„Greven live 2006“ – Ein Beispiel für die Kassel-Dortmund-Connection der militanten Neonazis

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Wie eng die Zusammenarbeit von militanten Neonazis aus Dortmund und Kassel war, zeigt der Mitschnitts eines Rechtsrock-Konzerts am 25. Februar 2006 in Greven. Auf dem Video ist zudem eine Frau zu sehen, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Beate Zschäpe aufweist.

Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk in Dortmund erschossen. Nur zwei Tage später, am 6. April, wurde Halit Yozgat in dem von ihm betriebenen Internetcafé in Kassel durch zwei gezielte Schüsse in den Kopf ermordet. Die Hinrichtung in Kassel war die letzte in der Mordserie mit der Česká-Pistole, zu der sich 2011 der NSU in seinem Video bekennen wird. Seitdem stellt sich die Frage, ob lokale Neonazis die Mörder unterstützt haben. Auffällig ist zudem der enge zeitliche Zusammenhang der beiden Taten.

Wer auf sich auf die Suche nach Verbindungen zwischen militanten Neonazis aus Dortmund und Kassel begibt, stößt unweigerlich auf die „Oidoxie Streetfighting Crew“. Sie bildete sich aus dem Umfeld der Dortmunder Band „Oidoxie“. Einer Band, die sich immer wieder zur rechtsterroristischen Gruppe „Combat 18“ bekannte. Bei Konzerten übernahmen die „Streetfighting Crew“-Mitglieder Saalschutz- und Ordnerfunktionen. Nur wer Mitglied war, durfte die roten T-Shirts mit dem Crew-Logo tragen. Die Mehrheit der Mitglieder stammte aus Dortmund und anderen NRW-Städten, aber auch mehrere Neonazis aus Kassel waren fester Bestandtteil der „Streetfighting Crew“.

Im März 2006, wenige Wochen vor den Morden, spielten „Oidoxie“ ein Konzert in Kassel. Nach der Enttarnung des NSU sagte der Kasseler Neonazi Bernd Tödter 2012 bei der Polizei aus, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard hätten dieses Konzert in Kassel besucht. Später widerrief er diese Aussage. Der V-Mann Benjamin G. aus Kassel will nach eigener Aussage nicht an dem Konzert teilgenommen haben. Er gab aber an, er habe der Polizei ein Video des Konzerts überreicht. Der V-Mann-Führer von G. war übrigens Andreas Temme, jener Verfassungsschutz-Mitarbeiter, der sich zur Tatzeit im Internetcafé Yozgats aufhielt und sich dennoch nicht als Zeuge bei der Polizei meldete.

Nähere Informationen zu dem Video gab es lange Zeit nicht. Erst im Oktober 2015 stellte sich bei der Vernehmung eines Polizeibeamten im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss heraus, dass G. tatsächlich der Kasseler Polizei eine DVD übergeben hatte. Diese reichte die DVD an das BKA weiter, ohne zuvor eine weitere Kopie zu erstellen. Die „Frankfurter Rundschau“ berichtete am 23. Oktober 2015, dass die DVD die Aufschrift „Greven“ und „2006“ tragen soll. Sollte dies zutreffen, dann würde sie keine Bilder von dem in Rede stehenden Konzert in Kassel beinhalten, sondern es würde sich bei der DVD höchstwahrscheinlich um den Live-Mitschnitt eines Rechtsrock-Konzerts am 25. Februar 2006 im westfälischen Greven handeln. Dieser wurde 2006 unter dem Titel „Greven live 2006“ veröffentlicht und war zeitweise im Internet als DVD zu erwerben.

„Greven live 2006“

In einer angemieteten Partyhalle in Greven fanden 2005 und 2006 nach Angaben von lokalen Antifa-Gruppen fünf Rechtsrock-Konzerte statt, die von Mitgliedern der „Oidoxie Streetfighting Crew“ und von Personen aus dem Umfeld der regionalen Band „Cherusker“ organisiert wurden. Das Konzert am 25. Februar 2006 war das letzte in Greven. AntifaschistInnen aus dem Münsterland konnten den Austragungsort in Erfahrung bringen und öffentlichen Druck auf den Vermieter ausüben, der versprach, fortan nicht mehr an Neonazis zu vermieten. Von jenem Konzert, bei dem die Bands „Cherusker“, „Hauptkampflinie“, „Extressiv“ und „Words of Anger“ auf der Bühne standen, wurde ein DVD-Mitschnitt vertrieben.

