Mit Verspätung eröffnete der Ausschussvorsitzende um 16:15 Uhr den öffentlichen Teil des Sitzungstages. Zuvor hatte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) bereits unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Zeugen vernommen. Thematisch ging es auch an diesem Tag um den Mord an Mehmet Kubaşık und die Neonazi-Szene in Dortmund. Geladen sind die beiden Zeugen:
- Toni Stadler, ehemaliger V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutz und Neonazi-Aktivist.
- Robert Preuß, ehemaliger Mitarbeiter des Staatsschutzes Dortmund
Zu Beginn der Sitzung teilt der Vorsitzende Sven Wolf (SPD) mit, dass der Zeuge Stadler krankheitsbedingt nicht erscheinen wird. Der Vorsitzende wird im Namen des PUA ein Attest des Zeugen anfordern. Sven Wolf machte deutlich, dass der PUA, sofern notwendig, auch ein Ordnungsgeld sowie eine zwangsweise Vorführung des Zeugen einleiten würde.
Vernehmung Robert Preuß
Die Vernehmung des Zeugen Robert Preuß wurde daraufhin um eine Stunde vorgezogen. Preuß war offenbar als behördlicher Gegenpart zum Sachverständigen Jan Raabe geladen, der am Vortag fast drei Stunden lang den PUA an seinem umfangreichen Wissen über die Rechtsrock-Szene und die Strukturen von „Blood & Honour“ und „Combat 18“ teilhaben ließ. Der Zeuge Robert Preuß arbeitete zwischen 1996 und 2004 beim polizeilichen Staatsschutz Dortmund. Mittlerweile ist er beim Ministerium für Inneres und Kommunales tätig. Weitere Angaben dazu machte er nicht und es gab auch keine Nachfragen zu seiner aktuellen Arbeitsstelle, was natürlich zu Spekulationen anregt. Und tatsächlich ergibt unsere Internetrecherche, dass eine Person mit dem Namen Robert Preuß bei einer Tagung zum Thema Rechtsextremismus als „ Aussteigerberater“ des Ministeriums für Inneres und Kommunales angekündigt wurde. Das Aussteigerprogramm ist Teil der Verfassungsschutzabteilung. [kritisch zur Verquickung von Verfassungsschutz und Aussteigerberatung: LOTTA #52]
Preuß betonte in seinen Ausführungen immer wieder, dass diese sich immer nur auf die Zeit bis einschließlich 2004 beschränken. Einleitung führte Preuß führte aus, dass er der Leiter eines Analyseprojekts zum Thema „Skinbands“ war, das der Dortmunder Staatsschutz 2003 bis 2004 durchführte. Dieses Analyseprojekt sei ußergewöhnlich gewesen, da ähnliches bis dato nur im Bereich der Organisierten Kriminalität durchgeführt worden sei. Der Staatsschutz habe sich damals die Fragen gestellt, ob es sich bei den Bands „Oidoxie“ und „Weisse Wölfe“ um kriminelle Vereinigungen im Sinne des §129 handelte. Dies zu bewerten war eine Aufgabe des Analyseprojekts. Zudem sollten Maßnahmen zur Verhinderung von Rechtsrock-Konzerten entwickelt werden. In das Projekt flossen die Informationen des Staatsschutzes ein, unter anderem aus dem Verfahren gegen die Band „Weisse Wölfe“ wegen der CD „Weisse Wut“, und gegen „Oidoxie“-Mitglieder wegen eines Auftritts im „Kriegsberichter Video“, sowie relevante externe Publikationen. [zu dem Verfahren gegen die beiden Bands: LOTTA #12/2003] Zu externen Rechtsrock-Expert_innen oder Wissenschaftler_innen habe man aber keinen Kontakt aufgenommen.
In die Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubaşık war Preuß nicht eingebunden. Er habe damals auch keine Verbindungen gesehen, sagte der Zeuge. Nach der Aufdeckung des NSU habe er in persönlichen Gesprächen mit anderen schon die Frage gestellt, ob man etwas übersehen hat. Rückblickend habe man vielleicht die falschen Fragen gestellt, andere Fragen hätten vielleicht andere Antworten zu Tage gefördert. Da bewege er sich aber im hypothetischen Bereich. Er habe dennoch nicht das Gefühl, damals ignorant gewesen zu sein. Auf die Frage, ob er glaube, dass es Unterstützer des Mordes in Dortmund gegeben habe, erwiderte Preuß, dies könne er nicht seriös beantworten. Aber den ihn bekannten Neonazis habe er eine solche Tat damals nicht zugetraut. Damals wäre die Einschätzung gewesen, dass das Material, das man gegen die Szene um „Oidoxie“ in der Hand hatte, nicht für ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung oder ein Strukturermittlungsverfahren gereicht hätte. Rückblickend wäre es solche Maßnahmen sicher gut gewesen, aber vermutlich hätte man dazu keine Beschlüsse bekommen, so die Einschätzung des Zeugen.
