Zeugenvernehmung vom 15. April 2016 – Zusammenfassung

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In der 34. Sitzung setzte der Untersuchungsausschuss die Befragung von Zeug_innen zum Themenkomplex „Michael Berger“ fort. Berger, dessen Kontakte und Zugehörigkeiten zur extrem rechten Szene in und um Dortmund bereits zum Tatzeitpunkt bekannt waren, hatte am 14. Juni 2000 in Dortmund und Waltrop drei Polizist_innen ermordet und eine Polizistin verletzt. Am Ende der sich anschließenden Flucht erschoss er sich selbst. Nachdem am 7. April und am 14. April bereits Polizeiermittler und ein Neurologe vernommen wurden, folgten in dieser Sitzung zwei Zeug_innen aus dem persönlichen Umfeld von Berger:

  • Patrick Dittmann, seinerzeit vorgeblich „bester Freund“ Michael Bergers
  • Claudia Mertins, ehemalige Freundin von Michael Berger

Vernehmung Patrick Dittmann

Zuerst wurde der 37-jährige Patrick Dittmann vernommen, der erklärte, Michael Berger 1999 auf einer Versammlung kennen gelernt zu haben. Bei der Versammlung habe es sich vermutlich um einen Kameradschaftsabend gehandelt, so genau wisse er dies aber nicht mehr. Man sei befreundet gewesen und habe sich auch privat getroffen. Befragt, ob Berger auch bei NPD-Treffen dabei war, antwortete der Zeuge, dass er sich nicht mehr 100%ig sicher sei, dass Berger auch bei der NPD mit dabei gewesen sei.

Dittmann erzählte, dass er zuvor nicht gewusst habe, dass Berger an Depressionen litt. „Davon habe ich erst erfahren in der polizeilichen Vernehmung. Da hat man mir das gesagt“, so der Zeuge. Berger habe ihm vielmehr erzählt, dass er Tabletten wegen Magen-Darm-Krebs bekommen habe. Berger sei damals im Krankenhaus in Aplerbeck gewesen, dort habe ihn der Zeuge auch besucht. Hinterher sei es im komisch vorgekommen, da das Krankenhaus in Aplerbeck eigentlich eine Psychatrie gewesen sei. Berger habe auf ihn nicht den Anschein gemacht, dass er psychisch labil sei.

Der Vorsitzende Sven Wolf fragte: „Haben Sie ihn nach dem Aufenthalt im Krankenhaus nochmal gesehen?“

Der Zeuge antwortete: „Nein, das habe ich leider nicht geschafft. Ich habe ihn nicht am Krankenhaus abholen können. Und das ist ein Punkt, der mich jetzt schon 16 Jahre lange beschäftigt. Wenn ich ihn damals gesehen hätte, hätte ich vielleicht noch etwas verhindern können.“ Später antwortete der Zeuge auf die Frage, ob er im Vorfeld der Tat etwas bemerkt hätte: „Hätte ich damals geahnt, … [Zeuge macht eine Pause]. Wäre ich am Vortag vielleicht nicht so lange auf gewesen, hätte ich die Morde vielleicht noch verhindern können. Dann wären drei Leute noch am Leben.“

Von den Taten habe er dann im Fernsehen erfahren, führte der Zeuge aus. Daraufhin sei er dann zu Berger hingefahren, zu dem Zeitpunkt habe er noch nicht gewusst, dass Berger tot war. Er habe dann der Polizei gesagt, dass er ihn gekannt habe. Der Zeuge wurde daraufhin von der Polizei vernommen.

Der Vorsitzenden fragte, ob Berger erzählt habe, dass er Hass auf die Polizei hat?

Der Zeuge antwortete: „Ich weiß nur, dass er mal befreundet war mit einer Polizistin. Dass da mal was gewesen ist. Aber dass er direkt Hass auf die Polizei hatte …?“

Befragt zu seiner persönlichen Beziehung zu Berger führte der Zeuge aus, dass er diesen „damals vielleicht“ als besten Freund bezeichnet habe. Heute würde er sagen, sie seien gute Freunde gewesen. Er habe nämlich einiges von seinem Freund nicht gewusst.

