Am 20. Januar 2015 fand im Düsseldorfer Landtag, Plenarsaal E3 D01, die erste öffentliche Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses (PUA III) statt. Eingeladen wurde zu einem öffentlichen Sachverständigengespräch (Hearing) zum Thema: „Aufbau und Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden und der Justiz in NRW – Polizei“. Dies war insgeamt die 2. Sitzung des Untersuchungsausschusses.
Die Ausschuss-Vorsitzende Nadja Lüders (SPD) begrüßt um 14.04 Uhr die Mitglieder des Ausschusses, die Sachverständigen, die Presse sowie die anwesenden Gäste und legt kurz das Thema der 2. Sitzung sowie den vorgesehenen Ablauf der Tagesordnung dar. L. erläutert dabei die Teilung in einen öffentlichen und nichtöffentlichen Teil der Sitzung. L. stellt den Anwesenden die zu ihrer Rechten sitzende Oberstaatsanwältin Andrea Soboll (als wissenschaftliche Referentin der Ausschussvorsitzenden) und den zu ihrer Linken sitzenden Oberamtmann Jan Jäger (Ausschuss-Assistent) vor. Da keine Ergänzungen zur Tagesordnung vorliegen, eröffnet Lüders die Sitzung. Vorab dankt die Vorsitzende den Sachverständigen (SV) für ihre Bereitschaft, an dem Hearing teilzunehmen und leitet die Vorstellungsrunde mit einem Hinweis zur Rolle der SV ein. Die Rolle der Sachverständigen, so L. sinngemäß, sei es, Einschätzungen vor dem Hintergrund ihrer Expertise abzugeben.
Darüber hinaus macht die Vorsitzende darauf aufmerksam, dass Anwesende, die im Verlauf des PUA III ggf. als Zeuginnen oder Zeugen infrage kämen, den Saal verlassen müssen. Darüber hinaus werde ein Wortprotokoll der Sitzung angefertigt. L. erläutert im weiteren einige Verfahrenspunkte zum Ablauf des Hearings und der Befragung der SV. Zunächst sei eine Vorstellungsrunde der Experten vorgesehen, in der diese die Möglichkeit bekämen, sich selbst vorzustellen und ggf. ein Eingangsstatement abzugeben. Weiterhin seien mehrere Fragerunden vorgesehen. Die Reihenfolge der Befragung richte sich nach Fraktionsstärke. Es folgt Einverständnis mit dem Verfahren der Sachverständigen-Befragung.
Das Hearing beginnt, indem die Vorsitzende Reinhard Mokros (Präsident der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in NRW) das Wort erteilt.
Mokros stellt sich und seinen persönlichen Werdegang vor. Seit 1973 sei er Polizeibeamter des Landes NRW, zuletzt im höheren Polizeidienst und als Dozent mit verschiedenen wissenschaftlichen Lehraufträgen, unter anderem an der Ruhr-Universität-Bochum (RUB). Darüber hinaus ist er Mitautor des „Handbuch des Polizeirechts“. Das anschließende Eingangsstatement von M. bezieht sich insbesondere auf die Bedeutung des „Rechtsextremismus“ für die Ausbildung der Polizei- Anwärter_innen. M. konstatiert, dass dieses Thema als Teil der Lehrinhalte der von ihm geleiteten Fachhochschule „eine zunehmend größere Rolle“ spiele. Darüber hinaus verweist der SV auf die Bedeutung des „Trainings interkultureller Kompetenzen“.
Als nächster SV stellt Prof. Dr. Thomas Feltes sich vor.
Auch F. beginnt mit einem Auszug aus seinem Werdegang. Er sei in erster Linie Rechts- und Sozialwissenschaftler, habe jedoch aufgrund seiner Biografie zwei Wahrnehmungsweisen: zum einen als Kriminologe und zum anderen als Behördenleiter. F. hat 1992 an der Hochschule der Polizei in Baden-Württemberg gelehrt und sei Mitglied der „Polizei-Chefrunde“ gewesen. Im Hinblick auf seine Expertise für den PUA III verweist F. auf unterschiedliche Studien, die er seit den 1980er Jahren durchgeführt habe. Darunter Studien zum „polizeilichen Alltagshandeln“, zur „Belastung der Polizei“, zu „Kosten der Polizeiausbildung“. Im Zusammenhang mit dem Kriminologie-Lehrstuhl an der RUB, den er derzeit inne hat, verweist er auf eine Studie zur „Gewalt durch Polizeibeamte“ sowie eine weitere Studie zur polizeilichen Verdachtsgewinnung im Rahmen von Kontrollen, die derzeit in Planung sei. F. schließt seine Ausführungen mit der Aussage, dass er „mit großem Interesse und großer Ehrfurcht“ den Fragenkatalog des PUA III zur Kenntnis genommen habe. Aufgrund seiner 25-jährigen Tätigkeit habe er jedoch die „Befürchtung, dass das ein oder andere nicht wird aufgeklärt werden können“.
Nachdem Feltes relativ ausführlich von der Möglichkeit eines Eingangsstatements Gebrauch macht, stellt sich Michael Kniesel darauf folgend nur kurz vor.
Er sei Jurist und in der Vergangenheit als Polizeidezernent bei der Bezirksregierung Münster, in der Direktion der Bereitschaftspolizei, beim Landeskriminalamt sowie als Polizeipräsident in Bonn tätig gewesen. Seine Schwerpunkte verortet K., der zur Zeit an der Hochschule der Polizei in Münster tätig ist, im Bereich des Polizei- und des Verfassungsrechts.
Als letzter SV in der Runde stellt sich Prof. Dr. Hartmut Aden vor.