Lokale AntifaschistInnen organisierten sich diese DVD. Der Kreisverband der „Grünen“ übergab sie der Polizei, damit diese wegen der zahlreichen getätigten Hitlergrüße Ermittlungen aufnehmen konnte. Die schlechte Qualität der DVD, der Preis von 12 Euro und nicht zuletzt die Tatsache, dass strafbare Handlungen unverpixelt zu sehen waren, sorgte für erheblichen Unmut in der rechtsextremen Szene. Von „Pfuschern“ und „egoistischem Geld-Scheffeln“ war die Rede. Die Zeitschrift „LOTTA“ schrieb dazu: „Im Verdacht, für den Vertrieb der CD verantwortlich zu sein, steht offenbar Oliver Podjaski von der Band „Hauptkampflinie“ (HKL) aus dem Raum Kassel.“

Die DVD erschien unter dem Label von „Streetfighting Productions“, was eine Verbindung zur „Oidoxie Streetfighting Crew“ nahelegt. Im „Bonus“-Teil tritt der damals im Osnabrücker Land lebende Timo Schirrmeister mit einem Interview des „Cherukser“-Sängers Christian Nitsch in Erscheinung. Schirrmeister war ebenfalls Teil der „Oidoxie Streetfighting Crew“, auf einem Foto der Crew ist er links neben Gottschalk zu sehen. (vgl. LOTTA #56, S. 13)

Frau mit entfernter Ähnlichkeit zu Zschäpe

Bei der erneuten Sichtung des Mitschnitts aus Greven wurden keine Personen gesehen, die Ähnlichkeiten mit Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt gehabt hätten. Allerdings ist im Video eine Frau zu sehen, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Beate Zschäpe aufweist. Sie ist in Begleitung eines unbekannten Skins. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Frau um Zschäpe handelt, ist als eher gering einzuschätzen. Allerdings ist die Bildqualität zu schlecht, um sicher auszuschließen, dass es sich bei der Person nicht um Zschäpe handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass das Konzert aus einer starren Kameraperspektive mit nur gelegentlichen Zooms gefilmt wurde.

Wenn diese DVD aber seit 2012 dem Bundeskriminalamt vorliegt, dann stellt sich die Frage, ob das BKA, mit den ihm zu Verfügung stehenden Ressourcen zur Videoauswertung und biometrischen Vermessung den Mitschnitt analysiert hat. Bislang ist nicht bekannt, dass sich das BKA damit beschäftigt hätte.

Der Mitschnitt zeigt auch das „Streetfighting Crew“-Mitglied Robin Schmiemann, der bei dem Konzert als Ordner eingesetzt war. 2013 wurde bekannt, dass der inhaftierte Dortmunder einen umfangreichen Briefverkehr mit der inhaftierten Zschäpe führte. Schmiemann saß wegen eines 2007 verübten Raubüberfalls in Dortmund-Brechten, bei dem er einen Mann anschoss, in Haft. Er war zusammen mit dem V-Mann Sebastian Seemann, ebenfalls Mitglied der „Streetfighting Crew“, im Drogenhandel tätig.

Die Kassel-Dortmund-Connection

straftat-steh-wieder-aufAuch wenn das NSU-Kerntrio das Konzert in Greven nicht besucht haben sollte, die DVD offenbart einen weiteren wichtigen Aspekt: sie dokumentiert, dass die „Oidoxie Streetfighting Crew“ über aktive Mitglieder aus Kassel verfügte. Mindestens drei von ihnen, Michel F., Danyl H. und Stanley R. sind bei Ordnertätigkeiten zu sehen. R. soll nach Szeneinformationen eine wichtige Person innerhalb der „Streetfighting Crew“ gewesen sein. Darauf verweist auch das Cover einer 2011 erschienen CD des Gottschalk-Solo-Projekts „Straftat“, auf dem er neben dem „Oidoxie“-Sänger zu sehen ist.