Der Zeuge berichtete von Bergers „schwierigem Verhältnis“ zu Frauen: „Er fand damals Frauen gut, die von ihm nichts wissen wollten. Er hat sich dann immer darauf eingestellt, seelisch. Und war dann immer sehr … [der Zeuge spricht den Satz nicht zu Ende].“ Daraufhin FDP-Obamm Joachim Stamp: „War er frustriert?“ Zeuge: „Ja.“

Der Zeuge berichtete auf die Frage nach seinen Freizeitaktivitäten, dass er mit Berger zwei Radtouren gemacht habe, eine in Dortmund, eine im Raum Unna. „Sonst am Wochenende in Diskotheken.“ Zwei oder drei Mal sei er mit Berger zusammen auf Rechtsrock-Konzerten gewesen, dem Zeuge habe es da aber nicht so gut gefallen. Befragt zu den Bands antwortete er: „Das war einmal Oidoxie gewesen und dann eine Band aus Holland, oder so.“ Kontakte des Bergers zum „Oidoxie“-Bandleader hätten seines Wissens nicht bestanden, so der Zeuge.

Einmal habe Berger eine Waffe auf ihn gerichtet und abgedrückt, so der Zeuge. Es sei aber keine Patrone in der Waffe gewesen. Berger habe darüber gelacht. Er habe nicht darüber gelacht und Berger „eine reingedonnert“.

Großen Raum bei der Befragung des Zeugen nahmen die Kontakte von Michael Berger zur Neonazi-Szene ein. Wie bereits bei den anderen Vernehmungen wurde deutlich, dass Berger in die Dortmunder Neonazi-Szene integriert war. So betonte Dittmann, der damals Mitglied der NPD war, dass er Berger nicht bei einer NPD-Veranstaltung, sondern bei einem Kameradschaftsabend kennengelernt habe. Bei diesen Kameradschaftsabenden, an denen so 30/35 Leute teilnahmen, seien damals aber „alle“, auch NPD-Mitglieder, gewesen.

Heiko Hendricks (CDU): „Zum damaligen Zeitpunkt war der Vorsitzende der NPD in Dortmund Pascal Zinn. In einer anderen Zeugenbefragung haben wir gehört, dass Berger und Zinn, ich sage mal: befreundet waren. Freundschaftlich verbunden waren. Können Sie das bestätigen?“

Zeuge: „Ob die gut befreundet waren, das kann ich Ihnen nicht bestätigen.“

Hendricks: „Können Sie uns Angaben machen, ob Berger außerhalb der NPD auch in der Neonazi-Szene in Dortmund aktiv war? Hatte er dort Kontakte?“

Zeuge: „Er hatte Kontakte.“

Hendricks: „Können Sie uns Personen nennen?“

Zeuge: „Er hatte Kontakt zu Sebastian Seemann. Die kamen aus dem selben Ort her oder so.“

Hendricks: „Den Kontakt zwischen Berger und Seemann können Sie bestätigen?“

Zeuge: „Die kamen aus dem selben Ort oder so. Ich glaube aus Lünen.“

Die Grünen-Fraktion fragte Dittmann nach seinem Szene-Spitznamen, der „Langer“ gelautet habe [Anm.: Der Zeuge ist sehr groß] Auf einer Telefonkette, die bei Pascal Zinn gefunden worden sei, seien der Name des Zeugen und Bergers eingetragen gewesen, so die grüne Obfrau Verena Schäffer. Davon hörte der Zeuge nach eigener Angabe zum ersten Mal. Er konnte aber bestätigen, dass Berger Teil der „Kameradschaft Dortmund“ war. Über Bergers genaue Rolle in der Szene konnte der Zeuge keine Angaben machen.

Von Siegfried Borchardt habe Berger aber geschwärt, ob er einen engeren Kontakt zu ihm hatte, konnte der Zeuge nicht sagen. Auch von Kontakten des Berger nach Ostdeutschland wusste er nicht.

