Die politische Laufbahn des Johann H.

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Wer ist der Kölner Neonazi-Aktivist, der dem Phantombild des Probsteigassen-Täters ähnelt und der einer Enthüllung der „Welt“ zufolge seit 1989 als „geheimer Mitarbeiter“ für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gearbeitet haben soll? Im Frühjahr 2003 beschrieb der 1967 geborene Johann H. in einem „Gespräch“ mit der KDS-Postille „Der Gegenangriff“ seinen Werdegang in der extremen Rechten wie folgt: „Wehrsportgruppe, Nationalistische Front, bis 1994 Mitglied der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei – FAP -, 1998 Mitbegründer der Kameradschaft Köln, 1999 kurz nach der Gründung Mitglied des KDS.“ Er sei „mit der Ehrenurkunde des Landesverbandes der FAP in Nordrhein-Westfalen“ und dem silbernen Ehrenzeichen des KDS ausgezeichnet worden. Im Folgenden wird die politische Laufbahn des Johann H. mit den uns soweit bekannten Informationen nachgezeichnet.

1981–1985

In erwähntem Interview mit dem „Gegenangriff“ erklärte H., in seiner Jugend zunächst bei den Grünen aktiv gewesen zu sein. Später tauchte er im Umfeld der Jugendorganisation der KPD/ML auf, wie Zeitzeug_innen berichten. Er fiel dort durch verbale Militanz und seine Begeisterung für Waffen auf. Danach wechselte er eigenen Angaben zufolge angeblich zum „Kommunistischen Arbeiterbund Deutschland“ (KABD). Zudem war H. Mitte der 1980er Jahre vermutlich Mitglied einer Clique, die unter dem Namen „Anarchistische Terrorfront“ (ATF) agierte. Trotz ihres Namens war die ATF ideologisch rechts anzusiedeln. Von der Polizei wurde sie als politisch „verworren“ eingeordnet.

1984 offerierte die ATF per Aushang in einem Supermarkt in Köln-Zollstock den Ankauf von Waffen sowie die Ausführung von Anschlägen aller Art. Weiterhin führte die ATF Nachtmärsche mit Bewaffnung und in paramilitärischer Uniformierung durch. Mitglieder beschmierten eine Polizeistation mit Hakenkreuzen und linken Parolen. Im Jahr 1984 fiel die Gruppe durch Brand- und Sprengstoffanschläge auf. Bei einem Anschlag auf ein leer stehendes Fabrikgebäude an der Vorgebirgsstraße in Köln wurden Gasflaschen in Brand gesetzt. Bei der anschließenden Detonation wurde eine Passantin verletzt. Daraufhin wurden mehrere Mitglieder der Gruppe verhaftet. Die beiden Hauptangeklagten erhielten im Prozess Bewährungsstrafen, drei Mitangeklagte lediglich Verwarnungen. Fest steht, dass Johann H. im Jahr 1985 zu einer Jugendstrafe wegen eines Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt wurde.

1986–1989

H. ging dann als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr, wo er eine militärische Ausbildung erhielt. In späteren Jahren war er in einer Reservistenkameradschaft für Scharfschützen der Bundeswehr aktiv. Ob er selbst eine Ausbildung zum Scharfschützen erhalten hat, ist unklar.

1987 wird er als Kontaktperson des„Heimatschutzverbandes“ in einer Anzeige im „Internationalen Waffenspiegel“ aufgeführt. Der „Heimatschutzverband“ war eine paramilitärische Wehrsportgruppe. Einem Artikel der „taz“ vom 9. Juni 1988 zufolge hatte sie sich 1986 aus dem „Bund der Legionäre“ des Grafen Rainer René Adelmann rekrutiert. Gegen den „Bund deutscher Legionäre“ wurde 1986 wegen Verstoßes gegen §109 StGB (Anwerbung von Söldnern) ermittelt. Der Bund soll Deutsche als Söldner u.a. in südafrikanische Länder vermittelt haben. In der Satzung des „Heimatschutzverbandes“ hieß es: „Im Konfliktfall sieht der Verband seine Hauptaufgabe in der Unterstützung der Streitkräfte, in der Heimatverteidigung. Im Falle der Besetzung Europas durch feindliche Kräfte setzen die Mitglieder des Verbandes den Kampf als Widerstandsbewegung fort.“ Der WDR berichtete, dass unter den Mitgliedern die Schrift „Der totale Widerstand. Kleinkriegsanleitung für jedermann“ des Schweizers Major Hans von Dach kursiere. Der antikommunistische Verband orientierte sich also in Richtung eines „Werwolf“-Konzeptes, wie es in den 1990er Jahren auch in der militanten Neonazi-Szene diskutiert wurde.

