In einer zweiten Sitzung beschäftigte sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss mit dem Bombenanschlag am 27. Juli 2000 am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn bei dem zehn Menschen zum Teil schwer verletzt und ein ungeborenes Baby getötet wurden. Diese Sitzung fand statt, weil die Zeit für die Vernehmungen in der vorherigen Sitzung am 7. Februar zu gering bemessen war, um den letzten Zeugen zu hören
Als Zeuge wurde in öffentlicher Sitzung gehört:
- Ralf Herrenbrück, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf
Vernehmung Herrenbrück
Der Vorsitzende des PUA, Sven Wolf eröffnete kurz nach 10 Uhr die Sitzung und sprach einleitende Worte. In diesem Rahmen äußerte er sich auch zum Thema Öffentlichkeit und Transparenz der Arbeit des PUA. Dem PUA sei der Grundsatz der Öffentlichkeit wichtig. Ziel sei, möglichst alle Sachverhalte öffentlich zu verhandeln, es werde auch keinen geheimen Abschlussbericht geben. Dennoch müsse die Fürsorgepflicht wahrgenommen werden, wenn Personen gefährdet seien, beispielsweise wenn sie Gefahr liefen, bei der Beantwortung von Fragen geheime Informationen zu offenbaren, also Geheimnisverrat zu verüben. Die Frage von Monika Düker (Bündnis 90/Die Grünen) auf der letzten Sitzung – gemeint war eine Frage bezüglich eines Treffens von EK-Acker-Leiter Dietmar Wixfort mit dem Verfassungsschutz NRW – sei berechtigt gewesen. Dennoch habe er intervenieren müssen, da nicht auszuschließen gewesen wäre, dass eine Antwort dem Geheimschutz widersprechen würde. Auch der heutige Zeuge, Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück, könne wegen noch laufender Ermittlungen nur eingeschränkt Informationen preisgeben. Es habe auch den Vorwurf gegeben, so Wolf weiter, dass der PUA etwas verschweigen wolle, dies sei aber nicht der Fall. Man wolle die Aufklärung des Wehrhahn-Anschlags aber auch nicht gefährden, das wäre nicht im Interesse der Öffentlichkeit und des Ausschusses.
Anschließend rief Wolf den Zeugen Herrenbrück auf, der zunächst über seinen Status als Zeuge belehrt wurde. Herrenbrück stellte sich kurz vor: Er sei 54 Jahre alt, habe in Marburg Rechtswissenschaften studiert, von 1997 bis 2000 in Rostock gearbeitet, seit 2000 dann als Staatsanwalt in Düsseldorf, seit 2012 als Oberstaatsanwalt.
Der Vorsitzende Wolf stieg in die Befragung mit dem Thema „Belange der Opfer“ ein. Er fragte, wie diesen Belangen Rechnung getragen worden sei. Der Zeuge führt aus, dass versucht worden sei, sich in die Lage der Opfer zu versetzen. Die Situation sei für diese außergewöhnlich schwierig, man habe ihnen vermitteln müssen, dass die Tat eventuell nie geklärt werden könne. Man habe mit ihnen im Zuge der Neuermittlungen Kontakt aufgenommen. Aber trotz der Ermittlungsfortschritte hätte man ihnen erst mal keine Hoffnungen machen wollen. Während der Durchsuchungsmaßnahmen habe man, aus Rücksichtnahme auf die Betroffenen, sie noch vor der Presse informiert. Zehn habe man erreichen können. Opferschutzbeauftragte der Polizei und Opferschutzverbände seien eingeschaltet worden, sich um die Opfer zu kümmern bzw. ein entsprechendes Angebot zu machen. Demnächst sei ein Treffen mit allen zwölf geplant in Vorbereitung auf das Gerichtsverfahren.
Wolf hakte nach und bat um Konkretisierung, er möchte wissen, ob beispielsweise die „Opferberatung Rheinland“ eingebunden worden sei? Diese konkrete Frage beantwortete Herrenbrück nicht. Man habe karitative Verbände eingebunden. Vertreter der „Opferberatung Rheinland“, die auf Sitzen des Publikums Platz genommen hatten, schüttelten auf die Frage des Vorsitzenden den Kopf, um die Frage stillschweigend zu beantworten, deren direkte Beantwortung der Zeuge umgangen hatte. Alle Opfer sollen befragt werden, wie es ihnen geht/ging, so Herrenbrück. Aktuell sind in der Anklage der Sprengstoffanschlag und die besonders schweren Verletzungen berücksichtigt. Körperverletzungen im Einzelfall sollen nochmals erfragt werden bei den Betroffenen und dann einfließen in die Anklage.