Natürlich habe er gewusst, so Preuß auf Fragen der CDU-Fraktion, dass in der Nähe des Tatortes Siegfried Borchardt gewohnt habe. Auch die in der Nähe gelegenen Gaststätten „Deutscher Hof“, „Thüringer Hof“ und „Schützeneck“ waren dem Staatsschutz als Treffpunkte der rechten Szene bekannt. Das „Schützeneck“ sei bei Veranstaltungen auch oft von auswärtigen Neonazis besucht worden. Dies habe die Polizei feststellen können, weil regelmäßig die Kennzeichen der dort parkenden Autos notiert wurden. Aber diese Nähe zwischen den Kneipen und dem Tatort des Mordes habe er für zufällig gehalten. Nach den Taten des dreifachen Polizistenmörders Michael Berger habe man herausgefunden, dass der Täter ebenfalls das „Schützeneck“ besucht habe, da sein Kennzeichen vor der Gaststätte festgestellt worden sei, so der Zeuge auf eine Frage der Piraten-Obfrau Birgit Rydlewski. Berger sei ihm vor seinen Taten kein Begriff gewesen. Erst nach den Taten habe man herausgefunden, dass Berger über einige Kontakte zu Personen aus der Neonazi-Szene verfügte. Preuß teilte mit, dass man im Zuge der Ermittlungen zu den Polizistenmorden herausgefunden habe, dass Berger in den Rieselfeldern bei Datteln Schießübungen durchgeführt hatt.
Marko Gottschalk, Bandleader von „Oidoxie“, habe man als Staatschutz damals natürlich im Blick gehabt, so der Zeuge. Es sei ihm auch erinnerlich, dass Gottschalk in der Szene teilweise belächelt wurde, weil er sich bei Auseinandersetzungen stets verdrückt habe. Dem Gottschalk traut Preuß – damals wie heute – keine terroristische Taten zu, trotz dessen Bekenntnis zu „Combat 18″. Man würde Gottschalk auch überschätzen, wenn man glaube, dieser sei strategisch an seine Rechtsrock-Aktivitäten herangegangen. Nach Ansicht von Preuß hätten die Bandmitglieder als junge Menschen mit einem rechten Weltbild einfach Gefallen am Musikmachen gefunden und gemerkt, dass sie damals kostenlos auf den Konzerten saufen und durch CDs auch ein bisschen Geld verdienen konnten. Später wären sie als Band hofiert worden und hätten den Status als Rockstars in der Szene genossen. Dass „Oidoxie“ dann auch international auftrat, war dem Zeugen bekannt. Der Zeuge sagte auf Nachfrage auch, dass immer mal wieder Waffen in der Szene sichergestellt wurden.
Differenzen zwischen der Bewertung des Zeugen Preuß und den Ausführungen des Sachverständigen Raabe sowie den Einschätzungen einiger Fraktionen zeigten sich vor allem bei der Frage nach einer Einbindung der Szene um „Oidoxie“ in Netzwerke von „Blood & Honour“ (B&H) und „Combat 18“ (C18). Preuß sagte aus, dass C18 und B&H immer als Schlagwörter in der Szene kursierten und sich Oidoxie auch bewusst als C18-Band präsentiert habe. Es habe auch persönliche Kontakte zu Szenegrößen, zum Beispiel zu dem Anführer der „Racial Volunteer Force“ gegeben, aber die Einbindung der Dortmunder Szene in solche Strukturen habe er damals nicht gesehen. Zudem habe man sich auch auf die Einschätzungen des BKA berufen, das damals mitgeteilt habe, dass das Verbot der deutschen Division von „Blood & Honour“ weiterhin Bestand habe und keine B&H-Strukturen mehr existent seien.
Der SPD-Obmann Andreas Kossiski hielt dem Zeugen daraufhin die Ausführungen aus dem Abschlussbericht seines Analyseprojekts vor, in dem er selbst ausführlich die unterschiedlichen Bezüge der Dortmunder Bands zu „Combat 18“ hervorgehoben habe. Preuß erwiderte, er habe diesen C18-Bezug aber als reine Eigenbekundungen der Bands aufgefasst. Sie als Staatsschützer hätten diese Einschätzung nicht geteilt. Die Bands hätten sich immer so dargestellt, dass sie die Werte von C18 und B&H verkörperten und dies im Ausland, wo es legal möglich war, auch ausgelebt. Aber eine feste Einbindung in Strukturen sähe er aber nicht.
