Der Anschlag in der Keupstraße und die Folgen

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Dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße widmete sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) des Landtags NRW bislang in acht öffentlichen Sitzungen. Viel Neues ist dabei nicht zu Tage getreten – nicht zuletzt, weil dem PUA die polizeilichen Spurenakten im September noch immer nicht vorlagen.

Am 27. Oktober besuchten die PUA-Mitglieder die Geschäftsstraße im Herzen des Kölner Stadtteils Mülheim. Nach der Ortsbegehung nahmen sie sich Zeit für ein Gespräch mit Vertreter_innen der Initiative Keupstraße ist überall und der Interessengemeinschaft Keupstraße. Wenige Tage zuvor hatten bereits drei Betroffene des Bombenanschlags vor dem PUA über die Folgen der Tat und den Umgang der Polizei mit den Anwohner_innen berichtet. „Von 2004 bis 2011 wurden wir verdächtigt“, schilderte einer von ihnen seine Erlebnisse. „Es wurde Druck ausgeübt, wir haben uns wie Täter fühlen müssen.“ Ein anderer Betroffener sagte: „Acht Jahre lang hat man uns komplett vergessen, keinen interessierte, wie es uns geht.“

Damit war der PUA in seiner öffentlichen Anerkenntnis der Folgen für die Betroffenen weiter gekommen, als es etwa seinerzeit NRW-Innenminister Fritz Behrens je gebracht hat. Als am Nachmittag des 9. Juni 2004 vermutlich Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt einen auf einem Fahrrad montierten Sprengsatz mit zirka 1.000 Zimmermannsnägeln zur Explosion brachten und damit Dutzende Menschen zum Teil schwer verletzten, befand sich der oberste Dienstherr von Polizei und Verfassungsschutz (VS) im Urlaub – er zog gerade um und hatte sich frei genommen.

Wie Behrens vor dem PUA aussagte, ließ er sich nach dem Anschlag von seinen Mitarbeiter_innen telefonisch informieren und hielt am Handy Kontakt zum Lagezentrum im Innenministerium. Protokolliert oder dokumentiert ist davon das wenigste. An die genauen Abläufe erinnert sich Behrens kaum. Die Idee, nach dem Anschlag in die Keupstraße zu fahren und die Menschen, die hier angegriffen worden waren, zu besuchen, kam dem Landesminister damals nicht. Anders als beim Bombenanschlag im Jahr 2000 in Düsseldorf habe man bei den „türkischen Opfern in Köln“ nicht gewusst, wer für den Anschlag verantwortlich gewesen sein könnte. „Wegen dieser Unsicherheit wollte man sich vor Ort nicht verwickeln lassen“, so Behrens vor dem PUA. „In Köln gab es auch eine virulente kriminelle Situation und ich glaube, dass man damals auch dort nach den Tätern gesucht hat.“ Behrens bedauerte, nicht in die Keupstraße gefahren zu sein. Heute würde er das anders machen, ergänzte er.

„Terroristischer Anschlag“? – Streichen!

Hatte das Landeskriminalamt (LKA) am Tattag um 17.04 Uhr zunächst unter dem Betreff „terroristische Gewaltkriminalität“ die nach- und übergeordneten Ermittlungs-Instanzen informiert, dass man aufgrund der aufgefundenen Nägel von einem Anschlag ausgehe, so wurde dies nach Einflussnahme aus dem Innenministerium korrigiert. Kaum 10 Minuten, nachdem Innenminister Behrens um 17.25 Uhr durch das Lagezentrum von dem Anschlag informiert worden war, erging um 17.36 Uhr von demselben Lagezentrum die Anweisung an das LKA, den Ausdruck „terroristisch“ nicht weiter zu verwenden. Um 17.45 Uhr meldete das LKA weisungsgemäß: „die […] Lageerstmeldung wird korrigiert. Bisher liegen keine Hinweise auf terroristische Gewaltkriminalität vor.“ Bei dieser Sprachregelung blieb es. Wer genau im Innenministerium die politische Entscheidung traf, einen ungerichteten Sprengstoffanschlag, der ungezählte Menschen auf einer belebten Straße hätte töten können, nicht als Terrorismus zu werten? Fritz Behrens weiß es heute nicht (mehr). Erinnern konnte er sich aber gut, dass er selbst diese Weisung nicht veranlasst hat.