Der Name Kay Diesner [Anm.: Berliner Neonazi, der 1997 einen Polizisten erschoss und von der Szene verehrt wurde.] sagte dem Zeugen nichts. Ob in der Dortmunder Kameradschaft diskutiert wurde, einen bewaffneten Kampf zu führen? – „Daran kann ich mich nicht erinnern.“ Über „Combat 18“ sei in der Szene aber damals gesprochen worden, antwortete Dittmann auf Frage von Verena Schäffer (Grüne). Auf Nachfrage von Birgit Rydlewski (Piraten), wer denn über „Combat 18“ gesprochen habe, antwortete der Zeuge: „Seemann. Aber im Grunde haben alle über Combat 18 oder Blood & Honour gesprochen.“

Wie sei denn über „Combat 18“ gesprochen worden sei, wollte der SPD-Obmann Andreas Kossiski wissen.

Zeuge: „Es gab Kopien, Hefte.“

Kossiski: „Von wem haben Sie die bekommen?“

Dittmann: „Irgendwelche Leute. Ich kann mich da nicht mehr daran erinnern.“

Kossiski: „Was waren das für Bücher oder Hefte? Etwas, was Sie damals fasziniert hat, was Sie heute besonders abstößt? Copeland?“

Dittmann: „Weiß ich nicht.“

Die Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen befragte den Zeugen zu einem Treffen von rechten Jugendlichen, dass ungefähr eine Woche nach den Morden an der Stelle in Olfen stattgefunden hatte, an der sich Berger selbst richtete.

Der Zeuge antwortete: „Welches Treffen? Daran kann ich mich nicht entsinnen“

Verena Schäffer (Grüne): „Gab es denn Gedenkfeiern für Michael Berger?“

Zeuge: „Da kann ich mich nicht dran entsinnen.“

Der Zeuge wurde daraufhin mit einem Foto konfrontiert, das Michael Berger, den Zeugen sowie weitere Neonazis zeigt.

Schäffer: „Vielleicht können Sie uns sagen, wer noch auf dem Foto drauf ist?“

Zeuge: „Da sind zwei Leute drauf, die aus der selben Stadt wie Berger kommen. Eine Frau und ein Mann.“

Schäffer: „Kennen Sie den Namen noch? Kann das ein „Sven“ gewesen sein?“

Zeuge: „Damals gab es viele Svens. Das weiß ich nicht.“

Schäffer: „Und die Frau, war das Nadja?“

Zeuge: „Das weiß ich nicht.“

Schäffer: „Erkennen Sie noch jemanden?“

Zeuge: „Irgendwie ein bisschen aus dem Umfeld.“

Schäffer: „Können Sie sich erinnern, aus welchem Anlass das Foto entstanden ist?“

Zeuge: „Wenn ich mich heute auf dem Foto sehe, kann ich nur sagen, was für ein Idiot ich war.“

Schäffer: „Könnte es sein, dass das die Kameradschaft Lippefront Bork auf dem Foto ist?“

Zeuge: „Weiß ich nicht.“

Schäffer: „Sie haben aber bei der Polizei erzählt, dass sie mit Berger, Sven und Nadja bei einem Zeltlager waren.“

Der Zeuge konnte sich nur nur an ein Zeltlager erinnern: „Das war damals, ich glaube, in Lünen oder Coesfeld. Das war bei einem Bauer, der hat da ein Waldstückchen zur Verfügung gestellt. Da waren viele Leute, auch aus anderen Städten, die ich noch nie gesehen habe. Das war mehr so Party. Es gab Musik, es wurde gegrillt, es wurde gesoffen“, so Dittmann. Auf Nachfrage erläuterte der Zeuge, dass es ein Zeltlager der rechten Szene war, an dem auch viele Personen von außerhalb kamen. Die NPD habe dieses Zeltlager nicht organisiert, wer es organisierte wusst er nicht. Befragt zu den Personen Sabine Birkenstock und Falk Pirnke [Anm.: Mitglied der Rechtsrock-Band „Extressiv“, zeitweise Schlagzeuger von „Oidoxie“]antwortete der Zeuge, dass die Birkenstock vermutlich auf dem Foto gewesen sei. Zu Pirnke konnte er nichts sagen. Die „Wehrsportgruppe Schlageter“ sagte dem Zeugen von Namen her etwas, er könne sich aber nicht an mehr erinnern. Einen „Sturm 11“ kenne er nicht.

