetenz und das Wissen von Fachjournalisten und Wissenschaftlern im Themenfeld Rechtsextremismus mittlerweile höher sei als beim VS. Der VS sei auf dieser Ebene nicht mehr wettbewerbsfähig. Analytisch habe der VS keine Perspektive im Vergleich zu Fachjournalisten.

Bull merkt abschließend noch an, dass eine WE-Meldung kein nachrichtendienstliches Instrument sei.

Appel sagt aus, dass die personelle Stärke des VS in NRW in den letzten 10 Jahren massiv aufgestockt worden sei. Die Zahl der Mitarbeiter sei von 280 auf aktuell 325 gestiegen.

Als nächstes bekommt die Obfrau der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen, Verena Schäffer, die Möglichkeit, Fragen an die SV zu stellen. Ihre erste Frage betrifft das Thema Aktenvernichtung. Sie fragt speziell den SV Bull nach dem Spannungsfeld von Datenschutz und nachträglicher Kontrolle. Ihre zweite Frage beschäftigt sich mit der Personalauswahl des VS und der Ausbildung der Mitarbeiter. In NRW gäbe es beim VS viele Quereinsteiger, die Zusatzausbildungen bekommen würden. Sie fragt, welche Ausbildung die SV favorisieren würden? Außerdem möchte sie wissen, wie Regelungen aber auch die interne Kultur im Umgang mit V-Leuten aussähen und wie sich diese verändert hätten. Darüber hinaus möchte Schäffer noch wissen, ob die SV den Einsatz von V-Leuten für notwendig hielten oder nicht.

Bull antwortet, dass Akten aufgrund des Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen im Rahmen bestimmter Fristen vernichtet werden müssten. Nach fünf Jahren müssten Akten geprüft werden, ob eine Speicherung noch erforderlich sei oder nicht. Wenn dies nicht erforderlich sei, dann werde gelöscht. Wenn ein Mitarbeiter einer VS-Behörde Akten vernichte, die zur Kontrolle durch ein Gremium vorgesehen seien, sei das natürlich unrechtmäßig. Zum Fall der Aktenvernichtung in Bezug auf den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags sei zu sagen, dass die Vernichtung oder Löschung von Akten, die zuvor von einem solchen Gremium angefordert worden seien, auf jeden Fall eine Straftat darstelle. Das sei so einfach nicht in Ordnung.

Zur Frage der Personalauswahl führt Bull weiterhin aus, er halte sowohl externe Hochschulabsolventen als auch intern Ausgebildete für erforderlich. Wenn jedoch lediglich Personen beim VS arbeiten würden, die innerhalb der Behörde ausgebildet und sozialisiert seien, halte er dies für problematisch. Insgesamt sei für Bull das V-Leute System ein „besonders heikles Unterfangen“. Er habe ein sehr ungutes Empfinden zu V-Leuten. Entscheidendes Argument gegen V-Leute sei deren Unzuverlässigkeit. Die Informationen, die diese an den VS weiter geben würden, müssten ja nicht stimmen. Man würde viel Geld ausgeben für zweifelhafte Informationen und im Zweifel noch mehr Geld, um noch einen zweiten V-Mann einzusetzen. Bull zeigt sich der Auffassung, dass ein Rechtsstaat, soweit es gehe, offen ermitteln sollte und wenn es gar nicht anders möglich sei, V-Leute bei ihrem Einsatz an die kurze Leine nehmen müsse.

Appel schließt sich Bulls Kritik an. Er würde zwar nicht ausschließen wollen, dass es Bereiche gäbe, in denen V-Leute notwendig seien, zum Beispiel im Bereich des „islamistischen Terrorismus“. Aber über die Unzuverlässigkeit hinaus seien V-Leute auch als mögliche Aufwiegler problematisch. Appel führt mehrere Beispiele an und erwähnt unter anderem das Verbot der FAP [Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei, 1995 verboten]. Hier habe es Hinweise gegeben, dass man die FAP schon wegen der vielen V-Leute, von denen sie durchsetzt war, habe auflösen müssen. Die Personalpolitik des nordrhein-westfälischen VS hält Appel für sinnvoll. Es bestehe aber die Gefahr der Betriebsblindheit, wenn Beamten zu lange in einem Bereich arbeiteten. Der VS in NRW habe vor einigen Jahren zirka 30.000 Altfälle löschen lassen, was vernünftig gewesen sei.

Das Fragerecht geht nun an die FDP-Fraktion. Dr. Joachim Stamp (FDP) fragt sinngemäß: 1.) Birgt die „Kumpanei“ zwischen V-Leuten und deren Führung Gefahren und falls ja, welche? 2.) Ist der Wechsel der V-Mann-Führer eine sinnvolle Option, um solcher „Kumpanei“ vorzubeugen? 3.) Ist die Aufteilung des VS auf 16 Landesämter notwendig oder wäre eine Zusammenlegung von Ämtern sinnvoller?