A. ist als Jurist und Politikwissenschaftler an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin im Bereich Polizei und Sicherheitsmanagement tätig. Sein Schwerpunkt liege im Verwaltungsrecht, seit den 1990er Jahren auch zum Thema Polizei, dort insbesondere zu Mehr-Ebenenstrukturen etwa zur Europäisierung der Polizei. Seine Expertise für den PUA III bestehe im Bereich „Accountability“, das heißt der Frage nach verantwortlichem Verwaltungshandeln und umgekehrt der „Diffusion von Verantwortungslosigkeit“. In Bezug auf sein Eingangsstatement verweist A. auf das von ihm vorgelegte Thesenpapier und dass er sich insbesondere von der Betrachtung des Bereiches der polizeilichen Fehlerkultur „wichtige Impulse“ erhoffe.
Die Vorsitzende des Ausschusses schließt die Vorstellungsrunde und erläutert die mit den Fragerunden einhergehenden Zielsetzungen bzw. Schwerpunkte. Zum einen erhoffe man sich Erkenntnisse, wie die polizeilichen Behörden in NRW organisiert seien, welche Aufgaben und Zuständigkeiten sie hätten. Zum anderen welche Strukturen sie im Zusammenspiel der einzelnen Polizei-Behörden auf Bundesebene und im europäischen Vergleich sowie im Zusammenspiel mit dem „Staatsschutz“ hätten. Lüders fordert die SV auf sich zu den Fragestellungen zu äußern.
Mokros ergreift das Wort und erläutert die Struktur der Polizei in NRW. Dabei geht M. auf Polizeipräsidien und Kreispolizeibehörden ein, deren Aufgaben sich im Wesentlichen in drei Bereiche gliedern lassen: Die sogenannte „Gefahrenabwehr“, die „Ermittlung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten“ sowie der Bereich „Verkehr“. Daneben gäbe es noch das Landeskriminalamt (LKA) und das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg, welche beispielsweise koordinierende Aufgaben etwa im Falle von Geiselnahmen übernehme und der auch Fliegerstaffel unterstehe. Darüber hinaus gibt es das Landesamt für Aus- und Fortbildung der Polizei und als oberste Landesbehörde das Ministerium für Inneres und Kommunales, Abteilung IV.
Lüders fragt nach, welche Aufgaben die Polizei mit Blick auf die jeweiligen Zusammenhänge in NRW, auf Bundesebene und länderübergreifend habe und in welchem Verhältnis diese zu den Aufgaben der Verfassungsschutzämter stünden.
Kniesel antwortet darauf, dass wo Zusammenarbeit erwartet würde, auch von ähnlichen Aufgaben ausgegangen werden müsse. Wesentliche Aufgabe der Akteure sei in Bezug auf die VS-Behörden die Information der Regierung. Der Verfassungsschutz sei, so K. wörtlich, „Sammler und kein Jäger“. Der VS habe keinen „operativen Auftrag“. Die Hauptaufgabe der Polizei sei die „Gefahrenabwehr“. Hier gebe es, im Sinne einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen Polizei und VS, bereits seit 25 Jahren eine „neue Sicherheitsarchitektur“. Im Zuge dessen sei die Polizei „vernachrichtendienstlicht“ worden, sodass es zu „parallelen Zuständigkeiten“ komme. K. im Folgenden dazu: „Für die Informationen, die die Polizei braucht, ist sie auf den Verfassungsschutz nicht mehr angewiesen“. Das BKA hingegen habe keinen Auftrag zur Gefahrenabwehr. Eine Ausnahme bilde die „Bekämpfung des internationalen Terrorismus“.
Die Vorsitzende eröffnet die Fragerunde und erteilt Heiko Hendriks (CDU) das Wort. Dieser hat eine Nachfrage zur Position des SV Kniesel, ob die anderen SV die Grundthese teilen würden, – sofern der Abgeordnete Hendriks den SV richtig verstanden habe – dass der VS nicht mehr benötigt würde.
Kniesel erwidert, dass die Polizei im Gegensatz zum VS nicht die Aufgabe der Information der Regierung habe. Dennoch meint er, „es wäre auch denkbar, dass diese Aufgaben Polizeibehörden übertragen werden.“
Feltes erläutert in Bezug auf die Frage der Zusammenarbeit von Polizei und VS, dass man, wenn man versuchen wolle zu begreifen, was bei den NSU-Fällen geschehen sei, sich mit der heterogenen Behördenstruktur auseinandersetzen müsse. Diese sei aufgrund des Föderalismus eine „deutsche Besonderheit“. F. wirft in diesem Kontext in Bezug auf den „NSU“ die Frage auf: „Warum ist es nicht gelungen, diese Fälle von einer übergeordneten Stelle zusammenzuführen?“. Feltes Einschätzung zufolge spielten hier „informelle Kontakte“ quer zu den Behördenwegen und in der Verzahnung von Landespolizei, BKA und VS eine bedeutende Rolle. F. merkt dazu an: „Vielleicht liegt da das Geheimnis, wie die Dinge gelaufen sind“. Ferner attestiert F. auch regional eine Behörden-Kultur, welche durch „informelle Netzwerke“ und „individuelle Kontakte“ geprägt sei, beispielhaft benennt F. in diesem Zusammenhang etwa den Kontakt mit Staatsanwaltschaften. F. plädiert zusammenfassend dafür, die „Heterogenität“, „informelle Kontakte“ und die Rolle, die diese Aspekte gespielt haben könnten, zu betrachten.
Aden erläutert, dass die VS-Ämter „Erhebliche Defizite bei der Analyse“ hätten, da es Doppelungen in der Informationssammlung gebe. Es wäre nach dem NSU erforderlich, „gerade nochmal nachzuschauen, wie Verfassungsschutz und Polizei neu justiert werden können“. Weiterhin stellt A. das Verhältnis von Zentralität und Dezentralität zur Diskussion. Es gebe immer wieder „Reibereien“. Letztlich gehe es „um gut funktionierende Koordination“.
