Wenn es um die Hintergründe der Morde und Anschläge des NSU geht, schweigen die bekannten Mitglieder und Unterstützer der Terrorgruppe — in Verhören, vor Gericht, gegenüber Journalisten. Niemand spricht. Trotzdem ist der ideologische Kontext des NSU unbestritten, da unter anderem Uwe Mundlos als Täter und André Eminger als mutmaßlicher Unterstützer ihre Gesinnung in mehreren Texten unmissverständlich offen gelegt haben. Eminger fühlte sich offenbar als deutsche Sperrspitze des internationalen „Weißen Arischen Widerstands“. So verantwortete er das Skinzine „Aryan Law and Order“, in dem die rassistische US-Terrorgruppe „The Order“ als Vorbild gefeiert wurde: „Es handelt sich hierbei aber nicht um eine neue Bewegung, die mit den anderen konkurriert. Nein, hier handelt es sich um Elitekämpfer, die aus den besten Leuten der verschiedenen Bewegungen [sic], die schon existierten. … Es ist eine neue Art des Kampfes, einer Untergrundbewegung.“
Zahlreiche Parallelen zwischen dem NSU und „The Order“ fallen auf. Die US-Terrorgruppe raubte Banken aus, richtete Menschen gezielt hin und benutzte dabei Waffen, die mit Schalldämpfern bestückt waren. So lange ihre Mitglieder unerkannt im Untergrund lebten, bekannte sich die Gruppe nie zu den Taten. Wie „The Order“ fühlte sich der NSU zudem offenbar als eine Art Vorauskommando einer „arischen Befreiungsarmee“, deren Geschichte nach der Vernichtung aller Feinde von den Überlebenden in Ehrfurcht gefeiert werden wird, was die Tatwaffen zu quasi religiösen Reliquien macht. So fand man in einer ausgebrannten Wohnung in Zwickau, die ein Unterstützer für den NSU angemietet hatte, Waffen, die den NSU mit mehreren Morden in Verbindung bringen. Auch im letzten Wohnmobil von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos lagen diverse Beweismittel. Die Mitglieder von „The Order“ hatten ebenfalls die Manie entwickelt, Waffen und andere Gegenstände aufzubewahren, die sie schwer belasteten.
Der gebürtige Texaner Robert Jay Mathews hatte die US-Terrorgruppe „The Order“ im September 1983 mit acht Komplizen an der Westküste der USA gegründet. Die neun Männer saßen dafür in einer Holzhütte auf Mathews Grundstück im Kreis, in ihrer Mitte die vier Monate alte Tochter eines der Terroristen in spe — „die Zukunft der weißen Rasse“, für die Mathews und seine Mitstreiter kämpfen wollten. Mathews schwor die Gruppe ein. Man befinde sich im Krieg, es sei Zeit gegen das Juden-Regime, die US-Regierung, loszuschlagen. Die Männer in der Hütte waren zuvor zum Teil Anhänger diverser Ku-Klux-Klan-Gruppen und fühlten sich zu militanten „White Supremacists“ hingezogen, die im Wesentlichen glauben, dass die weißen Christen Mitglieder des auserwählten Volk Gottes sind, aber dennoch Gefahr laufen, von ihren Feinden ausgelöscht zu werden. Hinter dieser Bedrohung steckten vor allem die Juden, geschickt vom Teufel persönlich.