Der „Heimatschutzverband“ veranstaltete in der Eifel Wehrsportübungen mit Schusswaffen. Diese Wehrsportübungen wurden vom „Bundesführer“ der Organisation beim Polizeipräsidium Aachen angemeldet. Außerdem soll es nach Angaben des „Bundesführers“ eine Zusammenarbeit mit dem MAD (Militärischer Abschirmdienst, Geheimdienst der Bundeswehr) gegeben haben, dem die Mitgliederkartei übergeben worden sein soll. Mitglied beim „Heimatschutzverband“ konnte nach Aussagen des „Bundesführers“ jeder Deutsche oder Staatsangehörige eines NATO-Staates ab 16 Jahren werden. Das Innenministerium teilte 1988 der „taz“ mit, der „Heimatschutzverband“ sei bislang „weder strafrechtlich, noch in rechtsextremistischer Form aufgefallen“.

1989–1997

H. war eigenen Angaben zufolge Mitglied der „Nationalistischen Front“ (NF), einer nationalrevolutionären Kaderorganisation der militanten Rechten, die 1992 verboten wurde. Die NF hatte ihr Zentrum in Detmold. Auch der verstorbene V-Mann Thomas Richter alias „Corelli“ war Anfang der 1990er Jahre Mitglied der NF, deren Anführer Meinolf Schönborn 1991 die Bildung eines „Nationalen Einsatzkommandos“ (NEK), einer paramilitärischen Gruppe, in Angriff nahm. „Anfänglich ermittelte die Bundesanwaltschaft wegen ‚Bildung einer terroristischen Vereinigung‘ nach §129a [StGB]. Das Verfahren wurde jedoch am 25.10.1993 überraschend eingestellt“, heißt es im 1996 erschienen Buch „Drahtzieher im braunen Netz“. Schönborn wiederum arbeitete ab 1992 mit Bernd Schmitt aus Solingen zusammen. In dessen „Deutschen Hochleistungs-Kampfkunstverband“ (DHKKV) trainierten auch die Täter des Brandanschlags auf das Haus der Familie Genç in Solingen, bei dem fünf Mädchen und junge Frauen starben. Schmitt wurde nach dem Anschlag als V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes enttarnt.

Johann H. war dann bis 1994 in der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) aktiv. Die FAP diente Aktivist_innen der militanten Szene nach dem Verbot der von Michael Kühnen geführten „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) als legale Ausweichorganisation. Sie war Sammelbecken von neonazistischen Gewalttäter_innen, einer ihrer Schwerpunktregionen war Nordrhein-Westfalen, wo Siegfried Borchardt dem Landesverband vorstand. Die FAP wurde 1995 verboten.

1998–2012

Nach dem Verbot der FAP bildeten deren Kader beispielsweise in Recklinghausen oder Dortmund „Freie Kameradschaften“. In Köln wurde erst 1998 die „Kameradschaft Köln“ gegründet, H. war Gründungsmitglied. In der Kameradschaft hatte er die Funktion des stellvertretenden Kameradschaftsführers inne. So vertrat er Axel Reitz während dessen Inhaftierung und unterzeichnete am 28. Dezember 2007 eine „Mitteilung der Kameradschaft Köln/Walter Spangenberg“ mit „Helle (Kameradschaftsführer Köln/Walter Spangenberg)“. Antifaschistischen Gruppen war er lange Jahre nur unter seinen Tarnnamen „Helle“ oder „Helle Schäfer“ bekannt. H. trat als Redner auf zahlreichen internen Veranstaltungen auf, bei öffentlichen Aktionen wurde er eher selten gesichtet.