Mokros nimmt Bezug zu Feltes‘ Ausführungen und bemerkt, es sei ihm ein Anliegen, „den Blick darauf zu lenken, dass es sich bei den Taten um Straftaten handelt […]. Es kommt darauf an zu erkennen, dass es sich um politisch motivierte Kriminalität handelt“. Sofern das erkannt würde, gebe es auch kein „Kompetenzgerangel“. In Bezug auf die polizeiliche Fallanalyse sagt M., diese finde „in der Tat […] auch auf örtlicher Ebene statt“ [gemeint ist polizeiliche Aufklärung], hier geht es darum, „kriminelle Strukturen zu erkennen und polizeilich zu ermitteln“. Die Polizei arbeite hier mit polizeilichen Methoden und auf Basis polizeirechtlicher Gesetzgebung. Im Verlauf seiner Ausführungen verspricht sich M.: Statt „politisch motivierte Kriminalität“ sagt er „polizeilich motivierte Kriminalität“ – ein „Freud‘scher Versprecher“, wie er selbst sagt, der im Sitzungssaal für Heiterkeit sorgt.
Die Vorsitzende erteilt Andreas Bialas (SPD) das Wort. B. fragt, (1) „Wann und wie wird eigentlich eine politisch motivierte Tat angenommen?“ Weiterhin möchte er von den SV erfahren, (2) „Wie viele derartig gelagerte Anschläge es in den letzten 25 Jahren gegeben“ habe. Außerdem stellt er die Frage: (3) „Wie hat sich der Staatsschutz in den letzten 25 Jahren entwickelt?“, diese Frage beziehe sich sowohl auf die Aufgaben, das Personal, die Zusammensetzung und Ausbildung. Ferner möchte B. wissen, (4) worauf der „Staatsschutz“ hauptsächlich seinen Erkenntnis- und Ermittlungsfokus gelegt habe.
Mokros antwortet, bezugnehmend auf die erste Frage, dass es zwei Deliktgruppen gebe. Zum einen sogenannte „Propagandadelikte“, das sei der größte Teil der Deliktzahlen, als Beispiel nennt er „Hakenkreuz-Schmierereien“. Darüber hinaus gebe es politisch motivierte Delikte gegen Personen, etwa wegen ihrer politischen Einstellung, Herkunft, ihres Aussehens [gemeint ist Hautfarbe], ihrer Religion, also sogenannte „Vorurteilskriminalität“ bzw. „Hasskriminalität“. Hier sei es wichtig, die politische Motivation zu erkennen, um zu einer „richtige[n]Einschätzung“ zu gelangen. M. sagt in diesem Kontext: „Da können Sie in den letzten Jahren […] eine zunehmende Professionalisierung des polizeilichen Staatsschutz beobachten“.
Feltes wendet ein, dass eben diese Einschätzung, d.h. politisch motivierte Kriminalität als „Vorurteils- bzw. Hasskriminalität“ einzuordnen, bei den NSU-Morden nicht stattgefunden habe und zwar nicht nur in NRW, sondern auch auf Bundesebene. „Offensichtlich hat es nicht funktioniert!“, so F. wörtlich. Das Grundproblem beschreibt Feltes mit der Frage: „Wie erkenne ich politisch motivierte Kriminalität, wenn ich keinen Tatverdächtigen habe?“. In diesem Kontext verweist F. auch ausdrücklich auf den ‚Fall‘ von Khaled Idris Bahray, dem in Dresden am 13.1.2015 tot aufgefundenen Geflüchteten, der nach Obduktionsbericht eines unnatürlichen Todes gestorben sei, sowie auf die Schwierigkeit der Einordnung dieses ‚Falles‘. Für manche polizeilichen Ermittler sei es naheliegender, den Staatsschutz nicht einzuschalten, so F.
Aden merkt in Bezug auf den „Staatsschutz“ an, dass eine „Grundlegende Evaluierung dessen, was dort gemacht wird“, erforderlich sei. Weiterhin sagt A. in diesem Zusammenhang: „Es geht nicht mehr darum den Staat zu schützen, sondern Menschen.“ Dies leite zu Fragen nach einer Neuausrichtung des Staatsschutzes und seiner Aufgaben. Die Sachverständigen betonen alle, dass der Begriff „Staatsschutz“ problembehaftet sei. Aden dazu: „Solange die Behörden so heißen, [käme es auch zu einer] Verinnerlichung der Begrifflichkeit.“
Mokros antwortet unter Bezugnahme auf Aden und Feltes. Im Falle eines Tötungsdeliktes werde immer die Mordkommission eingeschaltet. Wenn die Mordkommission ein politisches Motiv in Erwägung ziehe, ziehe jede Mordkommission „selbstverständlich“ andere Behörden zu. Wenn das in „Einzelfällen“ nicht passiere, sei das bedauerlich. „Sensibilisieren müssen wir die Beamtinnen und Beamten im Streifendienst […], dass man die politische Motivation […] auch jenseits der spektakulären Fälle [gemeint sind auffällige Körperverletzungen]erkennt“. In Bezug auf die Ausbildung von Polizeianwärter_innen meint M., diese seien „sehr wohl in der Lage, eine politisch motivierte Tat einzuordnen“.
Das Wort wird Verena Schäffer (Bündnis 90/Die Grünen) erteilt.
Die Abgeordnete möchte von den SV wissen, wie (1) einerseits das Definitionssystem der PMK rechts mit der Richtung, in die ermittelt werde, in Zusammenhang stehe? [Sch. ergänzt: Hier wäre wissenswert, wie sich die Divergenz in der Bezifferung der Tatzahlen erklären lasse, mit denen sich politisch rechts motivierte Kriminalität von unterschiedlichen Stellen unterschiedlich quantifiziert finde]. Darüber hinaus fragt Sch. (2): Wenn man es bei „Rechtsextremismus“ mit der Spitze des Eisberges zu tun habe, was sei dann in diesem Definitionsschema etwa mit Aspekten wie „Diskriminierung“, mit „Rassismus“? Was sei mit „Menschenrechtsbildung“ in der Polizeistruktur? Wie werde dies etwa in der Ausbildung berücksichtigt? Ferner möchte Sch. (3) über das Zusammenspiel von (Kriminal)Polizei und LKA informiert werden sowie (4) zum Einfluss des Innenministeriums/der Politik auf die Ermittlungsrichtungen [diese Frage richtet sie gezielt an den SV Aden].
