Zeugenvernehmung vom 19. August 2015 – Zusammenfassung

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Nach mehreren Anhörungen von Sachverständigen begann nach der Sommerpause die Befragung der ersten Zeug_innen durch den Untersuchungsausschuss des Landtags NRW. Für die erste Sitzung am 19. August 2015 waren geladen:

  • Hans-Bernhard Jansen, Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Köln, seit 2003 im Ruhestand
  • Karl-Heinz Schlotterbeck, Staatsanwalt als Gruppenleiter bei der Staatsanwaltschaft Köln, seit 2013 im Ruhestand
  • Edgar Mittler, Kriminalhauptkomissar im Polizeipräsidium Köln, 2001 Leiter der Ermittlungsgruppe „Probst“, seit 2006 im Ruhestand

Begleitend zur Ausschusssitzung führte die Initiative „Keupstraße ist überall“ eine Kundgebung vor dem Landtag durch und forderte rückhaltlose Aufklärung des NSU-Komplexes und die Anerkennung und Bearbeitung von institutionellem Rassismus innerhalb der Behörden. Auch Betroffene aus der Keupstraße und die Anwältin der vom Anschlag in der Probsteigasse betroffenen Familie sprachen dort. Um 14 Uhr ging eine Demonstration zum Burgplatz.

Der Ausschussvorsitzende Sven Wolf eröffnete die Sitzung und begrüßte explizit die Mitglieder der Initiative „Keupstraße ist überall“, die sich mit einem Offenen Brief an den Ausschuss gewandt hatte. Dann wurde der erste Zeuge, Hans-Bernhard Jansen aufgerufen. Er war jedoch nicht anwesend. Er traf mit 20 Minuten Verspätung ein, so dass die Befragung erst um 10:30 Uhr beginnen konnte.

Vernehmung Hans-Bernhard Jansen

Er selbst sei nicht in die Ermittlungen zur Probsteigasse eingebunden gewesen, sondern habe den Tatkomplex lediglich nach dem Tod des zuständigen Kollegen übernommen, so Jansen. Daher könne er zu den Ermittlungen nichts sagen. Auch an Gespräche mit dem Kollegen oder zu dem Fall könne er sich nicht erinnern. Jansenn war zum damaligen Zeitpunkt der Leiter der Abteilung für Kapitaldelikte bei der Staatsanwaltschaft Köln und somit der direkte Dienstvorgesetzte des die Ermittlungen leitenden Staatsanwalts. Jansen gab auch an, dass er sich jeden Morgen mit seinen Dezernenten im Büro zu einer Besprechung aktueller Fälle versammelt habe.

Die Fragen der Abgeordneten zielten immer wieder auf die frühe Einstellung des Verfahrens bereits nach fünf Monaten und die Vernichtung der Asservate 2006. Über die Einstellung des Verfahrens will Jansen nicht informiert worden sein. Die Tatsache, dass für die Asservate 2003 zuerst eine längerfristige Aufbewahrung verfügt, diese aber 2006 dennoch zur Vernichtung freigegeben worden waren, kommentierte Jansen damit, dass man diese Entscheidung im Nachhinein durchaus als „groben Fehler“ bezeichnen könne. Einen Anteil an der Entscheidung wies er aber von sich, da bereits 2003 in den Ruhestand gegangen sei. Zugleich schob er die Verwantwortung dem Staatsanwalt Schlotterbeck zu, dessen Besetzung er als „Verlegenheitslösung“ bezeichnete.

Viele Abgeordnete äußerten ihr Unverständnis über die „blasse Rolle“ der Staatsanwaltschaft in den Ermittlungen. Jansen ließ diese Kritik an sich abperlen, in der er immer wieder auf der strikten Trennung zwischen den kriminalistischen Aufgaben der Polizei und den strafprozessualen Aufgaben der Staatsanwaltschaft hinwies. Für die Ermittlungen sei die Polizei verantwortlich gewesen. Daraufhin wurde ihm vorgeworfen, dass die Staatsanwaltschaft doch eigentlich die „Herrin des Verfahrens“ sei.

