„Kein Vergeben, kein Vergessen“ – Kundgebung am 18. Jahrestag

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Am 27. Juli 2018 erinnerten Menschen aus Düsseldorf und Umgebung an den sogenannten „Wehrhahn-Anschlag“ 18 Jahre zuvor. Wir dokumentieren die Redebeiträge. Alle Fotos von @infozentrale.

Redebeitrag des Bündnisses „Düsseldorf stellt sich quer“, einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, das sich 2015 gegründet hat, um Position gegen Demonstrationen und Kundgebungen von „Dügida“ [„Düsseldorf gegen die Islamisierung des Abendlandes“] zu beziehen und seitdem in Düsseldorf vielfältige Proteste gegen Neonazis und Rassist*innen organisiert hat.

„Sehr geehrte Anwesende,

wir stehen hier am Ort wo vor 18 Jahren ein furchtbares Attentat stattgefunden hat. Dort auf der Fußgängerbrücke detonierte am Nachmittag des 27. Juli 2000 eine selbstgebaute, per Fernzünder ausgelöste Bombe. Sie war gezielt gerichtet gegen russisch-sprachige Sprachschülerinnen und Sprachschüler, die hier in der Nähe einen Deutsch-Sprachkurs besuchten. Sie kamen vor allem aus den Nachfolgestaaten der Sowjet-Union. Mehrere von ihnen waren jüdischen Glaubens und wollten hier in Deutschland eine neue Heimat finden. An diesem Tag vor achtzehn Jahren gegen 15 Uhr waren die Sprachschüler wie an jedem Tag zur gleichen Zeit auf dem Weg nach Hause, als die Bombe detonierte. In einer Gruppe von 12 Personen waren sie auf dem Weg zum Bahnhof. Nur durch viel Glück kam niemand ums Leben. Zehn von ihnen wurden teilweise schwer verletzt, eine junge Frau verlor ihr ungeborenes Kind.

Ziel war es wohl offenkundig, möglichst viele von ihnen zu töten.

Warum? Weil sie vermeintlich alle jüdisch waren, weil sie anders waren, weil sie keine Deutschen waren und hier als Einwanderinnen und Einwanderer lebten. Wir können es auch anders sagen: Dies war ein antisemitischer und rassistischer Anschlag. Schon damals hetzte die extreme Rechte gegen sogenannte „Kontigentflüchtlinge“ und gegen den vermeintlichen „Zustrom aus Osteuropa“. Beim heute Angeklagten fanden die Ermittler schon damals Publikation der extrem rechten Republikaner, die gegen die „jüdische Einwanderung“ mobil machten. Die Neonaziszene begrüßte den Anschlag damals mit dem Kommentar „Bombenstimmung in Düsseldorf“.

Der Anlass des damaligen Anschlages hat leider immer noch große Aktualität. Antisemitismus und Rassismus sind Alltag geworden und ist schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Hetze gegen Zugewanderte, Geflüchtete und Migrierte wird nicht mehr nur von alten und neuen Nazis oder von rechtspopulistischen Gruppen verbreitet, sondern von Regierungsparteien aufgegriffen, die sich von den Rechten die Agenda bestimmen lassen. Die Zahl rassistischer Angriffe ist gestiegen. Gewaltsame Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten, wie wir sie schon in den 1990er Jahren erleben mussten, haben sich wiederholt. Mit Pegida & Co. hat sich eine rechte Bewegung auf der Straße etabliert. Die AfD feiert immer weiter Erfolge. Und sie treibt die etablierten Parteien mit ihren menschenfeindlichen Ansichten vor sich her. Das Klima in der deutschen Gesellschaft hat sich auch durch die Politik massiv radikalisiert. Davon betroffen sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund.

Ebenso hat sich die Zahl antisemitischer Attacken erhöht. Es erfüllt uns mit Scham und Sorge, wenn Menschen in Deutschland auf offener Straße beleidigt und angegriffen werden, weil sie eine Kippa tragen, wie es vor kurzem auch in Düsseldorf passiert ist. Ihnen gehört unsere volle Solidarität und Unterstützung. Dabei spielt es für uns keine Rolle, welcher Herkunft oder welchen Glaubens die Angreifer sind. Antisemitismus ist kein Problem, dass von außen durch Einwanderung in die deutsche Gesellschaft hereingetragen wird. Der Antisemitismus ist schon lange ein Teil dieser Gesellschaft. Der Angeklagte im Wehrhahn-Prozess, der allen Prozessbeobachtern als der Täter gilt, stammte aus dem Umfeld der Düsseldorfer Neonazi-Szene, die von der Stadt verharmlost und klein geredet wurde.

