Zusammenfassung des 5. Hearings zu den Neonazi-Szenen im Rheinland und Westfalen in den 1990er und 2000er Jahren am 24. März 2015

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Als Sachverständige geladen waren

  • Jan Schedler, Sozialwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum
  • Hans-Peter Killguss, Pädagoge und Leiter der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus (ibs) im NS-DOK der Stadt Köln

Nach dem Rücktritt der Ausschuss-Vorsitzenden Nadja Lüders (SPD) am Vortag übernahm der stellvertretende Vorsitzende Peter Biesenbach (CDU) die Sitzungsleitung. Richtig beginnen konnte die Sitzung erst mit einer halben Stunde Verspätung, da ein Computer benötigt wurde und das Betriebssystem des Rechners nach dem Start zunächst zahlreiche Updates installieren musste. Beide Sachverständige unterstützten ihre Eingangsvorträge durch eine Powerpoint-gestützte Präsentation.

Den Anfang machte Jan Schedler. Er gab einen Überblick über extrem rechte Organisationen und Strukturen der extremen Rechten, schwerpunktmäßig in Westfalen. Die Situation in den 1990er Jahren sei grundverschieden zur heutigen gewesen, da seinerzeit bundesweite, durchorganisierte und durchhierarchisierte Organisationen die Szene maßgeblich geprägt hätten. Ausgelöst durch zahlreiche Organisationsverbote habe dann ein Veränderungsprozess eingesetzt, der zu einer Vielzahl unabhängiger Vereinigungen geführt habe. Ein großer Teil des Personals sei der Szene jedoch trotz der Verbote erhalten geblieben, einzelne seien bis heute aktiv. Eine besondere Bedeutung sprach Schedler der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP), der „Nationalistischen Front“ (NF) und der „Sauerländer Aktionsfront“ (SAF) zu. Eine Führungsperson der SAF sei auch V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen.

Für Dortmund und Umgebung stellte Schedler die Entwicklung der „Kameradschaft Dortmund“ dar, dievom  2012 wiederum verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“ abgelöst wurde. Dessen Mitglieder hätten nun in der Partei „Die Rechte“ eine neue Wirkungsstätte gefunden. Der Sachverständige verwies auch auf das bundesweite Online-Forum „Freier Widerstand“, bei dem drei Personen aus Westfalen Administratoren gewesen seien. In diesem Forum seien auch Konzeptpapiere mit den Namen „Militanz I-3“ an ausgewählte User_innen verschickt und diskutiert worden. Diese ließen sich als Blaupause der Militanz und Gewalttaten jener Jahre in Dortmund und der Region lesen.

Als eher subkulturell zu verordnende Gruppierung (mit dennoch klar neonazistischer Gesinnung) beschrieb Schedler die „Skinheadfront Dortmund-Dorstfeld“, aus deren Reihen auch der Mörder des Punks Thomas Schulz stamme, dessen Todestag sich gerade zum 10. Mal jährt. Zu diesem Spektrum gehöre auch die Band „Oidoxie“. Diese Band, die „Blood&Honour“ zugerechnet werden könne, verfüge, nach Schedlers Kenntnissen, nicht nur über gute Kontakte in der bundesdeutschen sondern auch in der europäischen Rechtsrock- und Neonaziszene. Mit der „Oidoxie Streetfighting Crew“ habe sie vor Ort auch eine eigene Security-Gruppe aufgebaut. (siehe dazu Artikel aus Lotta #56 )

Hans-Peter Killguss begann im Anschluss an den Eingangsbeitrag Schedlers seinen Vortrag zur extremen Rechten im Rheinland mit dem Brandanschlag von Solingen, der einer breiten Öffentlichkeit gezeigt habe, dass rechte Gewalt bei weitem kein ostdeutsches Phänomen sei. Über das Milieu, in dem sich die Täter des Anschlags bewegt haben, zeigte er auf, wie in den 1990er Jahren hier unterschiedliche Spektren zusammenwirkten und Gelegenheitsstrukturen entstanden seien. Die Täter entstammten einer rechten Clique, trainierten in einem Kampfsportverein, dem auch Aktivisten extrem rechter Gruppierungen angehörten. Der Leiter des Vereins, Bernd Schmitt, stellte sich später als V-Mann des Verfassungsschutzes heraus. An den Beispielen der Neonazis Ralph Tegethoff und Norbert Weidner verdeutlichte Killguss die Bedeutung von Kadern für die Entwicklung einer Szene. Zu Weidner wies er darauf hin, dass auch dessen mögliche V-Mann-Tätigkeit ein Thema für den Ausschuss sei.

Anhand einer Graphik verdeutlichte er die Vielzahl an verschiedenen Organisationen der letzten 25 Jahre. Killguss wies daraufhin, dass sich die es verschiedene Formen der festen Vernetzung und Kooperation zwischen den einzelnen Neonazi-Gruppen gab. Ein Beispiel dafür sei das „Aktionsbüro Westdeutschland“. Im „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) hätten sich Neonazi-Kader aus dem gesamten Bundesgebiet vernetzt.

Die Fragen der Ausschussmitglieder ließen ein großes Interesse an Kontakten der NRW-Szene nach Thüringen, ins Ausland, aber auch nach Kassel erkennen. Bezüglich Kassel verwies Schedler beispielsweise auf ein Oidoxie-Konzert im März 2006 in Kassel, bei dem Zeugen Uwe Mundlos gesehen haben wollen. Auf Nachfrage von Monika Düker (DIE GRÜNEN) führt Schedler aus, dass die Dortmunder Szene enge Vernetzungen nach Ostdeutschland aufweise. Dies könne man nicht nur im Forum „Freier Widerstand“ sondern auch an Einzelpersonen nachvollziehen. Mehr noch habe Dortmund in den letzten 15 Jahren auch eine „reale“ Anziehungskraft für Personen aus dem rechten Spektrum entwickelt. Aus ganz Deutschland seien Personen aus diesem Spektrum nach Dortmund gezogen. Die lokalen Szenen und AktivistInnen seien online gut vernetzt, dieser Kontakt werde dann in der Realität nachgeholt oder intensiviert. Auch Killguss bestätigte diese Wirkung: Das Internet als solches schaffe nicht Vernetzung, sondern fungiere als Kommunikationsinstrument und stärke bereits bestehende Verbindungen.

Auf Birgit Rydlewskis (Die Piraten) Frage zur Rolle von V-Leuten in NRW verwies Killguss auf den schon erwähnten Bernd Schmitt (Solingen) und zwei ehemalige Mitglieder des NPD-Landesvorszands. Schedler gab zu bedenken, dass seit der Selbstenttarnung des NSU viele V-Leute erst bekannt geworden seien. Auch für NRW sei er gespannt, welche weiteren Verbindungen da möglicherweise noch bekannt würden.

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