Mokros hält das Definitionssystem für „dringend überarbeitungswürdig“, denn: „Die erklärenden Hinweise haben teilweise schon selbst rassistischen Charakter, wenn man das mal so pointiert formulieren darf“. Für die Ausbildung sieht M. „Nachholbedarf im Bereich der Menschenrechtsbildung“. M. erwähnt hierzu eine in Gelsenkirchen laufende Studie [betonend: sie sei im aktuellen Projekt-Stadium noch nicht empirisch gesichert], mit der man der Frage nachgehe, wie sich im Laufe des Studiums die Einstellungen/Haltungen der künftigen Polizist_innen veränderten, vor allem in Bezug auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. M. äußert dazu: „Wir haben die Vermutung, dass die negativen Einstellungen im Laufe des Studiums zunehmen“.
Aden [bezugnehmend auf Mokros Ausführungen sowie auf Schäffers zweite Frage]bzgl. der Ausbildung: Man habe einen Sprung gemacht in der Polizeiausbildung in Deutschland, ein Großteil der Ausbildung sei auf „Hochschulniveau“. A. sehe aber Defizite bei Beamt_innen, die schon länger in der Polizeiarbeit tätig seien. Hier müsse es auch um adäquate Fortbildung gehen. Sodann bezugnehmend auf Schäffers letzte Frage führt A. aus: Polizei und VS arbeiteten mit V-Personen, die aus dem entsprechenden Milieu stammten. „Die Behörden meinen, ohne die Informationen nicht auszukommen“, so A. Im Polizeibereich sei die Einsetzung von V-Leuten indes in rechtlich-grundlegender Hinsicht problematisch. In diesem Bereich seien „klare Regelungen sinnvoll“ insbesondere in Bezug auf den Ausschluss von V-Leuten, die Straftaten begingen.
Feltes meint zu Schäffers erster Frage zum Thema „Rechtsextremismus“, dieser sei „nie besonders im Fokus gewesen“. Wichtig sei hierzu, anzuerkennen, dass Haltungen [auch der Polizeibeamt_innen]aus deren praktischem Handeln in ihrer Polizei-Arbeit [und in ihrer praktischen Ausbildung]entstünden. Zu Schäffers Frage nach dem Einsatz von V-Leuten möchte F. nichts sagen („[…] dazu habe ich meine Erfahrungen. […] Auch als Leiter einer Fachhochschule darf man nicht alles sagen“). Zu Schäffers Frage nach dem Zusammenhang von Medien/Politik und Ermittlungsrichtungen führt F. aus, dass das geflügelte Wort „Ruhe ist politische Bürgerpflicht“ hier durchaus motivierend sei. Darauf reagiere auch die politische Meinungsbildung. Das Amt des Innenministers bezeichnet er als „Schleudersitzamt“. „Alles was für Aufmerksamkeit in den Medien sorgt, muss vermieden werden“, so F. Auch in Bezug auf die Polizei sieht F. hier ein „sozialpsychologisches Problem“. Ein Polizeibeamter würde es sich dreimal überlegen, ob er etwa eine Ermittlung an den Staatsschutz gibt. Vor diesem Hintergrund blieben natürlich auch Ermittlungsansätze ausgeblendet, von denen man glaube, dass sie schwierig und kompliziert werden könnten.
Die Vorsitzende erteilt das Wort Dr. Joachim Stamp (FDP). Joachim Stamp möchte von Kniesel wissen, (1) ob dieser in seiner eigenen Berufszeit in der Praxis (etwa als Polizeipräsident von Bonn oder im Innenministerium in Bremen) erlebt habe, dass es Konkurrenz zwischen der Kripo und dem Staatsschutz gegeben habe. Aden und Feltes gilt St.s zweite Frage (2): „Wie schützt sich die Polizei gegen radikale Einstellungen in den eigenen Reihen?“ Und schließlich bittet Stamp Feltes um eine Einschätzung, (3) mit welchen Ideen sich dies bereits in der Ausbildung beeinflussen ließe.
Kniesel: In den 1980er Jahren seien „natürlich“ Personen aus dem „linksextremen“ Spektrum die wesentlichen Akteure etwa bei Demonstrationen gewesen. Eine „Demonstrationslage“ sei darum in der Wahrnehmung der Sicherheitsbehörden eine „Staatsschutzlage“ gewesen. In den 1980er Jahren galt, so K., die Maxime: „Eine Versammlung ist von hause aus eine Gefahr“.
Aden meint, zum Umgang mit extremen Haltungen in den eigenen Reihen bei der Polizei sei zu fragen, ob Polizeiberuf an sich nicht ggf. auch Personen anziehe, die ohnehin „im Zweifelsfall doch etwas härter vorgehen möchten“. Dies sei aber sehr stark abzugrenzen von Einzelfällen, wo Beamt_innen in entsprechenden Szenen verkehrten oder es etwa zu „rassistischen Vorfällen“ in der Ausbildung komme. [A. berichtet von Berliner Polizei-Anwärter_innen, die Kolleg_innen mit Migrationshintergrund diskriminiert hätten und hernach suspendiert wurden. Hier sei „die Berliner Polizei sehr konsequent in der Ausbildung“].