Immer noch wird die Gefahr, die von Rechts ausgeht, von Polizei und Justiz verharmlost. Die Urteile im NSU-Prozess sind ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Bekennende Nazis, die ein Teil des NSU waren und die die ganze Zeit während des Prozesses keine Aussagen gemacht haben, bekommen Minimalstrafen und sind nun freigelassen worden. Ein einziger der Angeklagten hat umfassend ausgesagt, geht gleichwohl aber nun für 3 Jahre in den Knast. Welch ein verheerendes Zeichen an die Naziszene, die nun einfach weitermachen kann (und weitermachen wird) mit ihren Morden – ohne einschneidende Strafen fürchten zu müssen.

Die Parallelen zum Prozess in Düsseldorf gegen den Attentäter vom Wehrhahn-Anschlag sind offensichtlich. Auch hier ist zu befürchten, dass das Gericht ihn trotz aller auf ihn deutenden Beweise und Indizien freisprechen wird. Umso wichtiger ist es, dass wir Zeichen setzen gegen Rechts, gegen Nazis, gegen rechten Populismus, gegen Hetze, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus. Immer wieder, und wieder, und wieder. Und das wir nie damit aufhören dürfen.

Es liegt an uns allen, ein Klima in der Stadt herzustellen, in der Neonazis keinen Fußbreit bekommen. Wir setzen uns ein für eine Stadt der Solidarität, für eine antifaschistische Stadt, in der niemand Angst haben muss vor Antisemitismus und Rassismus.“

Redebeitrag Düsseldorfer Antifaschistinnen und Antifaschisten – Menschen aus verschiedenen Gruppen in der Stadt, die gemeinsam schon mehrfach auch zum Wehrhahn-Prozess Stellung bezogen haben, etwa am ersten Tag des Strafprozesses am Landgericht Düsseldorf, Ende Januar 2018.

„Liebe Freundinnen und Freunde,

achtzehn lange Jahre ist es her, dass an dieser Stelle eine Bombe explodierte und zwölf Menschen teilweise schwer verletzte. Auch wenn es heute in erster Linie um die Betroffenen geht, müssen wir auch auf den Prozess eingehen. In wenigen Tagen wird der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter, der wegen zwölffachen versuchten Mordes angeklagt ist, zu Ende gehen. Es steht zu befürchten, dass er nicht verurteilt wird. „Im Zweifel für den Angeklagten“, wie es im Amtsdeutsch heißt.

Wir, Düsseldorfer Antifaschistinnen und Antifaschisten, haben schon die Freilassung des Beschuldigten aus der Untersuchungshaft als Skandal betrachtet. Jetzt läuft der mutmaßliche Attentäter frei herum. Was einmal passiert ist, kann wieder passieren. Wir sehen es als erwiesen an, dass er den Anschlag verübt hat, ob alleine oder mit wem auch immer.

Mit dem Ende des Prozesses ist das Thema Wehrhahn-Anschlag dann vorläufig juristisch abgeschlossen.

Für die Betroffenen wird es das nicht sein. Und wenn es keine Verurteilung gibt, dann gibt es auch keinen Täter und damit auch keine Aufklärung des Attentats.