Der Vorsitzende fragte, ob auch im Umfeld der Opfer oder gegen einzelne Opfer ermittelt worden sei. Herrenbrück verneinte dies explizit, er habe entsprechende Ansinnen abgelehnt. Als Stichworte nannte er die von außen herangetragenen Optionen „Beziehungstat“ und „Organisierte Kriminalität“ (OK) mit Bezug zu Osteuropa. Es seien zwei auswärtige OK-Delikte auf mögliche Verbindungen zum Wehrhahn-Anschlag untersucht worden, aber nicht mit Bezug zu den Opfern – „in meiner Zeit“.
Wolf fragte nach Ermittlungen und Erkenntnissen über einen möglichen Zusammenhang zum NSU. Der Zeuge erwiderte daraufhin, dass das LKA ihnen Ermittlungsergebnisse präsentiert habe („Prüffall“), ansonsten hätte es keine Einbindung gegeben. Ein Zusammenhang sei nicht feststellbar gewesen. Auch deshalb, weil der Wehrhahn-Anschlag nicht auf dem NSU-Bekennervideo abgebildet worden sei. Bei den Sprengstoffanschlägen des NSU sei ein wesentlich anderer Sprengstoff benutzt worden. Es könnte natürlich trotzdem ein Zusammenhang bestehen, aber man habe nichts entdecken können. Zudem wisse auch man nicht, wo sich die drei bislang bekannten NSU-Mitglieder am 27. Juli 2000 aufgehalten hätten.
Er, so Herrenbrück, sei Ansprechpartner in Sachen politische Extremismus, auch Salafismus, für den GBA, habe also Kontakt nach Karlsruhe. Er habe eine schriftliche Anfrage an den GBA gestellt bezüglich Carsten S. [Anm.: Mitangeklagter im NSU-Strafprozess vor dem Münchener OLG, stammt aus Jena]. Dieser sei insofern interessant gewesen, weil er zeitweise in Düsseldorf gelebt habe und dort auch verhaftet wurde. Carsten S. hätte aber glaubwürdig keine Erkenntnisse zur Düsseldorfer Szene, zum Anschlag und zum Aufenthalt der drei untergetauchten Neonazis um 2000 liefern können. Zumal er erst 2003 nach Düsseldorf gekommen sei. Carsten S. hätte den mutmaßlichen Bombenleger Ralf S. nicht gekannt, aber Personen aus dessen Umfeld.
Wolfe fragte als nächstes zur Alleintäter-These, zu Mitwissern und eventuell weiteren Beteiligten. Herrenbrück erläuterte, dass alles für die Begehung der Tat Nötige in der Person des Beschuldigten vereint sei. Insofern sei er also ein Einzeltäter, das schließe aber nicht aus, dass es weitere Personen geben könnte, die in welcher Form auch immer (Teil)Kenntnisse bekommen hatten – versehentlich oder bewusst. Zwingend sei das aber nicht. Durch die dreijährige Überwachung von Ralf S. habe man ein klares Bild des Beschuldigten bekommen. Hinzu kämen damalige Aussagen rechter Gesinnungsgenossen, die ihm nicht vertraut hätten, da er unzuverlässig gewesen sei. Teile der rechten Szene hätten sich sogar von ihm distanziert. Ausschließen könnte man aber nichts, es würden auch noch Ermittlungen laufen zur Zeit. Der Beschuldigte selbst schweige zur Zeit.