Der Kasseler Michael F. geriet im Juli 2015 in die Schlagzeilen, als Antifa-Recherchen zu Tage förderten, dass er mindestens zwei 9mm-Pistolen an den bei Augsburg lebenden Alexander G. verkaufen wollte. Und auch hier zeigt sich eine weitere Verbindung zu Dortmund: G. spielte zeitweise als Bassist bei „Oidoxie“.

oidoxie -terrormachineIn der Szene galten „Oidoxie“ und die sich teilweise aus dem gleichen Personal rekrutierenden „Weissen Wölfe“ als die „Combat 18“-Bands in Deutschland. Sie machten keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für den „bewaffneten Kampf“ und die rechtsterroristische Vorgehensweise, die mit „Combat 18“ in Verbindung gebracht wird. Auf der im Jahr 2006 auf dem Label von Thorsten Heise veröffentlichten CD „Terrormachine“ sangen „Oidoxie“: „We want our cities clean. This is the terrormachine, this is Combat 18 (…) Hail to Combat 18, hail to the terrormachine.“

straftat-hail c18Der Bezug zu „Combat 18“ wird beim Gottschalk-Soloprojekt „Straftat“ deutlich. Eine 2009 veröffentlichte CD trägt den Titel „Hail C18“, im Booklet finden sich Fotos der „Oidoxie Streetfighting Crew“ und eine interessante Grußliste. Dort werden Grüße und Dank an „Krebs, Stanley und die Kasseler (…), Melli und Will, 28/C18 worldwide“ ausgerichtet. Mit „Will“ dürfte der Gründer von „Combat 18“, der Engländer Will Browning, gemeint sein.

Die lange Grußliste der „Greven live 2006“-DVD zeigt zudem auf, wie tief verwurzelt die Macher der CD und die „Oidoxie Streetfighting Crew“ in der Neonazi-Szene sind. Unter anderm werden „Steffen und Neue Werte“ gegrüßt. Steffen Hammer war der Sänger und Bandleader der Rechts-Rock-Band „Noie Werte“. Einen Song dieser Band nutzte der NSU für die erste Version seines Bekennervideos. Auch auf der DVD gegrüßt wird der „Nationale Widerstand Osnabrücker Land“, die „NPD MS/OS/VEC“ sowie „die Pohl-Brüder“, womit die beiden münsterländischen NPD-Funktionäre Matthias und Markus Pohl gemeint sein dürften. Auch „die Kasseler“ stehen natürlich auf der Grußliste.

„Combat 18“-Zelle in Dortmund

Ebenso erreichte „Seemann“ ein Gruß. 2006 war er noch nicht als Spitzel des NRW-Verfassungsschutzes aufgeflogen. Im November 2011, nach der Enttarnung des NSU, meldete sich Sebastian Seemann bei der Polizei und machte eine aufschlussreiche Aussage. In seiner Aussage berichtete er, dass 2005/2006 von Gottschalk und anderen eine „Combat 18“-Zelle gegründet worden sei, die sich an den „Turner Diaries“ orientiert habe. Auch Seemann, der nachweislich mit Waffen handelte und diese auch in der Szene anbot, war Teil dieser Zelle.

Er sagte zudem aus, dass er möglicherweise Informationen zu zwei weiteren, bei den dem NSU zugerechneten Taten benutzten Pistolen liefern könne. Die Nebenklage im NSU-Prozess beantragte deshalb, Seemann und Gottschalk als Zeugen zu hören. Doch der Vorsitzende Richter lehnte diesen Antrag ebenso ab wie die Bundesanwaltschaft, die keinerlei Interesse daran zeigt, weitere Netzwerke im NSU-Umfeld aufzuklären. So sind nun die Untersuchungsausschüsse in Hessen und NRW gefordert, die Aufklärungsarbeit zu übernehmen.

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