Rechtsterrorismus? – Ignorieren!

Als fast zwei Monate später eine Operative Fallanalyse eine fremdenfeindliche Motivation des Anschlags nahelegte, erging seitens der Bezirksregierung Köln die Anweisung, diesen Aspekt auf einer Pressekonferenz nicht zu erwähnen. Das betreffende Schreiben will Behrens, obwohl er als Adressat aufgeführt ist, nicht gelesen haben. Ebenso wenig erinnerte er sich an den Inhalt seiner Gespräche mit dem VS-Abteilungsleiter Hartwig Möller. Er wusste nur, dass ihm der VS damals stets versichert habe, dass es in NRW keine rechte Terrorzelle gebe und man überdies gut über das „rechte Lager“ informiert sei.

Selbst abzüglich der Kenntnisse, die wir heute von der Täterschaft des NSU haben, ist die vorgetragene Behauptung, dass „keine Hinweise“ auf Rechtsterrorismus vorlagen, heute genauso falsch wie damals. So meldete sich nicht nur New Scotland Yard bei der Kölner Polizei und wies auf Parallelen zur Anschlagsserie des britischen Neonazis David Copeland 1999 in London hin. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schickte bereits im Juli 2004 ein Dossier an den NRW-VS, in dem es hieß: „Der Anschlag in Köln erinnert wegen der Verwendung einer Nagelbombe und des Tatortes in einem vorwiegend von Ausländern bewohnten Stadtteil“ an die Londoner Copeland-Anschläge. Das Dossier enthielt auch Informationen zu Combat 18. Sämtliche befragten Polizisten – inklusive Ermittlungsleiter Markus Weber, dem telefonischer Kontakt mit dem Verfassungsschutz nachgewiesen wurde – sagten vor dem PUA aus, von diesem Dossier keine Kenntnis zu haben. Der PUA muss nun klären, ob der NRW-Verfassungsschutz der Kölner Polizei dieses entscheidende Dossier vorenthalten hat.

„Spekulationen“? – Unproblematisch!

Gutwillig ließe sich von Versagen sprechen, wo solche Zusammenhänge, wie das BfV-Dossier sie nur wenige Wochen nach dem Anschlag festhielt, nicht zur Kenntnis genommen wurden. Im PUA wurde aber auch deutlich, wie viel Anteil daran Entscheidungen der Ermittlungs- und Nachrichtendienst-Behörden hatten, Ermittlungsrichtungen je nach „Geschmack“ ein- oder auszublenden.

Nahezu schockierend war hier die Aussage des VS-Beamten Burkhard Schnieder, der damals im NRW-VS mit „Ausländerangelegenheiten“ befasst war. Ihm wurde im PUA ein von ihm verfasstes Schreiben vorgelegt, in dem er neun Tage nach dem Anschlag der Polizei Köln mitteilte, dass dem VS von gewissen „Kölner Kreisen mit Kontakten zu Personen aus dem ausländerextremistischen Bereich“ eine „spekulative“ Lesart des Anschlags zu Ohren gekommen sei. Demnach sei die Bombe vor dem Hintergrund eines langfristigen Streits zwischen Türken und Kurden „im kriminellen Bereich“ gezündet worden. Eine dieser Gruppen hätte „Osteuropäer“ angeheuert, den Anschlag auszuführen. Gefragt, warum der NRW-VS sich mit derart wackeligen „Hörensagen“-Informationen in aller Ernsthaftigkeit an die ermittelnde Polizei gewandt habe, blieb Schnieder nur die entlarvende Aussage: Man habe damals eben „geguckt, in welche Richtungen überhaupt irgendwelche Erkenntnisse vorliegen.“

Wo nicht sein kann, was nicht sein darf, bleiben die Denk- und Kalkülhorizonte, die sich dem PUA zum Tatkomplex Keupstraße bisher in dieser oder ähnlicher Weise ganz ungeschminkt offenbarten, am Ende bedrückend wenig überraschend.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel „…wie Täter gefühlt“. Der Anschlag in der Keupstraße und die Folgen“ in der Ausgabe Nr. 61 der Zeitschrift LOTTA.

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