Wolf möchte wissen, ob Herrenbrück Kontakt zum Verfassungsschutz NRW gehabt hätte. Der Zeuge verneinte. Er selbst habe keinen Kontakt gehabt, er sei aber auch nicht von Anfang an dabei gewesen. Das sei damals über den EK-Leiter Dietmar Wixfort gelaufen, eine Rücksprache mit dem Landesamt sei damals angeordnet worden. Von einer Kooperation mit dem Verfassungsschutz sei also auszugehen. Er selbst als Extremismusbeauftragter für den GBA bekäme Infos vom Verfassungsschutz für Ermittlungsverfahren, die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut, aktuell sei sie enger denn je – Stichworte §89a, „Gefährder“, Islamismus. Der Verfassungsschutz melde sich, wenn er was habe. Das sei aber offenbar beim Wehrhahn-Anschlag nicht der Fall gewesen. Herrenbrück schloss mit der Bemerkung „Aber wie gesagt, die Voraussetzung war immer, dass es was zu melden gegeben hätte. Dafür habe ich aber keinen Ansatz gesehen.“
Wolf hatte keine weiteren Fragen mehr und eröffnete die Fragerunde. Heiko Hendriks (CDU) ließ sich von Herrenbrück noch einmal bestätigen, dass kein Zusammenhang zwischen Wehrhahn-Anschlag und NSU bekannt sei – auch nicht über Carsten S. – und dass es durchaus möglich sei, dass es Personen geben würde, die irgendetwas von den Plänen des Täters mitbekommen hätten. Zudem würden sie davon ausgehen, dass Ralf S. bereits 1999 mit der Vorbereitung begonnen habe. Es sei schwierig gewesen, alles geheim zu halten, schließlich habe es ein soziales Umfeld gegeben. Eventuell hätte auch wer was bemerkt, aber anders interpretiert – Stichwort Militarialaden. Von Helfern ginge er nicht aus, das passe auch nicht zur Persönlichkeit des Beschuldigten.
Auf Nachfrage von Hendriks mutmaßte der Zeuge, dass zwischenzeitlich alle zwölf Opfer des Anschlags betreut würden, also auch die beiden, die zunächst nicht erreicht worden seien.
Andreas Kossiski (SPD) wollte wissen, ob nach Verbindungen zu anderen extrem rechten Sprengstoffanschlägen Ende der 1990er Jahre gesucht worden sei. Er fragte konkret nach Verbindungen zu den Anschlägen in der Kölner Probsteigasse Anfang 2001 und Keupstraße 2004. Da der NSU ja nicht nur einmal TNT als Sprengstoff verwendet hätte. Herrenbrück bestätigt dies, ging aber auf die Frage nach dem Sprengstoffähnlichkeiten nicht näher ein. [Anm.: Schwarzpulver war das Sprengmittel der Bomben in der Kölner Probsteigasse und in der Keupstraße. TNT wurde 1998 in der von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe genutzten Garage sichergestellt. Unaufgeklärt und bislang ohne Verbindungen zum NSU sind zwei Anschläge mit Sprengfallen im Frühjahr 1993 in Köln, bei denen TNT verwendet wurde.]
„Auf Eigeninitiative“ sei Dietmar Wixfort nach Köln gefahren, um einen Abgleich zwischen dem Wehrhahn-Anschlag und den beiden Kölner Bomben durchzuführen. Dieser hätte auch versucht, den Sprengstoffanschlag bundesweit zu thematisieren, habe aber keine Parallelen zu anderen Anschlägen gefunden. Man habe alles über den Sprengkörper gewusst, aber nichts über das Täterprofil. Die OFA habe dann später dieses Dunkelfeld erhellt, so Herrenbrück.
Kossiski merkte an, dass er ehrlich gesagt dem offenen Datenfluss nicht traue, das habe man schon bei der Probsteigasse gemerkt, dass das nicht funktioniere. Er fragt Herrenbrück auch danach, ob ihm das Konzept „führerloser Widerstand“ bekannt gewesen sei. Darauf antwortet Herrenbrück, dass er sich sicher sei, dass Wixfort alles überprüft hätte und allen Spuren nachgegangen sei, die Hinweise auf eine Verbindung zum NSU hätten liefern können.
Kossiki wollte weiter wissen, was der Zeuge über die von Wixfort als „oberflächlichen Stubendurchgang“ bezeichnete, vom Polizeilichen Staatsschutz Düsseldorfer bei Ralf S. durchgeführte Hausdurchsuchung, wisse. Herrenbrück antwortete, dass er die Arbeit früherer Dezernenten nicht kommentieren möchte. Er kenne auch die Besprechungen vor seiner Zeit nicht. Möglicherweise hätte es auch „Einzelversagen“ gegeben, die Fehler seien aber „nicht systemisch“ gewesen. Die Hinweise auf Ralf S. hätten damals lediglich auf einen losen Verdacht basiert.
