Bundesanwaltschaft weist Beweisanträge der Nebenklage zurück, die neue Informationen über NSU-Unterstützer_innen in NRW liefern könnten

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Am 18. November 2014 beantragte die Bundesanwaltschaft im NSU Prozess in München mehrere Beweisanträge der Nebenkläger_innen, die Opfer aus NRW vertreten, abzulehnen. Oberstaatsanwältin Anette Greger begründete ihren Antrag damit, dass die beantragten Beweisaufnahmen nicht bei der Aufklärung des angeklagten Sachverhaltes helfen würden.

In den Anträgen der Nebenklage geht es u.a. darum, die vermutete Verstrickung Dortmunder Neonazis in die Taten des NSU nachweisen zu können sowie die Verbreitung des Konzepts der „Kommunikation durch die Tat“ und der „Turner Tagebüchern“ in die Neonaziszene. Dazu will die Nebenklage Zeugen laden, die Mitglieder einer Dortmunder „Combat18“-Zelle waren. Geladen werden sollten u.a. der Neonazi und ehemalige V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes Sebastian Seemann sowie der Sänger der Dortmunder „Blood & Honour“-Band „Oidoxie“, Marko Gottschalk.

„Combat 18“-Gruppe in Dortmund

Bereits am 25. November 2011 wurde Sebastian Seemann von der Polizei vernommen und machte dort umfangreiche Aussagen. So gründeten die beiden Neonazis ihm zu Folge 2005/2006 eine mindestens sieben Personen umfassende rechtsterroristische Gruppe im Stil von „Combat 18“ in Dortmund. „Combat 18“ sind militante Neonazi-Gruppen, die den bewaffneten Kampf anstreben. Die Gruppe aus Dortmund war fest eingebunden in das bundesweite und internationale „Blood & Honour“-Netzwerk. Die Dortmunder brachten sich mit Hilfe der „Turner Tagebücher“ bei, wie man eine terroristische Zelle aufbaut. In den „Turner Tagebüchern“ wird der Aufbau von neonazistischen Kleinst-Zellen und das Leben im Untergrund propagiert. Nach anonymen Anweisungen „von oben“ bereiten sie gezielte Anschläge vor und führen diese aus. Zu einer Zeit, als in der Öffentlichkeit noch nicht über die „Turner Tagebücher“ diskutiert wurde, wies Seemann in seiner Polizeivernehmung darauf hin, dass die „Mordserie an den türkischen und dem griechischen Einzelhändlern“ der Beschreibung von Anschlägen aus den „Turner Tagebüchern“ entspräche.

Sowohl Seemann als auch Marko Gottschalk verfügten über bundesweite Kontakte, auch in den Osten Deutschlands und internationale Kontakte u.a. nach Flandern, Skandinavien, in die Schweiz und nach Österreich. Über Kontakte nach Belgien wurden Waffen organisiert, mit denen Schießübungen stattgefunden haben sollen, so Seemann in seiner Befragung. Zudem habe es Pläne für Anschläge auf politische Gegner_innen gegeben.

Bereits einige Jahre zuvor, etwa 2003, gründete sich aus dem Umfeld der Band „Oidoxie“ und der Dortmunder Kameradschaftsszene die „Oidoxie Streetfighting Crew“ als eine fest organisierte Gruppe, bestehend u.a. aus Mitgliedern der späteren „Combat 18“-Zelle und Neonazis aus Kassel. Im Zusammenhang mit beiden Gruppen ergeben sich verschiedene Hinweise auf mögliche Kontakte zum NSU und seinen Unterstützer_innen. Für die Aufklärung der Zusammenhänge extrem rechter Gruppierungen in NRW und ihrer möglichen Kontakte zum NSU, vielleicht sogar ihrer Beteiligung an den Morden und Sprengstoffanschlägen, sind genau solche Beweisanträge der Nebenkläger_innen von größter Wichtigkeit.

Denn den Nebenkläger_innen könnte der Nachweis gelingen, dass es bei den Morden und Sprengstoffanschlägen beteiligte Unterstützer_innen vor Ort gegeben hat. Deshalb beantragten sie, diese Zeugen zu laden und dafür gibt es auch berechtigte Gründe: So verwies NK Rechtsanwalt Sebastian Scharmer in Erwiderung auf die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft auf die aktenkundige Aussage des Dortmunder Neonazis und V-Manns Sebastian Seemann. Dieser hatte kurz nach der Selbstenttarnung des NSU in einer Polizeivernehmung am 25.November 2011 erklärt, er könne möglicherweise die Herkunft zweier Tatwaffen des NSU aufklären: Einer umgebauten Bruni, die in zwei NSU-Morden in Nürnberg und Hamburg zum Einsatz kam und einer Tokarew TT33, die in Heilbronn verwendet wurde. Seemann gab auch Hinweise auf einen weiteren Dortmunder, bei dem er sich vorstellen könnte, dass dieser die Waffen umgebaut habe. Er bot dem ihn vernehmenden Beamten sogar an, bei Vorlage von Bildern dieser Waffen seine Angaben zu konkretisieren.