Bull meint, dass wechselnde V-Personen-Führer helfen könnten, dies sei aber kein grundsätzlich neues Instrument. Ein Problem bleibe die interne Abschottung innerhalb der Behörden. Bull hierzu: „[…] es gibt haarsträubende Anekdoten.“ Die Behördenleitung müsste dafür sorgen, dass Kumpanei nicht einreiße. Schwierig sei das indes, da unklar bleibe, wie die Behördenleitung darüber in Kenntnis gesetzt werden könnte. Hinsichtlich einer Zusammenlegung von VS-Ämtern führt Bull aus, dass die Landesregierungen in den VS-Behörden ein Stück eigener Souveränität sehen würden, die sie sich nicht aus der Hand nehmen ließen. Die Reduktion der Landesämter sei aber sinnvoll. Kleinere Länder bräuchten kein eigenes Landesamt.

In die Thematik der V-Leute einsteigend bemerkt der SV Ridder einleitend: „Jeder hat seinen V-Mann oder möchte ihn haben“. Im Zusammenhang mit dem NSU sei ein V-Leute System sichtbar geworden, das nicht zu verantwoPersonen aus dem Ruder gelaufen. Zum Teil hätten sie eine doppelte Führung gehabt. Der grundlegende Widerspruch in der Person eines V-Mannes sei nicht zu lösen. Der SV Ridder ist bei seinen Ausführungen sichtlich aufgebracht.

Appel meint, dass sich V-Personen durch verdeckte Ermittler ersetzen ließen. Allerdings bräuchte es pro Verdecktem Ermittler vier bis fünf Personen zur Betreuung. Bei V-Leuten sei das Verhältnis umgekehrt. Auf einen V-Personen-Führer kämen rund fünf V-Personen. Man müsse verstehen, wo das System herkomme. Früher habe man linke wie rechte Splittergruppen beobachtet und an der Hochschule einfach mal einen Studenten angesprochen, er solle mal „‘nen Bericht“ schreiben. Dann habe man mehrere Berichte abgeglichen. Es sei nur dumm, wenn sich die V-Leute absprechen würden. Dies sei in der Führungsebene der NPD geschehen. Das wäre schon ein gutes Geschäftsmodell bei den Honorarsätzen, die in Thüringen gezahlt worden seien. Appel meint, angesichts dieser Geschäftsaussichten würde er sich das auch überlegen, genug Fantasie hätte er da bestimmt.

Lüders scherzhaft zu Appel: „Vorsicht Herr Appel, hier sitzen auch Ermittlungsbehörden im Raum.“ Allgemeines Gelächter.

Appel äußert sich noch zur Löschung von Akten. In den VS-Gesetzen gäbe es für die allgemeinen Akten keine Löschfristen. Umso verwunderlicher sei die Schredderaktion ausgerechnet am 11.11.2011 im BfV gewesen. Appel zugespitzt: „Ich sach ma‘, der Rheinländer sagt: ‚Da kannste doch dran fühle!‘“ Appel weiter: Der VS in NRW gebe viele politische Statements ab. Es fehle aber an Ursachenforschung zum Terrorismus.

Das Fragerecht geht an die Piraten-Fraktion. Birgit Rydlewski will von den SV wissen, wie ihre Erfahrungen und ihre Einschätzungen zum Umgang mit dem Thema Quellenschutz beim VS seien?

Bull ergreift zuerst das Wort. „Quellenschutz ist ein Stichwort, das mich zum Ärgern bringt“, so Bull. Quellenschutz sei möglicherweise im Bereich der Spionage notwendig, nicht aber im Bereich des Extremismus. Es müsse in Kauf genommen werden, zukünftig eine Quelle weniger zu haben, wenn sich dadurch ein Verbot erreichen ließe oder ein Strafprozess geführt werden könne. Beim NPD Verbotsverfahren habe er das Vorgehen des VS als „Frechheit“ erlebt. So hätten die Verfassungsschutzämter der Länder dem Bundesamt für Verfassungsschutz zugleich verschwiegen, welche Quellen sie in der NPD hätten. Unter dem Deckmantel des Quellenschutzes sei weiter beobachtet worden, anstatt zum Gelingen eines Verbotsverfahrens beizutragen.