Die Grüne-Obfrau Verena Schäffer befragte den Zeugen, ob ihm die deutsche Ausgabe des „Stormer“-Fanzines bekannt sei und ob er wisse, wer die Produzenten dieses Heftes seien, in dem offen zu Gewalt und Terror aufgerufen werde. Preuß konnte sich nicht genau erinnern, ob er dieses Fanzine mal in der Hand gehabt habe, vielleicht habe er Auszüge erhalten, aber für das Analyseprojekt spielte es keine Rolle. Schäffer wies dem Zeugen nach, dass sich in den Ermittlungsakten des Dortmunder Staatsschutzes allerdings eine SMS des Engländers Mark Atkinson [Vertreter von C18/Gründer der „Racial Volunteer Force“ und verurteilt wegen der Herstellung des englischen „Stormers“] befinde, aus der hervorginge, dass Gottschalk die Macher des deutschen „Stormer“-Fanzines kenne. Preuss kann sich daran nicht bewusst erinnern, obwohl er informiert war, dass sie damals das Handy von Gottschalk im Rahmen einer Hausdurchsuchung im Verfahren wegen „Weisse Wut“ und „Kriegsberichter Video“ sichergestellt hätten. Von Ermittlungen gegen die Macher des deutschen „Stormers“ wusste Preuß nichts, er selbst führte solche Ermittlungen nicht durch. Dabei sind diese sichergestellten SMS nicht nur dahingehend zu deuten, dass Gottschalk die Macher des deutschen „Stormers“ kannte, sondern sie belegen auch, dass Atkinson, der im Jahr 2005 wegen der Herstellung und Verbreitung des englischen „Stormers“ verurteilt wurde, in Kontakt mit den deutschen „Stormer“-Herrstellern stand bzw. treten wollte. Damit wird die Existenz eines internationalen C18-Netzwerkes deutlich.
Auf Nachfrage verneinte Preuß die Kenntnis vom „Totenkopf Magazin“, einem deutschen „Combat 18“-Fanzine, in dem detaillierte Anweisungen zur Bildung einer Terrorzelle gegeben werden. Deshalb wies Schäffer noch einmal daraufhin, dass sie anhand des Aktenstudiums davon ausgeht, dass Gottschalk Kontakt zu dem skandinavischen B&H-Führer Erik Nielsen gehabt habe, dessen Nummer sich ebenfalls in Gottschalks Telefonbuch befunden habe. Da sich Nielsen hinter dem Pseudonym „Max Hammer“ verberge und die zentralen Schriften verfasst habe, die das Konzept des „leaderless restistance“ propagierten, fragte die Abgeordnete, ob deshalb die Gefahr bestanden habe, dass die Szene um Gottschalk von seiner Seite zu terroristischen Taten gedrängt worden sei. Darüber hatte der Zeuge offenbar noch nicht nachgedacht.
Preuss erklärte wieder, dass er es nicht für möglich gehalten habe, dass die Szene in Dortmund solche Terrorkonzepte umsetzen könnte.Weder Gottschalk noch Borchardt habe er so eingeschätzt. Nach Sebastian Seemann befragt, gab er an, dass dieser ihm damals als Person nicht so sehr aufgefallen sei. Im Gegensatz zu Michael Krick, einem Neonazi aus dem Sauerland, dem er am ehesten solche Taten zugetraut hätte. Dieser sei immer auf Gewalt aus gewesen. Krick habe er aber, obwohl er eine Zeit lang in Dortmund gewohnt habe, eher der Sauerländer Szene um die „Sauerländer Aktionsfront“ (SAF) zugeordnet. Preuß betonte im Verlauf noch einmal, dass er zwar damals gewusst habe, dass Gottschalk über ein großes Netzwerk von Kontakten verfügt habe, die der Organisation von Konzerten dienten. Aber eine Einbindung in ein „Combat 18“-Netzwerk habe er nicht wahrgenommen.
Zum Zuzug des enttarnten V-Mannes Toni Stadler von Brandenburg nach Dortmund, äußerte Preuss, dass dieser ihm bekannt war. Er sei aber nicht damit betraut gewesen, für ihn sei es einfach ein Fakt gewesen, dass Stadler nach Dortmund zieht. Er erinnerte sich aber, dass der Bereitschaftsdienst Anweisung hatte, dass, sobald eine Gefährdung der Person Stadler bekannt geworden wäre, ein abgelegter Notfallplan greife. Dieser Notfallplan war nach Aussagen dem Zeugen Teil des Zeugenschutzprogramms für Stadler gewesen. Preuß gab an, er selbst habe keinen persönlichen Kontakt zu Stadler gehabt.