Monika Düker (Bündnis 90/Die Grüne) wollte gerne mehr Informationen zum Umfeld und zur Vernetzung von Ralf S. sowie zu möglichen Mitwissern hören. Sie nannte als Stichworte das „Nationale Infotelefon Rheinland“ (NIT) und die „Kameradschaft Düsseldorf“. Herrenbrück antwortete, dass allgemein unstrittig sei, dass Ralf S. „außergewöhnlich“ sei, auch in der Öffentlichkeit. Er sei unzuverlässig gewesen und schwer einbettbar. Natürlich habe Ralf S. das NIT gekannt. Auch mit NIT-Betreiber Sven S. sei er bekannt gewesen. Ein Vertrauensverhältnis und näherer Kontakt zueinander sei aber von beiden bestritten worden.
Düker hakte in Sachen OFA nach. 2000 hätte dieses Instrument ja noch nicht zur Verfügung gestanden. 2004 sei es aber bereits bei den Ermittlungen zum Keupstraßen-Anschlag angewandt worden…
Herrenbrück sagte aus, dass man bei der Einrichtung der OFA daran gedacht hätte, diese zu nutzen. Die Ermittlungen seien aber damals ins Stocken geraten, man hätte andere Theorien nicht ausgeschlossen. Das sei für die OFA aber zu breit aufgestellt gewesen. 2015 sei die Situation anders gewesen. Da habe es einen konkreten Tatverdacht wegen des Geständnisses von Ralf S. einem Mithäftling gegenüber gegeben. Ein wichtiger Ansatzpunkt sei auch die Frage gewesen, ob die Opfer zufällig ausgewählt worden waren – was ja nicht der Fall gewesen sei. Wie und warum sollte genau diese Gruppe, die täglich in einem unauffälligen Hinterhaus verschwand, das noch nicht einmal als Schule erkennbar gewesen sei, ins Visier des Täters geraten sein? Extrem rechte Anschläge habe er zudem immer, so Herrenbrück, als Anschläge auf Gebäude wahrgenommen, in denen sich die Menschen befanden, denen die Anschläge galten, so wie in Rostock-Lichtenhagen und in Freital. Für ihn sei lange nicht erklärbar und nur schwer vorstellbar gewesen, dass ein Attentäter seine Opfer aus dem Gebäude einige 100 Meter bis zum S-Bahnhof gehen lässt, um sie dann in aller Öffentlichkeit und mit der Gefahr verbunden, Unbeteiligte zu gefährden, einem Anschlag aussetzt. Das „Mosaikkunstwerk“ der OFA habe hier den Durchbruch bewirkt. Weitere Indizien hätten sich daraus wie eine Kettenreaktion („Dominosteine“) ergeben.
Düker fragte nach dem Alibi, dass eine Zeugin Ralf S. für den Tatzeitpunkt gegeben hätte und brachte ihr Erstaunen zum Ausdruck, dass die 120.000 DM Belohnung nicht dazu geführt hätten, dass irgendwer Ralf S. in den Rücken gefallen sei.
Herrenbrück gab zu bedenken, dass es, wie gesagt, möglicherweise keine Mitwisser gegeben habe. Er wies darauf hin, dass dem Tatverdächtigen nie ein Alibi gegeben worden sei. Es habe sich allein um die Schilderung des Tagesablaufs des Beschuldigten gehandelt. Auf dieser Grundlage wäre es für den Beschuldigten schwierig gewesen, die Tat zu begehen, da das Zeitfenster sehr eng gewesen wäre. Es habe auch niemand ein Alibi widerrufen, da es keins gegeben habe. Es sei darum gegangen, ob die Tat mit dem geschilderten Zeitablauf vereinbar gewesen wäre, es sei schwierig gewesen, Ralf S. um 15.03 Uhr an den Tatort zu kriegen.
Düker fragte nach einer Äußerung von Herrenbrück etwa zehn Jahre nach dem Anschlag. Die „Rheinische Post“ hätte berichtet, dass der Zeuge damals einen extrem rechten Hintergrund ausgeschlossen hätte, weil es kein Bekennerschreiben gegeben hätte. Herrenbrück erwiderte, dass das Thema Bekennerschreiben aus der extremen Rechten seit dem Bekanntwerden des NSU in einem anderen Licht zu sehen sei. Aber auch das NSU-Video sei ja nebst Propaganda eine Art Bekennung gewesen, wenn auch gezielt verzögert. Zudem sei das Thema differenzierter zu sehen, als das im Rahmen der Zusammenfassung eines Interviews erscheinen möge. In dieser sei auch nur ein Teilaspekt zur Sprache gekommen, seine Ausführungen seien allgemeiner aufgestellt gewesen und hätten auch den Themenbereich Salafismus umfasst. Professionell sei es, nie etwas auszuschließen. Die Frage nach einem Bekennerschreiben sei für ihn nicht maßgeblich gewesen, wichtiger gewesen sei für ihn die Frage, warum man die Gruppe Sprachschüler das Gebäude habe verlassen lassen. Beziehungsweise die Frage, ob die Gruppe gezielt ausgewählt wurde.