Befragt nach den Waffen des Bergers, antwortete Dittmann dem Vorsitzenden, Berger habe ihm von ihnen erzählt: „Er hat sie mir gezeigt. Er hat mir erzählt, dass er sie besitzen darf. Er hat später auch mal gesagt, dass die Waffen seinem Vater gehören.“ An einzelne Waffen kann sich der Zeuge nicht erinnern, er sei aber ein Gewehr darunter gewesen.

Das bei Berger aufgefundene Waffenarsenal wurde auch von den Abgeordneten der Fraktionen thematisiert. Auf die Fragen nach den Waffen antwortete der Zeuge kleinsilbig und sagte mehrfach, er könne sich nicht mehr erinnern. Auf die Frage des CDU-Abgeordneten Heiko Hendricks nach der ersten polizeilichen Vernehmung des Zeugen am 14. Juni 2000 sagte er: „Ich bin zu den Waffen befragt worden, und habe erzählt, was ich wusste.“

Der Zeuge antwortete auf Fragen der CDU- und SPD-Abgeordneten, dass er davon ausgegangen sei, dass Berger bzw. sein Vater diese Waffe habe besitzen dürfen. Er habe die Gesetzeslage nicht gekannt und deshalb auch den Waffenbesitz Bergers nicht der Polizei gemeldet. Hinterher habe er sich erkundigt, wie viele Waffen man mit einer Waffenbesitzkarte besitzen dürfe. Dies seien zwei Waffen gewesen. Er selbst habe keine Schusswaffe besessen.

Walburga Benninghaus (SPD): „Wussten Sie, dass Berger Schießübungen gemacht hat?“

Zeuge: „Man hat mal von Schießübungen gehört, aber wo die waren, weiß ich nicht.“

Benninghaus: „Haben Sie daran mal teilgenommen?“

Dittmann: „Daran kann ich mich nicht erinnern.“

Benninghaus: „Wissen Sie, woher die Waffen gekommen sind?“

Dittmann: „Daran kann ich mich nicht erinnern.“

Später antwortete Dittmann der Abgeordneten Birgit Rydlewski auf ihre Aussage, dass sie sich wundere, dass sich der Zeuge nicht mehr an Schießübungen erinnere: „Ich habe damals ja auch beschlossen, mich nicht mehr zu erinnern. Weil ich nicht mit allem einverstanden war.“

Der Zeuge wurde von den Abgeordneten damit konfrontiert, dass sich unter den Waffen des Berger auch ein Sturmgewehr AK47 befunden habe. [Anm.: als ehemaligen Bundeswehr-Soldaten hätte dem Zeugen klar sein müssen, dass der Besitz einer solchen Kriegswaffe für Privatleute verboten ist.] Dittmann antwortete: „Ob ich die AK47 gesehen habe? Ob ich die damals in der Hand hatte? Weiß ich nicht mehr. Ob ich das damals bei der Polizei gesagt habe, das weiß ich nicht mehr.“

Als Birgit Rydlewski (Priaten-Fraktion) ihn mit einem Vermerk der Polizei konfrontierte, demzufolge es der Zeuge war, der den entscheidenden Hinweis auf die AK47 gab, die dann von der Polizei im Elternhaus den Berger aufgefunden wurde, antwortete er wieder: „Da kann ich mich nicht dran erinnern.“

Diese behaupteten Erinnerungslücken des Zeugen, die immer dann auftauchten, wenn über das Waffenarsenal Bergers gesprochen wurden, lassen aufhorchen. Denn bei anderen Fragen machte der Zeuge durchaus den Eindruck, als bemühe er sich um Erinnerungen, auch wenn seine Antworten meist spärlich blieben. Aber dass er es war, der den entscheidenden Hinweis auf die AK 47 gab, daran wollte er sich partout nicht erinnern. Die Abgeordneten hakten hier – anders als bei der Vernehmung am Vortag, als ein ehemaliger Staatsschutz-Kommissariatsleiter vorgab, keinerlei Erinnerungen mehr zu haben – nicht oder nur äußerst halbherzig nach. Sie setzen den Zeugen nicht unter Druck.