„The Order — Brüder schweigen“ hieß die kleine Untergrundarmee mit vollständigem Namen. Der deutsche Teil ihres Namens brachte der Gruppe den Beinamen „the silent brotherhood“ ein. Tatsächlich hatte der Gründer von „The Order“ diesen Halbsatz aus dem „Treuelied“, der Hymne der Waffen-SS übernommen: „Wenn alle Brüder schweigen, und falschen Götzen trau’n. Wir woll’n das Wort nicht brechen…“
Der im NSU-Prozess Angeklagte Andre Eminger trat im Oktober 2014 mit einem T-Shirt „Brüder schweigen — bis in den Tod“ vor Gericht auf. Offensichtlich eine Bezugnahme auf „The Order“.1
Robert Mathews engagierte sich, bevor er „The Order“ gründete, vor allem bei der „National Alliance“, angeführt von William Luther Pierce. Ein Buch von Pierce lieferte die Vorlage für „The Order“: „The Turner Diaries — Die Tagebücher des Earl Turner“. Im Zentrum der Erzählung steht die Figur Earl Turner. Nachdem die Bundesbehörden Afroamerikaner schicken, um Turner und anderen weißen Christen ihre Waffen wegzunehmen, geht er in den Untergrund. Mit anderen Aufständischen überfällt er Banken und Geldtransporter und fälscht große Mengen Geld, um die Bundesbehörden bekämpfen zu können. Turner und seine Komplizen sprengen später ein FBI-Gebäude in die Luft, töten dabei 700 Menschen. Die Untergrundarmee nennt sich nur die „Organisation“. Geführt wird der Aufstand von einer Gruppe, von der selbst viele Kämpfer nichts wissen dürfen — „The Order“.
Mathews kannte das Buch „The Turner Diaries“ angeblich auswendig, und die Männer, die Mathews folgen sollten, waren in der gleichen Stimmung wie Earl Turner: „Wir hatten das Reden satt. Wir wollten alle endlich etwas tun“, sagt einer von ihnen später in einem Fernsehinterview. „Worte sind genug gewechselt, nur mit Taten kann ihnen Nachdruck verliehen werden“ heißt es in einem Brief, den der NSU an diverse Neonazi-Gruppen verschickt hat, um für die eigene Organisation und den Kampf zu werben — in den Briefumschlägen lagen hohe Bargeldsummen. Auch Robert Mathews verschenkte einen Großteil seiner Beute — im Gegensatz zu seinen Komplizen — an die „arische Bewegung“. Er gab 300.000 Dollar an Tom Metzger von W.A.R. („White Aryan Ressistance“), so dass der sich Computer kaufen konnte, er finanzierte dem Autoren der „Turner-Diaries“, William Pierce, ein Grundstück und schenkte einem College-Professor Geld, damit der eine Neonazi-Rockband gründen konnte. Matthews stiftete sogar eine Samenbank in Portland, die nur das Sperma von „arischen Kämpfern“ annehmen sollte.
In vierzehn Monaten hatte „The Order“ fast fünfzig Mitglieder rekrutiert und wurde später als die gefährlichste US-amerikanische Terrorgruppe der 1980er bezeichnet, obwohl sie — streng genommen — den erklärten Feind nur selten direkt bekämpft hatte. Zwei Morde hatten die Mitglieder von „The Order“ begangen: Sie brachten einen angeblichen Verräter um und sie ermordeten den jüdischen Radiomoderator Alan Berg. Der hatte vehement organisierte weiße Rassisten in seinen Sendungen kritisiert. Komplizen von Mathews spähten Berg deshalb aus und erschossen ihn später mit einer MP mit aufgeschraubtem Schalldämpfer. Die meiste Zeit über waren die Terroristen allerdings damit beschäftigt, Geld zu rauben, um im Untergrund überleben zu können und sich noch mehr Waffen zu kaufen.
So überfiel die Gruppe um Robert Mathews im Juli 1984 einen Transporter der Firma „Brinks“ und erbeutete 3,6 Millionen Dollar. Der Wachmann in der Fahrerkabine und eine Wachfrau hinten in dem gepanzerten Wagen waren beide Afroamerikaner. Die Neonazi-Terroristen ließen sie leben. Mathews soll sogar darauf bestanden haben, dass bei den Überfällen niemand erschossen wird. Wenn die Mitglieder von „The Order“ morden wollten, dann musste das Opfer offenbar im Stile einer Exekution sterben — wie bei einem Ritualmord. Es sollte nur um den Akt des Tötens, nicht um Raub oder andere Motive gehen. Auch hier könnte sich eine Parallele zum NSU zeigen, dessen Mitglieder sich bei den diversen Banküberfällen auch in brenzligen Situationen niemals gezielt den Weg freischossen, sondern lieber wegliefen.