Mokros, spricht unter Bezugnahme auf den Umgang mit extremen Haltungen in den eigenen Reihen von einem Fall aus Aachen, wo Studierende der Polizeihochschule eine Kollegin mit Migrationshintergrund im Internet diffamiert hätten; oder von einem Studierenden, der bei Facebook gepostet habe, dass in einer Münsteraner Kneipe „linke Zecken“ verkehrten und er die „Gaststätte [am liebsten]in die Luft sprengen“ würde. M. gibt zur Kenntnis, dass man über solche Einzelfälle hinaus aber nicht wissen könne, welches Klima in den einzelnen Einheiten herrsche. M. denkt hierzu etwa regulierend bzw. pädagogisierend an den Funktionsposten eines/einer Polizeibeauftragten als außerhalb der Strukturen stehende Instanz. „Dass es Institutionen gibt, die außerhalb der Hierarchie liegen, an die man sich wenden kann“. In der FH f. ÖV NRW denke man hier auch an einen/eine Sozialpädagogen/Sozialpädagogin, der/die in der Ausbildung Ansprechpartner_in für die Studierenden sein könne. Dazu ergänzt M.: Die Polizei sei heute vielfältiger: Männer und Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund (von diesen aber noch zu wenig) als Polizei-Anwärter_innen. Die Zahl der Anwärter_innen aus „Zuwandererfamilien“ sei unter 15%. „Da müssen wir überlegen, wie wir attraktiver werden.“
Feltes äußert zu Stamps zweiter Frage die Gegenfrage, wer eigentlich bei der Polizei genommen werde? Nach seinen Beobachtungen lägen zwischen seinen Erfahrungen von 1992 und heute Welten. Beispielhaft verweist Feltes darauf, dass es aktuell zur Aufnahme in die Polizeiausbildung „Assessment-Center“ etc. gebe. Wichtig sei es, auch zu sehen, wie es mit den politischen Haltungen bei Führungskräften aussehe. Wie, fragt F., denke man, dass die Ministerien damit umgehen, wenn Führungskräfte etwa beim Feierabendbier über ihre politischen Haltungen sprächen. Also z.B. die Fragen „Wie ernst nehme ich Witze?“ oder „Welche Signale gehen vom Ministerium aus?“ Sei es dann der „Mantel des Schweigens“, der gewählt werde?
F. spricht, in Bezug auf die Ermittlungsarbeit der Polizei, davon, dass das „Problem nicht nur in Deutschland bekannt“ sei. Darum gebe es bei Ermittlungen in anderen europäischen Ländern beispielsweise Polizeibeamt_innen, die eigens dazu eingestellt seien, Ermittlungen zu hinterfragen. „Damit bekomme ich einen Fremdblick hinein“. F. meint, dass es auch im Falle der NSU-Morde einzelne Polizeibeamt_innen gegeben habe, die in eine andere Richtung ermitteln wollten und kein Gehör gefunden hätten. „Da gab es durchaus Polizeibeamte, die durchaus in eine andere Richtung ermitteln wollten.“ Soetwas gelte es – auch im PUA – aufzuklären.
Die Vorsitzende erteilt das Wort Birgit Rydlewski (Piraten). R. fragt zunächst an SV Mokros, (1) wann mit der Veröffentlichung der von ihm erwähnten Studie zu Haltungen in der Polizeiausbildung zu rechnen sei und welche Parameter dort erfragt worden seien. Ferner möchte R. wissen, (2) ob es generell bereits eine Studie zu „institutionellem Rassismus“ in der Polizei gebe. Dann fragt R. nach den (3) Verantwortungen und Kompetenzen in der Medienstrategie im Falle politisch motivierter Gewalt bzw. bei Straftaten des Ausmaßes der ‚Fälle‘ des NSU. Auch R. interessiert sich ferner (4) für den Zusammenhang von Polizeibehörden, Verfassungsschutz und Staatsschutz. Abschließend fragt die Abgeordnete (5) nach den Strukturen und Kooperationen europäischer Polizei- und Sicherheitsbehörden in ihrem Fokus auf die extrem rechte Szene, die ihrerseits ja auch über die Ländergrenzen hinweg aufgestellt sei.
Mokros zu Rydlewskis letzter Frage: Die Kooperation mit europäischen Polizei-Behörden habe sich „deutlich verbessert und zwar zum Guten hin“. Heute sei sie zentral über „Europol“ gesteuert, das sei wiederum vernetzt mit LKAs. Es gebe z.B. in Aachen auch „grenznachbarliche Zusammenarbeit“. M.: „Man kennt auch die Szenen […] da gibt es großen Informationsaustausch“. Dann kommt M. noch einmal zum Bereich „Rechtsextremismus“ und Verfassungsschutz [jenseits der Frage von Rydlewski], aus persönlicher Anschauung [„aus meiner wirklich langjährigen Erfahrung“]: Diese Behörden/Abteilungen hätten sich „sehr stark gewandelt“. In NRW sei der Bereich Prävention Vorreiter in der BRD. M. erinnert an die „Andi-Comics“. M. sieht das für NRW positiv. M.: „Also das ist klasse!“ [mit der eigenen Zwischenbemerkung: er sähe diese Entwicklung „vielleicht zu positiv, ich weiß es nicht“].
Auf die Frage zur Veröffentlichung der angesprochenen Studie: Im Sommer gebe es ein Zwischen-Papier. Für Informationen zu Methodik, Parametern und Forschungsdesign der Studie verweist M. auf den zuständigen Leiter des Projektes an der FH f. ÖV NRW.
Aden schließt an die Beantwortung von Rydlewskis Frage, nach einer Studie zu institutionellem Rassismus [bzw. wohl auch in Richtung der Frage von Schäffer] an: „Institutioneller Rassismus“ werde oft „unfreundlich“ aufgenommen, weil er als „individueller Rassismus“ missverstanden werde. A. widerspricht Mokros‘ Einschätzung, was die europaweite Zusammenarbeit zum Thema Rechtsextremismus betrifft. Das möge vielleicht regional stimmen. „So wirklich europäische Strukturen zum Thema Rechtsextremismus“ gebe es laut A. aber nicht.