Dittmann, der mehrfach betonte mit der rechten Szene nichts mehr zu tun zu haben, antwortete auch auf die Frage, wann er denn ausgestiegen sei nur mit: „Daran kann ich mich nicht erinnern.“ Wieder hakten die Abgeordneten nicht nach und versuchten dem Zeugen nicht einmal eine ungefähre Zeitangabe zu entlocken.

Zu den in der Szene kursierenden Gerüchten, Berger sei ein V-Mann gewesen, befragt, antwortete Dittmann, dass er davon gehört habe, aber es ständig Gerüchte gegeben habe: „Wenn bei einer Party z.B. die Polizei kam und direkt mit jemandem gesprochen hat, da wurde der sofort verdächtigt: ‚Was hast Du mit denen zu tun?’“

Befragt zu einer Mitgliedschaft Bergers in einem Schießsportverein, sagte der Zeuge, dass er dies nicht wisse, es sei aber möglich. Ob Berger dem Zeugen erzählt habe, dass er in Besitz eines Wehrpasses eines Bundeswehrsoldaten gewesen sei? Auch davon wusste der Zeuge nichts.

Der Vorsitzende entließ Dittmann für den heutigen Tag aus dem Zeugenstand. Um 13 Uhr sollte die Sitzung fortgesetzt werden.

 

Vernehmung Claudia Mertins

Um 13 Uhr konnte es aber erst einmal nicht weitergehen. Die Technik sei nicht darauf vorbereitet, dass die Zeugin tatsächlich da ist, so der Vorsitzende. Gerüchteweise hätte es geheißen, dass die Zeugin einen Autounfall gehabt habe. Daraufhin wurde die Sitzung für eine halbe Stunde vertagt. Um 13.30 Uhr kann die Befragung starten.

Wolf begrüßte die Zeugin zunächst und fragt, ob die Nachricht von ihrem Unfall stimme. Die Zeugin verneinte dies mit einem schwer einzuordnenden Unterton in der Stimme. Darauf bat der Vorsitzende um die Personalien: Claudia Mertins, ist 47 Jahre alt, Ingenieurin für Garten und Landschaftsbau.

Vorsitzender Wolf: „Zu Beginn will ich nochmal kurz erläutern, womit wir uns hier befassen: Wir befassen und mit den Polizisten-Morden des Michael Berger. Nach unseren Erkenntnissen waren Sie mit Berger befreundet oder liiert. Vielleicht schildern Sie ihre Beziehung zu Berger.“

Zeugin: „Berger lebte ja mal in Niedersachsen. Da war auch mein Wohnort. Und wir waren tatsächlich liiert. Die Beziehung endete und Herr Berger ist nach Dortmund bezogen. Die Beziehung ging bis kurz vor der Tat.“ In der Zeit als Berger in Dortmund lebte, sei der Kontakt aber nur noch sporadisch gewesen.

Damit wurde direkt zu Beginn der Vernehmung geklärt, dass der PUA die richtige Zeugin geladen hatte. Wie die „Ruhrnachrichten“ berichteten, hatte der PUA zuerst diejenige Frau geladen, deren Personalien sich in den Ermittlungsakten des Falles fanden. Doch anders als in der Akte angegeben, handelte es sich bei dieser Frau nicht um die Ex-Freundin des Berger. Vielmehr erklärte sie, den Berger nie persönlich gekannt zu haben.

In den Ermittlungsakten wurden die korrekten Personalien der Zeugin nicht aufgeführt. Auf die Frage, ob Sie denn damals von der Polizei zu Berger befragt wurde, antwortete die Zeugin: „Ja, das ist so eine komische Sache. Ich kann mich nicht daran erinnern (…) Ich kann mich an Vieles nicht mehr erinnern. An eine polizeiliche Vernehmung kann ich mich nicht erinnern.“ Als Erklärung führte die Zeugin an, dass sie damals viel Alkohol konsumiert habe.