Ridder stellt die Frage in den Raum, ob es einen V-Mann gegeben habe, der nach seiner Enttarnung mit dem Leben bedroht worden sei? Er beantwortet die Frage selbst: Er kenne nur einen Fall, wo ein V-Mann ermordet worden sei. Dies sei ein Student im Jahre 1974 gewesen. Die Tatwaffe habe man im Stahlschrank des BfV gefunden. Ridder weiter: „Für den klassischen Beschaffer im Nachrichtendienst geht die Quelle über alles“. Das sei, so Ridder, die Philosophie, die hinter dem Quellenschutz stünde. Im NSU-Komplex müsste von 21 V-Leuten im engeren Umfeld des Trios ausgegangen werden.

Neben den schon aufgeworfenen Problematiken des V-Leute-Systems möchte Ridder gerne den „Haushältern“ im Untersuchungsausschuss, er sei sonst nicht mit so vielen Abgeordneten in Kontakt, noch einen Hinweis geben: „Schauen sie doch mal auf die Kosten. Nicht nur die Honorare, auch Werbungskosten etc. Ich denke, bis zu 30% des Budgets gehen für V-Leute drauf.“ Ridder weist zudem auf den Verfassungsschützer aus Hessen hin, der zur Zeit Geschichte schreibe, da er im Unterschied zu allen anderen am Tatort des NSU-Mordes in Kassel Anwesenden nichts gesehen und nichts gehört habe. Und dies, obwohl er eine solide Observationsausbildung genossen habe. Ridders nennt den Namen des Verfassungsschützers nicht.

Appel meint zum Thema Quellenschutz abschließend, dass dieser ein „Versprechen“ sei, was der VS seinen V Leuten geben würde, das aber mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht zu vereinbaren sei.

Hernach eröffnet die Vorsitzende Lüders die zweite Fragerunde. Sie stellt zuerst selbst einige Fragen – sinngemäß: 1.) Ist es nicht ein Widerspruch – im Falle, dass man überhaupt V-Leute einsetzen würde – zu fordern, V-Personen nur in Kernbereichen einzusetzen und gleichzeitig zu sagen, eigentlich sei das V-Leute-System am Ende und als Lösung für das Problem, verdeckte Ermittler (VE) den Job der V-Leute übernehmen zu lassen? 2.) Wenn es den Einsatz von Verdeckten Ermittlern gäbe, wie könnte das aussehen? Und wer würde für einen solchen Job ausgewählt werden? 3.) Wie läuft die Anwerbung eines V-Mannes ab?

Ridders meint, die Risiken beim Einsatz Verdeckter Ermittler würden stark übertrieben. Probleme gäbe es eher im psychischen oder im familiären Bereich, weniger in der konkreten Bedrohung von Verdeckten Ermittlern.

Die Ausschussmitglieder der CDU und SPD haben keine weiteren Fragen an die SV, deshalb geht das Fragerecht an die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Deren Ausschussmitglied Monika Düker (Grüne) fragt, ob der Einsatz von V-Leuten nicht die Gefahr berge, dass gegen die eigenen Richtlinien gearbeitet werde, da Polizei und Staatsanwaltschaft ja nicht wüssten, dass eine entsprechende Person eine V-Personen sei. Der VS wiederum erfahre auch nicht, dass gegen eine V-Person ermittelt werde.

Bull führt aus, dass es keine einheitliche Regelung gäbe, wann V-Leute wegen Straftaten abgeschaltet würden. Das sei von Bundesland zu Bundesland verschieden. Grundsätzlich sei es so, dass „szenetypische Delikte“ wie etwa Propagandadelikte geduldet würden. Bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit sei dies aber anders, diese seien nicht gestattet. Manche V-Leute meldeten ihrem V-Mann-Führer eine Straftat. Man müsse darauf warten, dass sich eine V-Person zu erkennen gibt, wenn sie wegen einer schweren Straftat angeklagt sei. Letztlich bestünde die Kontrolle nur durch den V-Mann-Führer.

Appel ergänzt, dass es offensichtlich sei, wie schwach die Kontrolle der V-Personen sei und nennt erneut das Beispiel des Brandanschlages in Solingen. Dort sei deutlich geworden, dass der VS und teilweise auch die Polizei strafrechtlich relevantes Verhalten von V-Personen ignoriert hätten. Auch der lokale Staatsschutz habe gewusst, dass Schmitt V-Mann gewesen sei und habe dann „ein Auge zugedrückt“. Appel spricht in diesem Zusammenhang auch von extra- bzw. „illegalem Verhalten“ der Polizei. Appel kommt zu dem Schluss, dass V-Leute nicht notwendig seien, da es technische Mittel, besonders im EDV-Bereich, gäbe, die V Leute ersetzen könnten.

Da es keine weiteren Fragen der Mitglieder an die SV gibt, bedankt sich die Vorsitzende Lüders bei den Sachverständigen und erklärt um 18 Uhr das öffentliche Hearing für beendet. Sie erklärt den restlichen Verlauf der Sitzung als nicht-öffentlich.

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