Nach den Grünen kam die FDP an der Reihe, den Zeugen zu befragen. Die Abgeordnete Yvonne Gebauer hatte allerdings keine Fragen. Deswegen kamen nun die Piraten an die Reihe. Birgit Rydlewski, Obfrau der Piratenfraktion im PUA, führt aus, dass der Verfassungsschutz NRW Erkenntnisse von einer Düsseldorfer Neonazi-Festivität drei Tage nach dem Anschlag gehabt hätte, an der 35 Neonazis teilgenommen hätten. Hier sei darüber gesprochen worden, dass Ralf S. die Tat zuzutrauen sei. Dieser habe auch Kontakt zu Melanie D. und Sven S. gehabt. Herrenbrück erwiderte, dass dies auch der EK Acker bereits 2000 bekannt gewesen sei.
Rydlewski hielt dann eine gegen Ralf S. geführte Anzeige wegen Verstoß wegen das Waffengesetz vor und bezog sich dabei auf eine polizeiliche Aussage von Benjamin W., der aus dem Umfeld von Ralf S. stammte und dem Ralf S. Waffen zum Kauf angeboten haben soll. Herrenbrück erklärte, dass man damals nur „lesebegleitend beteiligt“ gewesen sei, da der Vorfall – Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz – nicht im Zuständigkeitsbereich seiner Abteilung gelegen hätte. Geprüft worden sei, ob Ralf S. Zugang zu Materialien gehabt hätte, die beim Wehrhahn-Anschlag verwendet wurden. Dies sei aber nicht verifizierbar gewesen, es sei zu keiner Übergabe oder zu einem Auffinden der Gegenstände bei einer Razzia gekommen. Herrenbrück bewertete diverse Angaben von Benjamin W. als eher unglaubwürdig. Er habe die Aussagen des Zeugen deshalb auch nicht aufgenommen in die Indizienkette zur Überführung des beschuldigten Ralf S. vor Gericht.
Rydlewski sprach dann einen Auszug aus einer Telefonüberwachung von Benjamin W. an. W. habe im September 2001 mit einem Herrn Hochhäuser vom Polizeilichen Staatsschutz Düsseldorf telefoniert. Dieser hätte dem Arbeitslosen geraten, doch mal eine bestimmt Telefonnummer anzurufen und einen Herrn Blank zu verlangen, der hätte eventuell Arbeit anzubieten. Die Telefonnummer sei eine öffentliche Nummer des Verfassungsschutz NRW gewesen. Rydlewski wollte wissen, ob das mit der Staatsanwaltschaft abgesprochen gewesen wäre. Herrenbrück entgegnete, dass er damals diesen Vorfall nicht bearbeitet hätte und – falls das doch der Fall gewesen wäre – diese Frage ohnehin nicht hätte beantworten dürfen. Der Zeuge betonte mehrfach: Wenn es belastende Hinweise gegeben hätte, hätte er sie verwendet. Das wäre aber nicht der Fall gewesen. Zudem habe er auch bereits alles Nötige zu Benjamin W. gesagt.
Der PUA-Vorsitzende Wolf sprach noch ein weiteres Mal die Alleintäterthese sowie das Konzept „Leaderless Resistance“ („Führungsloser Widerstand“) an.Der Zeuge entgegnete, dass man das alles im Blickfeld gehabt hätte. Es hätte 25 „Spuren rechts“ gegeben, die Skepsis, dass der Anschlag eventuell doch keinen rechten Hintergrund gehabt haben könnte, habe nichts mit fehlenden Kenntnissen oder Bekennerschreiben zu tun gehabt, sondern damit, dass sich nicht Konkretes aufgetan hätte. Man habe alles abgecheckt: darunter Personen, die drei Jahre zuvor eine Brandstiftung begangen und auch Personen, die erst vor kurzem ein Körperverletzungsdelikt verübt hätten. Es hätte einfach keine Hinweise gewesen, die es ermöglicht hätten, die Tat jemandem aus der rechten Szene zuzuordnen.