Ein Raunen durchzog den Sitzungssaal, als Jansen erklärte, der Bombenanschlag in der Probsteigasse sei seiner Ansicht nach „nichts Besonderes“ gewesen. Deswegen habe er auch keine Erinnerungen mehr an den Fall. Wie viele ähnlich schwere Sprengstoffanschläge in Köln denn im Jahr stattgefunden hätten? Daran konnte er sich wiederum nicht genau erinnern. Ebenso hatte er keine Erinnerung an ähnliche Bombenanschlägen in Köln in den Jahren 1992 und 1993. Die Erinnerung blieb auch dann verschwunden, als ihm ein Vermerk aus dem Verfahren zu den Sprengfallen 1993 präsentiert wurde, den er – dies bewies seine Unterschrift – zur Kenntnis genommen hatte. Jansen aber stellte sich auf den Standpunkt: Wenn es bei diesen Bomben einen Zusammenhang zum NSU gäbe, müssten diese Anschläge doch Gegenstand des Prozesses in München sein. Der Generalbundesanwalt habe offenbar auch keinen Zusammenhang zur Probsteigasse gesehen.

Erinnerungslücken des Zeugen, der sich ansonsten detailgetreu an bestimmte Sachverhalte erinnern konnte, zeigten sich auch in einem anderen Fall. Nach dem Dreifachmord von Overath im Jahr 2003 gefragt, gab Jansen an, auch hiermit nicht befasst gewesen zu sein. Erst als ihm ein Zitat aus einem FAZ-Artikel vorgehalten wird, in dem er sich als damaliger Oberstaatsanwalt zu dem Fall äußert, kommt die Erinnerung plötzlich zurück. Er sei zu diesem Zeitpunkt Pressesprecher gewesen, der Fall sei aber ohne politische Dimension gewesen. Der Täter habe irgendwie Streit mit dem Anwalt gehabt, so Jansen. Dabei war ihm zuvor ein Zitat aus den Akten des Täters, dem Neonazi Thomas A., vorgelesen worden. In den Akten wird ausgeführt, dass A. seine Tat sehr wohl als politische begriffen hatte. Er habe erklärt, dass der Staat krank und von korrupten Politikern durchwachsen sei und bekämpft werden müsse. Aus Schriften, die in seiner Wohnung gefunden worden seien, ginge hervor, dass die Tatwaffe – ein Schrotgewehr – dazu genutzt werden sollte, im ganzen Bundesgebiet Rechtsanwälte zu erschiessen. Die Waffe sollte dann von Gleichgesinnten von Hand zu Hand weitergereicht werden, um die Polizei zu verwirren.

Auf Unverständnis stieß vor allem Jansens Antwort auf die Frage, ob damals in Richtung Rassismus ermittelt worden sei: „Fremdenfeindlichkeit“ sei damals kein Thema gewesen. Das habe es so noch nicht gegeben, behauptete der Zeuge. Unter den Mitgliedern des Ausschusses und im Publikum sorgte diese Aussage für Unruhe.

Vernehmung Karl-Heinz Schlotterbeck

Ganz anders als als sein damaliger Abteiungsleiter Oberstaatsanwalt Jansen ordnete der Staatsanwalt a.D. Schlotterbeck den Anschlag in der Probsteigasse ein. Er habe sich den Fall intensiv angesehen, Sprengstoffanschläge seien ja nicht alltäglich gewesen. Er könne sich noch genau an den Fall erinnern, weil er so außergewöhnlich gewesen sei, nicht zuletzt wegen den schweren Verletzungen der Geschädigten. Auch in seiner Befragung steht die frühe Einstellung des Verfahrens und die Vernichtung der Asservate im Mittelpunkt.

