Spurensuche zum Anschlag in der Kölner Probsteigasse

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Als sie die von einem Kunden hinterlassende Christstollendose öffnete, wurde am 19. Januar 2001 die Tochter des Besitzers eines kleinen Kölner Lebensmittelgeschäfts durch eine Explosion schwer verletzt. Die Polizei ermittelte im unmittelbaren Umfeld der Familie und stellte bereits nach fünf Monaten die Ermittlungen ein, fünf Jahre später wurden alle Asservate vernichtet. Ein Bezug zum NSU konnte erst durch dessen „Bekenner-DVD“ hergestellt werden.

Ob alleine das NSU-Trio für diese Tat verantwortlich war, erscheint zweifelhaft. Zum einen verweist der Tatort auf genaue Ortskenntnisse der Täter_innen. Von außen war nicht zu erkennen, dass der Laden von einer aus dem Iran stammenden Familie betrieben wurde. Zum anderen stimmen einige Beschreibungen des Täters, der die Sprengfall deponierte, nicht mit Uwe Böhnhard oder Uwe Mundlos überein. Der Vater der betroffenen Familie beschrieb den Tatverdächtigen als jungen Mann mit blondem, schulterlangem gewellten Haar. Auf Basis seiner Aussagen wurde 2011 ein Phantombild angefertigt. Auch vor dem OLG München sagte der Vater aus, dass keiner der toten oder angeklagten NSU-Verdächtigen diesem Mann ähnele. Das Phantombild weist aber eine große Ähnlichkeit mit dem wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz im Jahr 1986 vorbestraften Kölner Neonazi Johann H. auf.

Die Nebenklage im NSU-Prozess fand in den Akten den Hinweis, dass dies im Februar 2012 auch dem NRW-Verfassungschutz aufgefallen war. Daraufhin zeigte das BKA dem Vater und der Schwester der Verletzten ein völlig veraltetes Foto von H. Da die beiden ihn auf dem Foto nicht identifizieren konnten, wurde die Spur nicht weiter verfolgt. Für die Nebenklage-Anwältin Christina Clemm war dieses Vorgehen des BKA weder ordnungsgemäß nicht ausreichend, da aufgrund der Unschärfe des Fotos „keine Ähnlichkeit mit dem Phantombild oder irgendeiner anderen Person festzustellen war“.

Diese Spur führt tief in die Neonazi-Szene zum zwischenzeitlich aufgelösten „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) und zur 2012 verbotenen „Kameradschaft Köln“. Im Frühjahr 2003 beschrieb der damals 35-jährige H. in einem „Gespräch“ mit der KDS-Postille „Der Gegenangriff“ seinen Werdegang wie folgt: „Wehrsportgruppe, Nationalistische Front, bis 1994 Mitglied der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei – FAP -, 1998 Mitbegründer der Kameradschaft Köln, 1999 kurz nach der Gründung Mitglied des KDS“. Beim KDS und der Kölner Kameradschaft fungierte er als Stellvertreter von Axel Reitz.

Damit erscheint auch ein anderer Hinweis in neuem Licht: Augenzeug_innen hatten Ende 2011 berichtet, das NSU-Trio habe 2009 an einer von der „Kameradschaft Köln“ organisierten Saalveranstaltung in Erftstadt (Rhein-Erft-Kreis) teilgenommen. Hier saß H. zusammen mit Reitz auf dem Podium. Welche Erkenntnisse hatten die nordrhein-westfälischen Behörden über dieses Treffen?

Und noch ein Punkt fällt im Zusammenhang mit dem KDS auf: Thomas Gerlach, enger Freund der im NSU-Prozess angeklagten Ralf Wohlleben und Andrè Eminger sowie mutmaßlicher NSU-Unterstützer, war KDS-Funktionsträger, er pflegte gute Kontakt nach Köln. Das beweist zwar nichts, wirft aber viele Fragen auf.


zuerst erschienen in: LOTTA – antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, #56/Sommer 2014 (Autorin: Britta Kremers)

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