Wolf bedankte sich bei dem Oberstaatsanwalt Herrenbrück für das Vertrauen, dass die Staatsanwaltschaft in den PUA gehabt hätte und schloss um 11.10 Uhr den öffentlichen Teil der Sitzung.
Fazit
Die Vernehmung von Ralf Herrenbrück brachte nur wenig neue Informationen, die über die Aussagen auf der Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft hinausweisen. Verwunderlich waren die Aussagen des Zeugen zur Operativen Fallanalyse (OFA), einer kriminalistisch-psychologischen Methode bei der Fallanalytiker („Profiler“) anhand der vorhandenen Informationen über eine Tat ein Profil des mutmaßlichen Täters erstellen. Eine solche OFA wurde erst 2015 durchgeführt, als die Ermittlungen bereits auf einen konkreten Verdächtigen, Ralf S., fokussiert waren. Nach Aussage des Zeugen wurden die Ergebnisse dieser OFA zur Bekräftigung des Tatverdachts gegen Ralf S. herangezogen. Die übliche Vorgehensweise sollte eigentlich umgekehrt sein: Eine OFA soll zu einem Zeitpunkt, an dem die Ermittlungen festgefahren sind, wie im Falle Wehrhahns ab 2001, Hypothesen liefern, welche der Polizei eine Charakterisierung des Täters und damit neue Ansatzpunkte für Ermittlungen liefert. Nach dem Keupstraßen-Anschlag 2004 wurden zwei OFA (durch das LKA NRW sowie das BKA) durchgeführt, deren Hinweise auf eine „türkenfeindliche“ Motivation des Täters allerdings von den Ermittlern ignoriert wurden. Beim Wehrhahn-Anschlag verzichtete man auf dieses Mittel. Eine einleuchtende Erklärung dafür konnte der Zeuge nicht liefern.
Zur Rolle des Verfassungsschutzes während der Wehrhahn-Ermittlungen konnte der Zeuge ebenfalls wenig Erhellendes beitragen, da er keinen persönlichen Kontakt gehabt habe. Es ist deshalb unverständlich, warum beispielsweise die „Rheinische Post“ im Anschluss an die Sitzung titelte, dass keine Verfassungsschutz-Panne festzustellen sei. Die sich eigentlich aufdrängenden Fragen nach der Rolle des Verfassungsschutz-V-Mannes Andre M., der bei Ralf S. arbeitete, wurden durch die Abgeordneten gar nicht erst gestellt. Hier haben die Mitglieder des PUA sich des Versuchs der Aufklärung gegenüber der Öffentlichkeit verweigert. Bemerkenswert ist allerdings ein Detail, dass durch einen Vorhalt von Birgit Rydlewski (Piraten) bekannt wurde: Die Polizei ermittelte 2001 aufgrund einer Aussage eines Benjamin W., der sich im Umfeld des Ralf S. bewegte, gegen S. wegen des Verdachts des Waffenhandels. Zeitgleich empfahl ein Mitarbeiter des Staatsschutzes Düsseldorf dem W., er solle sich bei einem Herrn Blank vom NRW-Verfassungsschutz melden. Der Hintergrund dieser „Vermittlung“ ist unklar. Mutmaßlich wollte der Polizeiliche Staatsschutz dem Verfassungsschutz einen aussagewilligen Rechten zu führen, damit dieser möglicherweise als V-Mann angeworben werden könne. Ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter mit dem Namen Blank war bereits im Zusammenhang mit dem ehemaligen Brandenburger V-Mannes Toni S. im PUA thematisiert worden. 2003 versuchte dieser Herr Blank Toni S. telefonisch zu kontaktieren und rief dabei versehentlich bei der Polizei Frankfurt/Oder an. Was Blank von Toni S. wollte, ist ungeklärt. Toni S. hat vor dem PUA verneint, Kontakt mit dem Verfassungsschutz NRW gehabt zu haben.
Auch zur Rolle des Polizeilichen Staatsschutzes im Wehrhahn-Verfahren konnte der Zeuge Herrenbrück nur wenig mitteilen. Als Fazit bleibt nach dieser Sitzung des PUA also festzuhalten, dass viele Fragen (wie wir sie u.a. hier formuliert haben) weiterhin offen sind.