Mitverantwortlich dafür ist auch die Düsseldorfer Polizei, die vor achtzehn Jahren schlampig gearbeitet hat. Der Tatort wurde nicht ordentlich gesichert, die Überwachung des jetzigen Angeklagten wurde nicht lang genug durchgeführt. Die offizielle Hausdurchsuchung fand erst Tage nach dem Anschlag bei dem Angeklagten statt, und das, nachdem ihn zwei Beamte des Staatsschutz Düsseldorf bereits durch eine oberflächliche Begehung seiner Wohnung quasi vorgewarnt hatten. Die Ermittlungsarbeit der Polizei weist eine Reihe unerklärter Schwächen und Pannen auf. Schwächen und Pannen, die nun dazu führen, dass das Gericht die Indizienkette als nicht eindeutig betrachtet. Zeugen der Staatsanwaltschaft, denen der Angeklagte die Tat gestanden hatte, wurden vom Gericht als unglaubwürdig abgestempelt. Kleinere Widersprüche von Zeuginnen und Zeugen aus dem Umfeld des Angeklagten wurden besonders dann hervorgehoben, wenn sie belastende Aussagen abschwächten. Laut Medienberichten wurde eine Zeugin, eine Ex-Partnerin des Angeklagten, im Laufe des Prozesses vom Angeklagten bedroht und unter Druck gesetzt – eine Tatsache, die vor Gericht klein geredet wurde. Mal wieder wird ein Nazi von einem Gericht mit Samthandschuhen angefasst und man fragt sich, was denn noch an Indizien und Beweisen vorliegen muss, damit dieses Gericht den Angeklagten verurteilt. Ein wirkliches Interesse am Aufklären des Anschlags können wir im Verhalten des Gerichts nicht sehen.

Auch deshalb fordert die Prozessbeobachtungsgruppe NSU-Watch NRW einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der alles, aber wirklich alles zu diesem Anschlag aufklärt und veröffentlicht. Denn viele Fragen sind weiterhin offen.

Fragen, die wir schon am Anfang des Prozesses gestellt haben. Ihre Beantwortung hätte mit zur Aufklärung des Verbrechens führen können. Diese Chance wurde vertan. Das ist nicht nur juristisch fatal! Wir finden, die Aufklärung ist gegenüber den Betroffenen eine moralische Verpflichtung!

Warum wurde in der Anklageschrift das Motiv Antisemitismus nicht aufgenommen? Mehrere der Betroffenen des Anschlags waren jüdischen Glaubens. Das antisemitische Gedankengut des Angeklagten trat im Prozess deutlich zu Tage. Eine weitere wichtige Frage lautet: Was wussten der NRW-Verfassungsschutz und der V-Mann im Umfeld des Angeklagten? Und warum wird dieses Wissen bis heute unter Verschluss gehalten? Im Prozess spielte das Thema Verfassungsschutz nur am Rande ein winzige Rolle. Da lässt Raum für viele Spekulationen. War der Angeklagte wirklich nur ein Einzeltäter? Und was wusste die örtliche Naziszene über den Anschlag? Im Laufe des Prozesses wurde deutlich wie gut der Angeklagte in der damaligen Düsseldorfer Naziszene und darüber hinaus vernetzt war und wie aktiv sie damals war. Das alles steht im deutlichen Kontrast zu den damaligen Aussagen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und nicht zuletzt der Stadtoberen, dass Düsseldorf kein Nazi-Problem habe. Eine These, die im übrigen auch heute wieder vertreten wird. Wir Düsseldorfer Antifaschistinnen und Antifaschisten reagierten damals kurz nach dem Anschlag mit einer Demonstration mit mehreren Tausend Menschen gegen den faschistischen Anschlag und wir forderten die Untersuchung nach rechtsradikalen Motiven. Es waren damals nur wenige Ratsmitglieder anwesend. Die Stadt reagierte mit Schweigen und stahl sich aus der Verantwortung.

Obwohl der Anschlag damals internationale Aufmerksamkeit auf sich zog und kurzfristig auch der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einen „Aufstand der Anständigen“ forderte – hauptsächlich wohl, weil er Angst um das Ansehen Deutschlands im Ausland hatte –, ist von dieser Aufmerksamkeit und diesem Anspruch, Aufmerksam gegen Rechts zu sein, in Düsseldorf quasi nichts geblieben.

Hilfe für die Betroffenen gab es damals so gut wie gar nicht. Den von NSU-Watch NRW geforderten Untersuchungsausschuss gibt es nicht, viele Fragen blieben und bleiben offen.

Nur weil es nach so vielen Jahren zum Prozess gegen einen Beschuldigten kam ist dieser Anschlag heute überhaupt wieder Thema. Wir schließen uns der Nebenklagevertreterin an und fordern die Stadt auf, in einer angemessenen Form mit einer Gedenktafel an diesem Anschlagsort an das Attentat zu erinnern und vor allem sichtbar zu machen, was hier vor so vielen Jahren geschah.