Der Vorsitzende Sven Wolf antwortete: „Wir haben auch kein Vernehmungsprotokoll, das wir Ihnen vorhalten können.“

Zeugin: „Ich glaube, es gab keine Vernehmung.“

Spätere Kontakte mit der Polizei verneinte die Zeugin. Auch nach der NSU-Aufdeckung sei man nicht an sie herangetreten. Sie selbst sei nicht auf die Idee gekommen, sich bei der Polizei zu melden, weil es ihr damals psychisch schlecht gegangen sei, schilderte die Zeugin. Sie ergänzte:„Ich hatte den Eindruck, dass ich an dem Ort, wo ich wohne, Walsrode, häufiger in Routinekontrollen gekommen bin, wenn ich mit dem Auto unterwegs war. Das war auffällig. Später, da ich jetzt in Papenburg wohne, war das anders.“

Der CDU-Obmann fragte nach, wo diese Kontrollen der Polizei stattfanden und ob es Beamte in Zivil oder in Uniform waren.

Die Beamten hätten Uniform getragen, so die Zeugin. Das sei auch kein bestimmter Standort gewesen, wo das stattfand. Sie habe ein auffälliges Auto, einen orangefarbenen Käfer, der sei auch in der Stadt bekannt gewesen. Deswegen habe sie sich über die Kontrollen gewundert. Sie habe sich damals stark in Ängste hinein gesteigert.

In der Vorwoche hatte der damalige Ermittlungsleiter Michael Schenk ausweichend auf die Frage, ob die vormalige Freundin des Berger zeugenschaftlich vernommen wurde, geantwortet. Dass die Zeugin nicht von der Polizei vernommen wurde, war ein schwerer Ermittlungsfehler – wie sich im weiteren Verlauf der Befragung zeigen wird, da sie noch kurz vor der Tat mit Berger in Kontakt stand.

Ungeklärt ist, warum sich die Polizei nicht für die Zeugin interessierte. Nach der Befragung durch die Fraktion Bündnis 90/die Grünen kann festgehalten werden, dass die Zeugin Kontakt zu den – von der Polizei vernommenen – Eltern hatte und nach der Tat mit Ihnen telefonierte. Auch die Eltern konnten die Zeugin kontaktieren.

Monika Düker (Grüne): „Nochmal zu den Eltern. Sie hatten die Kontakte zu den Eltern. War das umgekehrt auch so?“

Zeugin: „Ja.“

Düker: „Das heißt, wenn die Polizei die Eltern gefragt hätte, ob es im Leben von Herrn Berger eine Freundin gab, hätten die Eltern ihren Kontakt weitergeben können?“

Zeugin: „Ja.“

Düker: „Aber Kontakt zur Polizei hatten Sie nicht?“

Zeugin: „Nein.“

Die Zeugin schilderte ausführlich ihre Erinnerungen an Michael Berger und ihre gemeinsame Zeit: Depressionen und Ängste seien tatsächlich ein Thema gewesen. Als sie ihn Ostern 2000 in Dortmund besucht habe, habe sie ihn geradezu angefleht, doch zum Arzt zu gehen. Es sei ihm tatsächlich nicht gut gegangen. Sie habe auch seine Tabletten der Marke „Tavor“ gesehen. [Anm.: ein Antidepressiva]. Sie sei dann direkt nach Ostern wieder nach Hause gefahren. Berger sei dann auch ins Krankenhaus gegangen. Es habe auch etwas Organisches gehabt – Bluterbrechen. Er sei dann von dort aus in eine psychiatrische Einrichtung gegangen.

Berger habe sehr viel Alkohol konsumiert. Sie beide hätten zusammen getrunken. Berger habe auch Cannabis konsumiert. Er habe von Depressionen, auch im Zusammenhang mit seiner Mutter, gesprochen. Die Zeugin schilderte, dass Berger vermutlich ein Alkoholiker war. Sie wusste, dass er rezeptpflichtige Tabletten nahm, aber über Vorräte an Tabletten in seiner Wohnung könne sie nicht sagen. Auf die Frage, ob Berger Medikamenten und Alkohol vermengte, antwortete die Zeugin, das dies wahrscheinlich so gewesen sei.