Als Fazit dieses Sitzungstages bleibt festzuhalten, dass sich der Zeuge Preuß positiv von seinem am Vortrag gehörten Vorgesetzten Jörg Lukat abhob: Er konnte sich an vieles erinnern, verweigerte sich nicht den Antworten und hinterließ – im Gegensatz zu Lukat – den Eindruck, zumindest über Wissen über die Neonazi-Szene zu verfügen. Zugleich zeigte sich aber auch, dass der Staatsschutz damals nicht konsquent gegen Rechts ermittelte. Trotz Analyseprojekts wurden keine Strukturermittlungen eingeleitet und auch das Verfahren wegen der Produktion der CD „Weisse Wut“ endete in einem Freispruch, weil nach Aussage des Zeugen Preuß die Indizien für eine Verurteilung nicht ausreichten. Doch entgegen der Aussage des Zeugen Preuß litt der Prozess nicht bloß unter Indizien, sondern er konnte mehr als zwei Jahre gar nicht richtig starten, weil er immer wieder vertagt werden musste. Die „Westfälische Rundschau“ schrieb am 8.11.2007 zur Urteilsverkündung gegen die „Weissen Wölfe“: „Mindestens fünf Musiker hatte die Band, aber nur drei saßen auf der Anklagebank. Allerdings konnte die Staatsanwaltschaft keine Beweise dafür liefern, ob die drei Angeklagten an der Produktion beteiligt waren noch wann die CD entstanden sei. Außerdem könnten die Vorwürfe schon verjährt sein. Ebenso habe die geplante Verbreitungsabsicht in Deutschland nicht nachgewiesen werden können. ‚Es gibt keine lückenlose Beweiskette‘, so [Richter] Weiß. Er zog damit einen Schlussstrich unter ein zweijähriges Verfahren, das unter anderem wegen eines Aussageverbotes für den ermittelnden Staatsschutzbeamten durch das NRW-Innenministerium schon für einen Eklat gesorgt hatte.“
Führten die, nicht zuletzt wegen des fragwürdigen Verhaltens des NRW-Innenministeriums unter keinem guten Stern stehenden Ermittlungen gegen „Weissen Wölfe“ und „Oidoxie“ auch nicht zu Verurteilungen, so hatte man es in diesem Fall zumindest versucht. Denn obwohl es Anknüpfungspunkte für Ermittlungen gegen die Macher der deutschen Ausgabe des „Stormer“-Fanzines gab, ermittelte die Polizei in diesem Fall erst gar nicht. An der Aufhellung des hinter dem „Combat 18“ verherrlichenden und terroristische Gewalt gegen „Ausländer“ propagierenden Magazins stehenden Personenkreises hatte der Dortmunder Staatsschutz offenbar kein Interesse. Die antifaschistische Zeitschrift LOTTA bewertete 2003 das Erscheinen des deutschen „Stormers“ als Indiz für ein existentes „Combat 18“-Netzwerk in Deutschland und schrieb: „Dieses Label [Combat 18] steht für die Propaganda eines antisemitischen Vernichtungswahns und ist die Stimme derer, die meinen, dass es an der Zeit ist, den entfesselten, neonazistischen Terrors auf die Straßen zu tragen.“
Der Staatsschutz Dortmund nahm die Bekenntnisse der Neonazis zu „Combat 18“ und Terror nicht ernst, sondern vertrat die Einschätzung, dass es den Dortmunder Neonazis ausschließlich um Musik ginge. Trotz der bekannten Kontakte zu internationalen Führungspersonen von „Blood & Honour“/„Combat 18“ wollte man keine Strukturen in Deutschland und keine Einbindung der Dortmunder Szene erkennen. Damit vertrat der Dortmunder Staatsschutz in etwa dieselbe Position wie der NRW-Verfassungsschutz, der die „Combat 18“-Bezüge von NRW-Neonazis auf die Existenz von Tätowierungen und angeberische Äußerungen reduzierte [siehe Vernehmung 1.12.2015]. Der Sachverständige Jan Raabe trug in seinen differenzierten Ausführungen hingegen zahlreiche Hinweise auf die Einbindung in ein existierendes Netzwerk vor und vertrat die Ansicht, dass Gottschalk in der Szene zeitweise sogar als legitimer Repräsentant von „Combat 18“ in Deutschland wahrgenommen wurde. Während dem Staatsschutz zentrale Propaganda-Schriften des „Combat 18“-Terrors nicht bekannt waren und der Verfassungsschutz „Combat 18“ verharmloste, warnten AntifaschistInnen davor, dass die Propagierung von Terror in rassistische Gewalt umschlagen könnte. Peuß blieb jedoch bei seiner Aussage, auch aus heutiger Sicht keine Fehler in den damaligen Einschätzungen und Ermittlungen sehen zu können.