Es sei aber wichtig zu erkennen, dass Polizei-Arbeit auf Erfahrungswerten basiere: Wenn Täter und Opfer aus derselben Szene kämen, würde „nicht so engagiert ermittelt“ [so A.s Beobachtung].
Ganz ähnlich sehe es bei sog. Racial Profiling aus: Es funktioniere nach differenzierten Einsatzkonzepten. Wo es diese nicht gebe, kämen Erfahrungswerte zum Einsatz, wie das Wissen, „wie zum Beispiel ein Drogendealer aussieht“. Hier bemerkt A. auch, dass die Studierenden an den Polizeihochschulen heute voneinander lernen könnten, was es mit diesen Erfahrungswerten auf sich habe. „Auch unsere Studierenden mit Migrationshintergrund haben die Erfahrungen gemacht, an bestimmten Orten häufiger kontrolliert zu werden“. In diesem Zusammenhang kommentiert A. auch die Praxis der Bundespolizei, Menschen in Zügen zu kontrollieren, als „verfassungswidrige Regelung“.
Feltes erläutert zum Thema des institutionellen Rassismus: „Eine Institution kann nicht rassistisch sein, das sind allenfalls ihre Mitglieder […] es geht dann um gelerntes Verhalten. Der Mensch ist von sich aus so strukturiert, dass er von sich aus die einfachsten Lösungen wählt“.
Um 16.05 Uhr ist damit die erste Fragerunde abgeschlossen: Die Vorsitzende eröffnet die zweite Fragerunde und erteilt Peter Biesenbach (CDU) das Wort. B. fragt, an Mokros gewandt: Was dieser damit meine, dass man in der Ausbildung den Bereich „Menschenrechte“ verstärken müsse. An alle SV gerichtet: Alle hätten ganz stark darauf abgehoben, dass Polizei-Arbeit auf Erfahrungswissen basiere. Das hätte ja auch etwas im Zusammenhang mit der Praxis kriminalpolizeilicher Ermittlungsarbeit zu bedeuten (Wie gehe man mit Ermittlungs-Defiziten um?). B. bittet um ein Votum, ob es daran etwas zu ändern gelte, vor allem in der Ausbildung.
Mokros meint hierzu: „Mit Menschenrechten meine ich, dass wir in der Vergangenheit stark auf Staatsorganisationsrecht“ fokussiert gewesen seien. Man müsse das heute M. zu Folge aber erweitern auf europäische, internationale Grundrechte. Als Beispiele nennt M. etwa die „UN-Kinderrechtskonvention“ und die „Flüchtlingskonvention“. Kenntnis und Umgang mit diesen Menschenrechtskonventionen seien im Curriculum der Polizei-Ausbildung zu ergänzen. M. ergänzt seine ausdrücklich persönliche Meinung: Ein Generalistenbachelorstudiengang sei nicht mehr ausreichend, nachgerade ungenügend. „Ich bin also ein Verfechter, der sagt: wir brauchen einen speziellen Studiengang Kriminalpolizei“. Es gebe zwar Gründe dagegen [dann habe man mit der Kripo eine Elitepolizei]. Dieses Argument sei aber nicht mehr zeitgemäß.
Kniesel sieht ebenfalls Defizite in der Ausbildung. Er betont in diesem Kontext „Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte“. Zu Biesenbachs zweiter Frage spricht K. von verschiedenen „Ausbildungskulturen“ bei Schutz- und Kriminalpolizei. In einer Veränderung der polizeilichen Ausbildung sei jedenfalls anzusetzen.
Aden erwidert, in Berlin hätten Kriminalpolizist_innen eine sehr spezialisierte Ausbildung, auch die schutzpolizeiliche Ausbildung habe sich professionalisiert. Zur Frage der Menschenrechte merkt A. in Richtung Biesenbach an: „Menschenrechte, wofür Menschenrechte?“
Die Ausschuss-Vorsitzende Lüders wirft ein „Das hat er so nicht gesagt.“
Aden fährt in seinen Ausführungen fort und betont, dass Recht „schon eine Handlungsmaxime“ sei. Die Frage „Wie löse ich dieses Problem nicht nur polizeitaktisch, sondern auch rechtlich“, müsse Bestandteil der Ausbildung sein.
Feltes unterstützt Mokros‘ Forderung, die kriminalpolizeiliche Ausbildung zu verbessern. F. ist jedoch der Auffassung, dass auch die Beamt_innen für den niedrigen Dienst gut ausgebildet werden müssten. Hier gerate man in ein Finanzierungsdilemma, wenn man beide Ausbildungsstränge bedenken wolle.
Die Vorsitzende erteilt das Wort an Bernhard von Grünberg (SPD). Dieser fragt wiederum seinerseits (1) nach dem Verhältnis von Polizei und Verfassungsschutz. Darauf folgt ebenfalls (2) eine Nachfrage zur polizeilichen Zusammenarbeit auf länderübergreifender Ebene im Bereich des Rechtsextremismus (vorausgesetzt dass etwa Ku-Klux-Klan, die Bezugnahmen Breiviks auf internationale Netzwerke etc. ebenfalls über Länder-Grenzen hinweggingen). Hier gäbe es wirklich keine strukturelle international vernetzte Polizei-Arbeit?
Aden macht in Bezug auf die erste Frage von Grünbergs auf das „informationelle Trennungsgebot“ aufmerksam. Wenn bestimmte Grundrechte (Leib, Leben, Freiheit einer Person…) betroffen seien, müsse der VS die Informationen weitergeben. Bei Staatsschutzdelikten sei das schwieriger. Hier halte der VS aus Quellenschutzgründen Vieles zurück.
Michael Kniesel ergänzend: der VS „unterliegt nicht dem Legalitätsprinzip“, im Zweifel sei dem VS der Quellenschutz wichtiger.