Wir alle dürfen dies nicht vergessen, auch deswegen stehen wir heute hier.

Kein Vergeben, kein Vergessen.“

Redebeitrag der Opferberatung Rheinland (OBR), einer Beratungsstelle, die Betroffene, Überlebende, Angehörige und Freundinnen und Freunde von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt unterstützt.

„Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

das Gerichtsverfahren um den sogenannten Wehrhahn-Anschlag steht nun kurz vor einem Urteil.

Vor diesem Hintergrund kommt es in der medialen Berichterstattung zu einer regen und zweifelsohne zwingend notwendigen Diskussion um den Tatverdächtigen, in deren Rahmen bereits viel Aufklärungsarbeit geleistet werden konnte. Zudem werden die Versäumnisse staatlicher Stellen kritisiert und hinterfragt.

All dies finden wir wichtig und unabdingbar. Dennoch ist es in diesem Kontext besonders wichtig, den Blick auch auf die Perspektive der Betroffenen zu richten und sich mit ihnen zu solidarisieren!

Aus unserer Erfahrung als Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt wissen wir, welche enormen Belastungen Gerichtsprozesse für die jeweiligen Betroffenen mit sich bringen können.

Die Betroffenen erfahren, das die erlebte Gewalt erneut Thema wird, häufig, ohne dass bei der Art der Berichterstattung daran gedacht wird, wie Betroffene sie empfinden könnten und was das Wieder- und Wiederberichten mit ihren Erinnerungen macht. Der Medienaufmerksamkeit sind Betroffene nicht selten zwangsweise ausgesetzt, können sich darin oft nur als fremdbestimmt erleben. Hierdurch können die selbstgewählten Bewältigungsstrategien nachhaltig unterbrochen werden. Insbesondere dann, wenn wie in diesem Fall, eine so lange Zeitspanne zwischen der Tat und der Eröffnung des Gerichtsverfahrens liegt.

Die Befragung als Zeuge oder Zeugin vor Gericht kann sowohl für direkt Betroffene, wie auch für indirekt betroffene Zeuginnen und Zeugen von Gewalt und Angriffen, eine enorme Belastung darstellen, die vor allem durch die erneute Konfrontation mit den Täter*innen aber auch durch die erneute Verbalisierung der erlebten Gewalterfahrung hervorgerufen werden kann.

Besonders problematisch wird es, wenn beispielsweise durch Fragen der Verteidigung der Täter*innen eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet, den Betroffenen also selbst die Schuld an der Tat zugewiesen wird. Dies ist besonders bei Fällen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt leider keine Seltenheit.

Besondere Bedeutung hat für viele Betroffene die Thematisierung des politischen Motivs der Tat. Sie erwarten vollkommen zu Recht, dass Tatmotive wie Rassismus oder Antisemitismus während eines Prozesses klar und deutlich benannt und in der Urteilsbegründung berücksichtigt werden, um damit den eigenen Erfahrungen Anerkennung zu verleihen. Solche politischen Dimensionen der Tat bleiben jedoch in der Praxis häufig unbeachtet, was bei den Betroffenen oft als eine nachhaltig belastende Abwertung wahrgenommen wird.

Mit Blick auf den Wehrhahn Prozess finden wir es daher besonders kritikwürdig, dass während des Prozesses deutlich wurde, dass unter anderem aufgrund massiver Ermittlungsfehler der damals zuständigen Ermittlungsbehörden voraussichtlich kein Täter verurteilt werden kann.

Unsere Gedanken und unsere Solidarität gelten daher den Betroffenen: Wir schließen uns der Forderung der Nebenklage nach der Errichtung einer Gedenktafel am Anschlagsort an. Diese Forderung stellt ein Mindestmaß von Anerkennung und Wertschätzung gegenüber den Betroffenen dar.

Der Prozess um den Wehrhahn Anschlag zeigt somit wieder einmal, dass die unmissverständliche und bedingungslose Solidarität mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt immer und überall von Notwendigkeit und Bedeutung ist.

Solidarisieren wir uns also mit den Betroffenen und unterstützen sie in allen Belangen sofern dies gewollt ist! Beobachten wir genau das Agieren staatlicher Behörden und kritisieren es, falls notwendig!

Danke.“

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