Die nach einem Kölner SA-Führer benannte „Kameradschaft Walter Spangenberg“ war Teil der militanten Neonaziszene, die meist ein distanziertes Verhältnis zur NPD pflegte. Sie war organisatorisch und mit Redner_innen an zahlreichen regionalen und überregionalen Demonstrationen der Neonazi-Szene beteiligt. Die „Kameradschaft Köln“ war führend in die Strukturen des „Aktionsbüro West“ (AB-West) und später in die des „Aktionsbüro Mittelrhein“ eingebunden. Sie pflegte enge Verbindungen zu den Kameradschaften Aachener Land, Wuppertal und Dortmund. Anfang Mai 2012 wurde sie dann durch den NRW-Innenminister verboten. Ihre Mitglieder Axel Reitz, Paul Breuer und Sebastian Ziesemann sitzen im Prozess gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“ vor dem OLG Koblenz wegen „Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ auf der Anklagebank.

1999 trat H. dem kurz zuvor gegründeten „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) bei und avancierte dort zum „stellvertretenden Gausekretär Rheinland“. Auch hier agierte er als rechte Hand des „Gausekretärs“ Axel Reitz. Zwischen der „Kameradschaft Köln“ und der lokalen KDS-Gruppe bestanden große personelle Überschneidungen. Der KDS war eine Organisation mit bundesweitem Anspruch. Gegründet u.a. von Thomas Brehl, dem ehemaligen Stellvertreter Michael Kühnens, gelang es dem KDS, in seinen Reihen Getreue aus Kühnens Organisationen ANS/NA und der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) mit jungen Neonazis zusammen zu bringen. In der Neonazi-Szene war der KDS wegen des von ihm propagierten „Querfront“-Konzeptes mit dem Anspruch, „linke“ und rechte „Nationale Sozialisten“ zu sammeln, nicht unumstritten. Dennoch waren viele auch heute noch aktive Vertreter_innen der „Freien Kräfte“ zumindest zeitweise Mitglied der Organisation. Trotz des „Querfront“-Anspruches war der KDS bis zu seiner Auflösung im Jahr 2008 eine offen neonazistisch ausgerichtete Organisation, die sich in der Tradition der SA und der Kühnen-Bewegung sah, sowie sie sich als Teil des Netzwerkes der NSDAP/AO verstand. In der kritischen Öffentlichkeit wurde der KDS aufgrund seines skurrilen Hangs zu SA-ähnlichen Uniformen, allerlei Pöstchen und „Ehrenabzeichen“ oftmals belächelt. Der KDS verfügte über eine von außen erkennbare Struktur, deren höchste Entscheidungsebene die „Organisationsleitung“ war. So wurden in der Zeitschrift „Der Gegenangriff“ „Dienstanweisungen“ veröffentlicht, in denen Ziele, Aufbau und Entscheidungsstrukturen der Organisation penibel festgelegt wurden. Trotz dieser klaren vereinsähnlichen Struktur und der verfassungswidrigen, nationalsozialistischen Ausrichtung erfolgte seitens der Behörden kein Verbot des nicht als Verein eingetragenen KDS.

Der KDS unterhielt Verbindungen zu zahlreichen Kadern der Neonazi-Szene in Deutschland, aber auch zu Gruppen wie der „Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung“, die enge Verbindungen zum „Blood & Honour-Netzwerk“ in Skandinavien unterhielt. Zuletzt wurde die KDS-Geschäftsstelle vom Mitglied der Organisationsleitung Thomas Gerlach aus dem Altenburger Land in Thüringen geführt. Gerlach ist auch Mitglied der „Hammerskins“. Aufgrund seiner Kontakte zur Unterstützer_innenszene des NSU-Kerntrios musste er mehrfach als Zeuge im Münchener NSU-Prozess aussagen.

Der KDS gab 2008 seine Auflösung bekannt. Johann H. blieb aber weiterhin in den Reihen der „Kameradschaft Walter Spangenberg“ aktiv. Diese wurde Anfang Mai 2012 vom NRW-Innenministerium verboten.

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