Als er 2006 die Akte gelesen habe, habe er keinen weiteren Ermittlungsansatz durch die Asservate erkennen können, sie hätten also keinen Beweiswert gehabt. Da die Asservatenkammer notorisch überfüllt sei, habe er entschieden, dass die Asservate zur Entlastung vernichtet werden könnten. Er wisse, dass mögliche DNA-Spuren durch die Hitze der Explosion vernichtet worden seien, Fingerabdrücke habe es nicht gegeben. Als er gefragt wurde, ob er wisse, dass die technische Entwicklung so weit fortgeschritten sei, dass DNA-Spuren mittlerweile trotz hoher Temperaturen rekonstruiert werden könnten, zeigte er sich verblüfft.

Mit der Polizei hatte er vor der Verfügung der Asservatenvernichtung nicht noch mal Kontakt aufgenommen. Er sei davon ausgegangen, dass sich die Polizei bei der Staatsanwaltschaft gemeldet hätte, wenn es neue Spuren gegeben hätte. Dem Zeugen wurde vorgehalten, dass er nicht erst 2006, sondern bereits 2003 die Akten zum Fall in der Hand hatte. 2003 hat er die längerfristige Aufbewahrung der Asservate nahegelegt. Als dann 2006 die Akten zur Wiedervorlage wieder auf seinem Tisch lagen, erfolgte die Anweisung zur Asservatenvernichtung. Damit konfrontiert, erklärte Schlotterbeck, drei Jahre bedeute für ihn längerfristig. Auf Nachfrage erklärte er, die Entscheidung der Asservatenvernichtung habe er ganz alleine mit sich getroffen. Es habe keinen Druck auf ihn gegeben, er habe mit niemanden deswegen Kontakt gehabt. Seine damalige Enscheidung sei aber „konsequent und richtig“ gewesen, so der Zeuge.

Verbindungen zwischen dem Anschlag in der Probsteigasse und demjenigen in der Keupstraße habe er nie gezogen, die Fälle seien zu verschieden gewesen. Die Polizei erstellte 2004 jedoch eine Synopse – einen Vergleich – der Anschläge in der Probsteigasse und der Keupstraße, die deutliche Parallelen zwischen beiden Fällen darlegte. Diese Synopse sei ihm nicht bekannt, so Schlotterbeck, andernfalls hätte er verfügt, die Probsteigassen-Akte an die Polizei zu senden. Sie Synopse scheint also nicht an die Staatsanwaltschaft gegangen zu sein.

Auf die Idee, dass es sich um einen „fremdenfeindlichen Anschlag“ handeln könnte, sei er zu keiner Zeit gekommen. Die Probsteigasse sei anderes als die Keupstraße nicht als eine von Migrant_innen geprägte Straße bekannt. Nichts habe auf „Fremdenfeindlichkeit“ hingedeutet. Es hätte auch jemand anderen treffen können, die Opfer seien „Zufallsopfer“ gewesen, führte Schlotterbeck aus. Die Frage, ob Rassismus bei Betroffenen mit migrantischem Hintergrund nicht immer als mögliches Motiv mitgedacht werden müsse, verneinte er. Das führe seines Erachtens zu weit.

In der Vernehmung wurde auch bekannt, dass die Einstellung des Verfahrens im Sommer 2001 der Geschädigten und ihrer Familie nicht mitgeteilt wurde.

Vernehmung Edgar Mittler

Mittler war 25 Jahre im KK13 des Polizeipräsidiums (PP) Köln tätig, also mit Sprengstoff- und Branddelikten befasst. Einen Tag nach der Explosion in der Probsteigasse wurde er der Leiter der Ermittlungskommission „Probst“.

Vom Landeskriminalamt (LKA) habe er die Tatortgruppe Sprengstoff angefordert. Es habe eine Arbeitsteilung zwischen dem PP Köln und dem LKA gegeben, letzteres sei für die Aufnahme des Tatorts und für die Abfrage des Tatmittelmeldedienstes verantwortlich gewesen. Bereits am ersten oder zweiten Tag habe es auch Kontakt zur Staatsanwaltschaft gegeben. Auch der Staatsschutz sei über die Geschehnisse informiert worden und habe eine Zweitakte erhalten. Der Staatsschutz habe einen möglichen politischen Hintergrund der Tat abklären sollen, so Mittler. Auch in der Hoffnung, dass man die Ermittlungen vielleicht abgeben könnte. Vom Staatsschutz habe es aber keinen Hinweis gegeben.