Sie habe ihn nur verbal aggressiv erlebt. Nein, eine solche Tat habe sie ihm nicht zugetraut. Auf die Frage, ob er einen Hass auf die Polizei hatte, bestätigte die Zeugin einen Hass: „Er hatte ja auch wegen kleinerer Vergehen Kontakt mit der Polizei. Dann hat er ja auch den Führerschein verloren, ist aber trotzdem gefahren. Er hatte diesen Hass auf die Polizei. Aber es hatte sich auch in der Bundeswehrzeit auch gezeigt: es ging gar nicht konkret um die Polizei, sondern ganz allgemein [um]Ordnungshüter. Er hatte schon auch bei der Bundeswehr Schwierigkeiten wegen disziplinarischen Angelegenheiten. Da war er eine Zeit lang in einem Bundeswehr-Gefängnis. Und ist dann auch unehrenhaft entlassen worden“, so die Zeugin. Sie sah Bergers „Abneigung gegen Autoritäten“ (Sven Wolf) in dessen Persönlichkeit verankert.

Die Zeugin führte aus, dass ihr Bergers Meinung bekannt gewesen sei: „Seine Abneigung gegen Ausländer, insbesondere gegen muslimische Ausländer. Aber dass er in Parteien oder Organisationen war, das war mir nicht bekannt. Ich wusste, dass er Kontakt zu Leuten aus Dortmund hatte. Aber die habe ich nicht kennengelernt, da war ich nie da.“

Berger habe gewusst, dass sie diese ausländerfeindliche Haltung nicht teilen konnte, antwortete die Zeugin auf eine Nachfrage von Heiko Hendricks (CDU). Dies sei zu Anfang der Beziehung ein Thema gewesen, aber sie hätten da nicht ständig darüber gesprochen, „das war nicht auf der Tagesordnung, sag‘ ich mal.“

Dass seine Wohnung mit Nazi-Devotionalien bestückt war, ist der Zeugin nach eigener Aussage erst in Dortmund deutlich aufgefallen. Sie könne sich gut vorstellen, dass Berger sich erst in Dortmund in Parteien oder Organisationen engagiert habe. Sie habe ihn aber in dieser Zeit nur sporadisch gesehen. Ihre Beziehung sei da bereits beendet gewesen.

Berger sei jemand gewesen, den man einen Waffennarr nenne. Er sei ja bei der Bundeswehr gewesen und habe das gelernt. Er habe gesagt, dass er sich im Zweifelsfall verteidigen können müsse und habe auch immer ein Messer dabei gehabt. Die Zeugin berichtete, dass Berger ihr angeboten habe, eine Waffe zu besorgen, für den Fall, dass sie sich verteidigen müsse. Dies habe sie abgelehnt. „Aber dass er mehrere Waffen besaß, wusste ich nicht. Ich habe auch in seiner Wohnung übernachtet, aber die lagen da nicht offen rum“, so die Zeugin.

Sie kenne den Typ der Waffe nicht, die er ihr gezeigt habe. „Ich kenne mich da nicht aus, habe auch keine Affinität dazu.“ Er habe auch mal vorgeschlagen, dass wir auf leere Bierdosen ballern. Das habe sie nicht gewollt. Auf Nachfrage äußerte die Zeugin, dass ihr bewusst gewesen sei, dass die Waffen Berger illegal waren. Sie habe aber nicht mit ihm darüber gesprochen. Er sei ein 25-30-jähriger Mann gewesen „Was soll ich da machen?“

Die der Zeugin bekannten Probleme mit der Polizei umfassten nur Verkehrsdelikte. Ihm sei aber unerträglich gewesen, kontrolliert zu werden, so die Zeugin.