Auffallend ist, dass Seemann so kurz nach dem 4. November 2011 von der Dortmunder Polizei befragt worden ist, laut den Nebenklägervertreter_innen, aber trotz seiner konkreten Angaben zu militanten Strukturen und Waffen später nie vernommen wurde. Auch soll der Vermerk über die Befragung Seemanns am 25. November 2011 in den Akten fehlen, die dem Gericht vorliegen.

Bundesanwaltschaft wiegelt ab – These der „isolierten Zelle“

Laut der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft sei aber die Vernehmung des Zeugen Seemann im Münchener NSU-Prozess aus Rechtsgründen abzulehnen, da „sämtliche der unter Beweis gestellten Tatsachen“ „für das Verfahren ohne Bedeutung“ seien und da das Trio eine „isolierte Zelle“ gewesen sei, sei es auch fernliegend, dass sie Kontakt zu anderen Neonazistrukturen/Organisationen wie der C-18-Zelle in Dortmund gehabt hätten. Zu dem Vorwurf, dass der Vermerk über Seemanns Befragung in den Akten fehle, nahm die Bundesanwaltschaft keine Stellung.

Aus Sicht von NSU-Watch NRW ist diese abwiegelnde Position der Bundesanwaltschaft nicht nachvollziehbar. Anders als die Bundesanwaltschaft in ihrer Begründung für die Ablehnung der Beweisanträge angibt, besteht offensichtlich ein Verfahrensbezug, der nur schwer zu übersehen ist. Denn bei der Aussage Sebastian Seemanns, Angaben zu zwei der Tatwaffen machen zu können, handelt es sich um Informationen, die ohne jeden Zweifel zum Kernauftrag der Bundesanwaltschaft im Münchener NSU-Prozess gehören sollten: Es geht darum, Erkenntnisse über mögliche Täter_innen und Mittäter_innen in den Mordfällen zu gewinnen, in denen Pistolen von genau jenem Typ zum Einsatz kamen, über die Seemann Auskunft geben könnte. Genauso relevant ist der Umstand, dass es zur Tatzeit des Mordes an Mehmet Kubasik eine bewaffnete Neonazizelle in Dortmund gab, die strategisch und ideologisch dem NSU sehr nahestand.

Die Ladung Seemanns als Zeuge im Münchener NSU-Prozess könnte einen möglicherweise entscheidenden Aspekt beleuchten: Bestand der NSU tatsächlich nur aus drei Menschen mit einem auf wenige Personen beschränkten Unterstützer_innen-Kreis oder aus mehr Mitgliedern? War der NSU Teil eines größeren Netzwerkes oder konnte er zumindest auf ein solches sowie auf lokale Strukturen zurückgreifen?

Dafür, dass das NSU-Trio selbst eine „Combat 18“-Zelle gewesen sei, sieht Nebenklage-Rechtsanwalt Yavuz Narin einen eindeutigen Verdachtsmoment. „Combat 18“ gelte als bewaffneter Arm der „Blood & Honour“-Bewegung. Auch darüber hatte der Zeuge Sebastian Seemann seinerzeit in seiner Polizeivernehmung bereits Auskunft gegeben.

Würde sich bestätigen, dass es in Dortmund eine „Combat 18“-Zelle gegeben hat, die den NSU bei den Vorbereitungen zu dem Mord an dem Kioskbesitzer Mehmet Kubaşik 2006 in Dortmund unterstützte, müsste der Prozess in München eine neue Richtung einschlagen. Die These der unabhängigen Kleinst-Zelle wäre an einem weiteren Punkt widerlegt und müsste zugunsten der Annahme, der NSU sei in ein übergeordnetes Netzwerk eingebunden oder sogar Teil eines solchen gewesen weichen. Bisher konnten die Nebenklägervertreter_innen bereits nachweisen, dass das Trio unmittelbar nach ihrem Untertauchen in Chemnitz von „Blood and Honour“-Strukturen unterstützt wurde, diese u.a. das Geld für Waffen zur Verfügung stellten.

Wichtiger Themenkomplex für den UA

Und auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (UA) im nordrhein-westfälischen Landtag sollte sich mit den Aussagen Sebastian Seemanns auseinandersetzen und klären, ab wann der Verfassungsschutz von der Existenz und der Bewaffnung der Dortmunder „Combat 18“-Zelle Kenntnis hatte. Dafür notwendig wäre auch eine vollständige Akteneinsicht in die Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des NRW-Verfassungsschutzes zur Sache Seemann und der Aufklärung seiner Arbeit als V-Mann für letzteren.

Schließlich sollte auch Landesinnenminister Ralf Jäger diesbezüglich geladen werden. Denn noch im Oktober 2013 behauptete er: „Den nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass in der Vergangenheit Kontakte zwischen Dortmunder Nazistrukturen und den Mitgliedern des NSU bestanden haben könnten. Gleiches gilt für Berührungspunkte zwischen Unterstützern des NSU aus dem Bereich der sächsischen ‚Blood & Honour‘-Szene und Dortmunder oder Lüner Neonaziumfeldes“.

Angesichts der Tatsache, dass Sebastian Seemann schon im November 2011 ganz anders lautende Hinweise gegeben hat, muss nachgefragt werden, ob diese Kontakte vom Landesinnenminister bewusst verleugnet oder ob diese Informationen schlichtweg ignoriert wurden.

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