Er selbst habe daran gedacht, dass der iranische Geheimdienst vielleicht mit dem Anschlag zu tun haben könnte, weil die Familie als Asylsuchende aus dem Iran nach Deutschland gekommen sei. Die Familie habe sich die Tat nicht erklären können. Das Schild des Ladens mit der Aufschrift „Gerd Simon“ deute auch nicht auf „Ausländer“ hin. Mittler sagte aus, der Anschlag sei eine außergewöhnliche Tat gewesen. Ähnliche Fälle habe es gegeben, aber nicht häufig. Einen „rechten Untergrund“ habe man damals nicht im Blick gehabt. Dass es in Köln eine aktive Neonazi-Szene gegeben habe, sei ihm aber schon bekannt gewesen. Sie hätten manchmal an Hausdurchsuchungen teilgenommen.

Gefragt nach dem Verfassungsschutz erklärte er, überlicherweise werde dieser vom Staatsschutz angeschrieben. Dies sei der Dienstweg, er selbst dürfe mit dem Verfassungsschutz gar keinen Kontakt aufnehmen. Bei einem Erreignis wie dem Anschlag in der Probsteigasse werde ein WE-Meldung („Wichtiges Erreignis“) abgesetzt, die an das Lagezentrum des Innenministeriums ginge, von wo aus sie weitergesteuert werde. Er selbst habe aber vom Verfassungsschutz nie einen Hinweis bekommen.

Auch um das Phantombild der Person, die den Korb im Laden abstellte, ging es des Öfteren. Das Phantombild sei vom LKA mit dem Ladeninhaber, Herrn M., der als einziger den Täter gesehen habe, erstellt worden. Nach der Fertigstellung habe Herr M. geäußert, der Mann könnte vielleicht auch eine Brille aufgehabt haben, später habe sich die Ansicht gefestigt, dass der Mann eine Brille getragen habe. Der Polizeiliche Staatsschutz habe damals ebenfalls das Phantombild bekommen. Auf die Diskrepanz im Aussehen zwischen der Person auf dem Phantombild und Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos angesprochen, äußerte Mittler, er sei im Nachhinein der Überzeugung, dass es die beiden nicht gewesen seien.

Nach dem Anschlag in der Keupstraße 2004 habe er einen Vermerk an die zuständige Sonderkommission verfasst, da ihm Ähnlichkeiten der Bomben aufgefallen seien. Ein Kollege habe daraufhin die Synopse erstellt. Auf die Anfang der 1993 in Köln abgelegten Sprengfallen angesprochen, konnte Mittler sich zuerst nicht erinnern. Nach einer Konkretion kam die Erinnerung zurück, Mittler meinte aber, er habe keine Verbindungen zur Probsteigasse gesehen.

Mittler erklärte, der Probsteigassen-Sprengsatz sei in der Konstruktion einfacher als der Sprengsatz in der Keupstraße, der über eine andere Zündung verfügte. Die „größte Schweinerei“ der Keupstraßen-Bombe seien die Nägel gewesen. Ein Täter, der solche Bomben baue, gehe immer ein Risiko ein, dass sie ihm selbst „um die Ohren fliegt“. Sowas bauten „Spinner“. Seiner Erfahrung nach würde das „Rotlichtmiliue“ eher eine Handgranate benutzen, das sei ungefährlicher für den Täter. Mittler wurde auch gefragt, ob er als Sprengstoffexperte im Internet nach einer Bauanleitung zu einer Bombe wie der verwendeten gesucht habe. Er habe nur den Hinweis des LKA gelesen, dass es im Netz solche Bauanleitungen gebe.

Auf die Nachfrage, was er heute anders machen würde als damals, antwortete Mittler sehr kurz und prägnant: Nichts.

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