Aden wendet an dieser Stelle ein: „Aber schwerwiegende Straftaten, dürfen nicht übersehen werden […] dann muss auch der Quellenschutz hinten anstehen.“
Mokros zur zweiten Frage von Grünbergs: Früher habe es in der Tat keine internationale Zusammenarbeit gegeben; jetzt habe man verbindende Antiterrorismus-Konventionen, da müsse zusammengearbeitet werden; „Wenn wir uns das Phänomen des Rechtsextremismus oder vorgelagert des Rechtspopulismus ansehen, sinkt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit.“ Darüber hinaus sei man in der BRD z.B. bei der Beobachtung der Musikszene sensibler als andere.
Feltes geht im Folgenden ebenfalls auf die zweite Frage von Grünbergs ein. Laut F. habe die internationale Zusammenarbeit im Kontext des NSU keine bedeutende Rolle gespielt. Man solle „europaweite Bezüge nicht überschätzen“. Man wisse auch viel zu wenig, wie denn die Szene funktioniere, wie Mitläufertum funktioniere, wie Radikalisierung funktioniere. Es sei viel wichtiger, hier besser zu werden, als die Frage nach der internationalen Zusammenarbeit zu fokussieren.
Die Vorsitzende erteilt das Wort an Birgit Rydlewski (Piraten). R. stellt erneut die Frage nach den Medienstrategien, die zuvor unbeantwortet geblieben sei [s.o.].
Mokros äußert sich hierzu wie folgt: Die Presse- u. Öffentlichkeitsarbeit liege in der Regel in der Zuständigkeit der Kreispolizeibehörde. Bei überregionaler Strahlkraft übernehme das Ministerium für Inneres die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Und insbesondere: Wenn es um Straftaten gehe, habe die Staatsanwaltschaft die Pressehoheit.
Andreas Kossiski (SPD) Zwischenruf [leise]: „Entscheidender Hinweis.“
Die Vorsitzende erteilt das Wort an Verena Schäffer (Bündnis 90/Die Grünen). Sch. fragt (1), nach einer „Fehlerkultur“ in der Polizei, sodann ist Sch. (2) daran interessiert, wie die Polizei mit „migrantischen Opferzeugen“ umgehe. Ferner möchte Sch. wissen, (3) wie die Polizei bei Ermittlungen in bestimmten regionalen/sozialen Räumen arbeite, ob und welches Erfahrungswissen hier zum Tragen komme und wie sich das ggf. vermeiden ließe (Stichwort Keupstraße)? Weiterhin fragt Sch., (4) wie es bei den ‚Fällen‘ der heute bekannten NSU-Morde dazu hatte kommen können, dass unabhängig voneinander sehr ähnliche Ermittlungshypothesen entstanden seien? In Bezug darauf, möchte Sch. die Frage beantwortet wissen, wie solche Hypothesen generell entstünden? Abschließend fragt sie, (5): Wie sind die Aufbewahrungsfristen für Asservate geregelt?
Feltes allgemein: „Oha!“. Zur ersten Frage einleitend merkt der SV an: „Da könnte ich jetzt den ganzen Nachmittag drüber referieren“. Es gäbe die Erwartung der Öffentlichkeit (bzw. die Politik glaube, dass die Öffentlichkeit diese Erwartung habe), dass die Polizei keine Fehler mache. Es gebe das unausgesprochene „Grundprinzip, dass diese Institution möglichst fehlerfrei“ läuft. Dazu begünstige das Legalitätsprinzip, dass Kolleg_innen, die Straftaten/Fehler bei Kolleg_innen beobachteten diese nicht berichteten [F. benutzt in diesem Zusammenhang das Wort „Vertuschung“]. In ‚Fällen‘, in denen solche Fehler dennoch (intern oder öffentlich) bekannt würden, sei die „Reflexreaktion“ des Polizeipräsidiums bzw. des Ministeriums vorstellbar, die sich vor die Mitarbeiter_innen zu stellen pflegten. „Es funktioniert nur da, wo das unterstützt und durch die Polizeiführung gewünscht wird“, resümiert F. zur Fehlerkultur.
Was die Frage Schäffers nach der Ähnlichkeit der Hypothesen in den heute bekannten NSU-‚Fällen‘ anbetreffe (Frage 4), spricht F. von „geronnenem Erfahrungswissen“: wenn man mit einem bestimmten „Erfahrungswissen“ „erfolgreich“ sei, sei das prägend für jede weitere Ermittlung. F. nennt das Beispiel in der BTM-Gesetz-Ermittlung am Beispiel Stuttgart: wenn man dort einen Schwarzafrikaner kontrolliere, sei das Ermittlungsergebnis – Drogendealerei/Verstoß gegen BTMG – „1 zu 1“. Wenn man einen Menschen im Nadelstreifen kontrolliere, sei man weniger „erfolgreich“. Beim nächsten Mal kontrolliere man künftig weniger häufig Menschen im Nadelstreifenanzug. Beim NSU hätten die Beamt_innen es „nicht auf dem Schirm gehabt“, in diese Richtung [in die Richtung politisch rechts motivierte Kriminalität]zu ermitteln. Das möge im Einzelfall bestimmte Gründe gehabt haben, auf die der PUA ja auch schauen müsse. Aber das Verhalten/Vorgehen der Beamt_innen beim NSU wäre insofern, d.h. mit Blick auf ihr „geronnenes Erfahrungswissen“, „nachvollziehbar“, auch wenn man es nicht verteidigen wolle: „Speziell in diesen NSU-Fällen ist man in diese Richtung gegangen […], das war eine Sackgasse. Von der Grundstruktur ist es nachvollziehbar, auch wenn es vielleicht nicht zu rechtfertigen ist“, so F.