Joachim Stamp (FDP): „Sie haben gesagt, dass er Schwierigkeiten hatte, kontrolliert zu werden. Bezog sich das nur auf Polizei?“

Zeugin: „Zum Beispiel das Fahren ohne sich anzuschnallen, das ist ja eigentlich pubertär, da hat man ja nichts von.“

Stamp: „Hat er sich seinem Alter entsprechend verhalten?“

Zeugin: „Ich fand das manchmal ein wenig lächerlich. Nicht seinem Alter gemäß.“

Berger sei ihre erste Beziehung gewesen, für ihn auch. Die Zeugin schilderte, dass sie alltägliche Dinge unternommen hätten wie Fahrradtouren oder gemeinsames Kochen. Die Zeugin: „Er hatte auch gute Eigenschaften, hat sich für vieles interessiert.“

Von seinen Taten habe sie aus den Medien und von ihren Eltern erfahren. Sie sei fassungslos gewesen. „Ich habe zuerst gedacht, es sei eine Verwechslung“, so die Zeugin. Andreas Kossiski (SPD) wollte wissen, ob die Zeugin das Zitat„Wenn ich gehen muss, dann werde ich so viele Polizisten mitnehmen, wie ich kann“ dem Berger zuordnen würde? Daraufhin die Zeugin: „Nein.“

Der letzte Kontakt der Zeugin zu Berger war per Telefon kurz vor der Tat. Er sollte aus dem Krankenhaus entlassen werden. „Ich wollte ihn dann besuchen. Er sollte sich dann melden. Das hat er aber nicht gemacht“, so die Zeugin. Sie wollte im Gespräch das Untersuchungsergebnis wissen. Aber es habe geheißen: „Wir reden dann drüber“. Zu diesem Gespräch sei es nicht gekommen. „Ich habe nie erfahren, was im Krankenhaus passiert ist. Er wollte mich anrufen, wenn er entlassen ist, und ich wollte dann ja auch nach Dortmund fahren“, so die Zeugin. Es sei nur ein kurzes Telefonat gewesen. Auf die Frage, ob in dem Telefonat suizidale Tendenzen sichtbar gewesen seien, antwortete die Zeugin, dass sie die Taten nie verstanden habe: „Er kommt aus dem Krankenhaus und geht los und erschießt Menschen. Das habe ich bis heute nicht verstanden.“

Die Zeugenbefragung endete mit einigen konkreten Fragen der Piraten-Fraktion. Die Zeugin konnte allerdings nicht sagen, ob Berger in einem Schießportverein war und ob er einen Wehrpass eines fremden Soldaten besaß.

Vor der Tat sei Berger ihr hoffnungslos erschienen, „verzweifelt und so, als ob es keinen Ausweg gäbe“, so die Zeugin auf eine Frage von Birgit Rydlewski (Piraten)

Rydlewski: „Haben Sie eine Idee, was es für Gründe gegeben haben könnte für diese Hoffnungslosigkeit?“

Zeugin: „Ich denke, da reicht eine Depression schon. Aber er hat auch etwas über Bluterbrechen gesprochen.“

Rydlewski: „Würde es zu ihm passen, sozusagen als Held abzugehen?“

Zeugin: „Das hört sich so nach Planung an, wie Sie das gesagt haben. Das einzige, was denkbar ist für mich, ist so eine absolute Verzweiflung. Ich weiß auch nicht, ob an seinem Leichnam eine toxikologische Untersuchung vorgenommen worden ist. Ich denke, dass da vielleicht einiges zusammengekommen ist: Alkohol, Tabletten. Aber von einer geplanten Tat? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

Zeugin: „Haben Sie einen Eindruck dazu, dass es das Gerücht gegeben hat, dass Berger für den Verfassungsschutz gearbeitet hat?“

Mertins: „Das hätte ja auch wohl geldwerte Vorteile gehabt, wie das heißt. Das kann ich mir nicht vorstellen.Er hatte nicht viel Geld“

Der Vorsitzende Wolf beschließt die Sitzung und entlässt die Zeugin für den heutigen Verhandlungstag. Der Ausschuss-Vorsitzende wünscht ein schönes Wochenende.

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