Das FBI bekämpfte, anders als es später dem NSU durch deutsche Behörden widerfuhr, „The Order“ mit Nachdruck und nutzte die Fehler der Mitglieder konsequent aus. So hatte Robert Mathews bei dem Überfall auf den Geldtransporter eine Waffe zurückgelassen — die brachte das FBI auf die Spur eines Mitgliedes, der bei einem Waffenhändler seine korrekte Adresse hinterlegt hatte. Observationen und Durchsuchungen folgten. Die MP, mit der Berg ermordet worden war, wurde bei einem Mitverschwörer gefunden, der nicht selber geschossen hatte. Ein anderer bewahrte einen Zeitungsartikel über einen Überfall auf einen Geldtransporter auf, an dem er beteiligt war — gleich neben seinen eigenen Milchzähnen. Das erinnert an die Sammlung von Artikeln über die Morde des NSU, die in der Wohnung in Zwickau gefunden wurden.
Der Kriminologe Mark S. Hamm schließt aus der Sammelwut von „The Order“: „Die Terroristen benutzen Gegenstände, die sie in der Schlacht benutzt haben, um sich gegenüber einem aktuellen und zukünftigen Publikum als wahre Helden erkennen geben zu können.“ Symbolismus sei vor allem für Mathews alles gewesen, denn, so Hamm, bei dieser Art des Terrors geht es weniger um strategische Ziele, sondern vor allem um „die individuelle Reputation der Terroristen — sie wollen, dass man sich an sie als mutige, angstfreie, loyale Kämpfer erinnert.“
Doch loyal waren die meisten Mitglieder von „The Order“ keinesfalls. Robert Mathews war am Ende allein in einer Hütte auf einer Insel vor Seattle, alle anderen Mitstreiter hatten aufgegeben oder waren überwältigt worden, einige von ihnen hatten unter Druck mit dem FBI kooperiert und Mathews Unterschlupf verraten. Auch als die Polizei ihn umzingelt hatte, stellte sich Mathews nicht. Spezialeinheiten feuerten schließlich Phosphorgranaten in sein Versteck, die Hütte brannte nieder – Mathews schoss weiter, bis er in dem Rauch erstickte. Erst in seinem letzten Unterschlupf hatte Mathews eine Kriegserklärung an die US-Regierung geschrieben. Die US-Öffentlichkeit erfuhr so erst nach dem Ende der Belagerung überhaupt, dass eine rechtsradikale Terrororganisation namens „The Order“ existierte.
Trotz ihres schnellen Endes hatte die Gruppe einen sehr großen Einfluss auf Neonazis weltweit. Der Akteur der militanten britischen Neonazi-Szene und spätere Aussteiger Darren Wells bestätigte dem britischen Antifa-Magazin Searchlight, wie wichtig „The Order“ war: „Ich glaube nicht, dass irgendwer von uns wirklich dachte, dass wir tatsächlich die Kontrolle über das Land übernehmen würden. Aber wir dachten, wir könnten genügend Schaden verursachen, und dann diesen grandiosen Heldentod sterben, um Märtyrer wie die Leute von The Order zu werden. Außerdem muss man bedenken, dass alle in einer Gruppe wie der unsrigen eigentlich nur als Teil der Gruppe lebten, wir hatten ein einziges Leben. … Das einzige, wovor wir Angst hatten, war, dass wir geschnappt würden, bevor wir losschlagen konnten… Das wurde zu unserem einzigen Lebenszweck und wurde wichtiger als alles andere: Die Leben der Leute, ihre Jobs und Familien bedeuteten nichts mehr. Alles was zählte, war so zu werden wie unserer Vorstellung nach The Order war.“2
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1. www.nsu-nebenklage.de: 16. Oktober 2014
2. www.antifainfoblatt.de/artikel/„combat-18“-inside
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zuerst erschienen in: AIB – Antifaschistisches Infoblatt, Nr. 105, Winter 2014 (Autor: Dirk Laabs)