Mokros äußert sich ebenfalls zu Schäffers vierter Frage nach den Ermittlungshypothesen: Hier sei es wichtig, an die Cop Culture zu denken. M. referiert Fahnder-Zitate, welche in Studien zitiert wurden: „Meine Schweine erkenne ich am Gang“ oder „Das da draußen ist der Zoo und wir sind die Dompteure“, in denen bestimmte Leitbilder zum Tragen kämen. Zugleich sei die allgemeine Erwartungshaltung an die Beamt_innen ebenso relevant, von denen man erwarte, keine Fehler zu machen: Kritik wiederum verunsichere die Beamt_innen. Der SV hierzu: „Es ist schwierig mit dem Selbstbild eines Polizisten vereinbar, Kritik anzunehmen. [Dies würde] nicht als Chance, sondern Rüge“ verstanden.
Aden erwidert seinerseits: Fehlerkultur sei bei der Polizei immer ein schwieriges Thema. A. sieht hier Defizite. Die Bundesrepublik sei hier „weit hinterher im internationalen Vergleich“. Ein Schritt, die Fehlerkultur zu verbessern, seien Überlegungen zu einem neuen Umgang mit dem Legalitätsprinzip (etwa: Karenzzeit einführen, in der ein_e Kolleg_in über Verfehlungen eines/einer anderen Kolleg_in berichten könne, ohne für die ‚Duldung‘ der Verfehlung = Strafvereitelung im Amt belangt zu werden) und darüber hinaus die Einrichtung eines „Beschwerdemanagements“ Man brauche einen „positiven Umgang mit Beschwerden“. Ein solches Beschwerdemanagement einzurichten, bzw. über das Legalitätsprinzip zu befinden, sei Aufgabe der Länder.
Die Vorsitzende erteilt das Wort an Andreas Bialas (SPD). B. fragt (1) Wer entscheidet über Ermittlungsrichtungen? B. möchte ferner wissen, ob es (2) Untersuchungen dazu gebe, welchen Einfluss politischer Wille auf die Ermittlungsrichtung habe? sowie (3) wer rechtlich „Herrin des Verfahrens“ sei.
Aden ergreift das Wort. A. erwähnt etwa den Umgang des Ministeriums mit Polizeipräsident_innen. Hier spielten auch persönliche Interessen (Karriere) und gruppendynamische Prozesse eine Rolle. Ergänzend zur Frage von Schäffer, zu den Orten der Ermittlung und migrantischen Opfern: Dass sich „Die nicht vorhandene Beschwerdemacht [der Opfer und ihrer Angehörigen]auswirkt auf das Verhalten [der Ermittelnden], ist doch völlig klar“. Cop Culture spiele hier gerade auch eine Rolle.
Mokros sagt, zurückkehrend zu Bialas‘ Frage, selbst die Frage formulierend: Was passiere eigentlich als erstes am Tatort? Bei Kapitaldelikten sei die Staatsanwaltschaft sofort dabei. „Es ist nicht so, dass da ein Toter liegt und da passiert nichts.“ Schwierig seien Taten im Bereich Körperverletzung bzw. Beleidigung. Positive Erfahrungen gebe es im Bereich Häusliche Gewalt: früher habe man hier oft mit Vorurteilen zum sozialen Status und Habitus der Betroffenen gearbeitet (M. nennt hier wörtlich: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“); mit klarerer Regelung, was unter Häuslicher Gewalt zu verstehen sei, habe sich die Ermittlungsoffenheit zum Positiven verändert. M. nennt hier wiederum die Sensibilität der Beamt_innen, auch die sei besser geworden.
Die Vorsitzende eröffnet die dritte Fragerunde und erteilt das Wort an Peter Biesenbach (CDU). Bs. erste Frage richtet sich an Feltes: B. möchte Genaueres zum Umgang mit Fehlern und mit dem Legalitätsprinzip wissen: Was bedeute das genau? Was für ein ‚Fall‘, welche Straftat könne das sein?
Feltes antwortet direkt auf Biesenbach: Sein Anliegen sei es, den Beamt_innen zu ermöglichen, sich – z.B. innerhalb von 48 Stunden – mit ihrer Beobachtung eines Fehlers einer/eines Kollegen/Kollegin zu melden, ohne „Strafvereitelung im Amt“ vorgeworfen zu bekommen.
Die Vorsitzende erteilt das Wort an Verena Schäffer (Bündnis 90/Die Grünen). Sch. beginnt mit einem Kommentar: Welches Erfahrungswissen könne das beim Keupstraßen-Anschlag gewesen sein? So viel Erfahrung habe man ja wohl nicht mit Sprengstoffanschlägen in diesem Ausmaß gehabt. Daraufhin kommt Sch. noch einmal auf die von ihr bereits gestellte Frage nach der Regelung der Aufbewahrungsfristen von Asservaten zurück und bittet um Beantwortung.
Aden meint in diesem Zusammenhang, es gebe „Regelungsdefizite“ bei Taten, die nicht verjähren. Der SV verweist beispielhaft auf den Umgang mit Asservaten des Attentats auf das Oktoberfest, hier habe es ebenfalls „erhebliche Probleme mit Asservaten“ gegeben.
Die Vorsitzende erteilt das Wort an Peter Biesenbach (CDU), dieser stellt die Frage an die Sachverständigen, welche politischen Anmerkungen, Forderungen, Hinweise der PUA denn im Gesamtzusammenhang des Themenbereiches Polizei formulieren könne. B.: „Was wäre aus Ihrer Sicht notwendig?“
Nadja Lüders (Vorsitz, SPD) bemerkt mit Blick auf die Zeit in Richtung Biesenbach, dass die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen nicht Aufgabe der Sachverständigen hier und generell sei. „Der Anspruch des Ausschusses [sei], sich eigene Gedanken zu machen.“
Lüders beendet hiermit den öffentlichen Teil der Sitzung und bittet Herrn Feltes, einen Link zu einem von ihm im Kontext des „Edathy-Ausschusses“ erstellten Gutachten zur Verfügung zu stellen.