Institutioneller Rassismus, (k)ein Thema für den PUA? – Ein Kommentar

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Samstag, 16. Januar 2016: Drei Tage nach den bewegenden und erschütternden Aussagen von Elif und Gamze Kubaşık, Witwe und Tochter des achten NSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık, vor dem Parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschuss (PUA) in NRW, stellt sich dessen Vorsitzender Sven Wolf (SPD) im Kölner Schauspielhaus den Fragen des interessierten Publikums. Die Gesprächsrunde am frühen Samstagabend geht der Aufführung des Theaterstückes „Die Lücke“ voraus, das sich kritisch mit den Ermittlungen zum Nagelbombenattentat auf der Kölner Keupstraße auseinandersetzt und zugleich auf die rassistischen Zustände in Behörden, Polizei, Politik, Medien – aber auch in unserem Alltag und unserer täglichen Begegnung miteinander aufmerksam macht.

Moderiert wird die Diskussion von Thomas Laue, dem Dramaturgen des Schauspielhauses Köln. Zum Einstieg beschreibt der PUA-Vorsitzende die Ziele des Ausschusses und beteuert den Willen des PUA zur Aufklärung. Als eines der wichtigsten Probleme, die anzugehen seien, sieht Sven Wolf die nicht funktionierende Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz, Staatsschutz und Polizei auf Bundes- wie auf Landesebene. Schon bevor Thomas Laue die Diskussion mit dem Publikum eröffnet, prasseln Dutzende von Fragen, vor allem zu den Themen Verfassungsschutz und institutioneller Rassismus, auf den Sozialdemokraten ein. Ein Vabanquespiel für Sven Wolf, denn viele Fragen drehen sich naturgemäß um eine Bewertung des bisherigen Verlaufes der Arbeit des Ausschusses. Doch dieser steckt zur Zeit noch mitten in der Beweisaufnahme. Erst zur parlamentarischen Sommerpause wird der Ausschuss mit seinem Abschlussbericht beginnen. Wolf kann und darf Einschätzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt also nicht vorwegnehmen. So umschreibt der Vorsitzende meist nur, weicht aus und macht Andeutungen.

Eine unbefriedigende Situation für die interessierten und gut informierten Zuhörer_Innen. Hauptsächlich drehen sich die Fragen darum, wie der PUA mit dem institutionellen Rassismus, einem der zentralen Punkte, der vor allem Opfer und Opferangehörige betrifft, umgeht. Konkret wollen sie wissen, ob und inwieweit institutioneller Rassismus bei den Ermittlungen und der politischen Zuordnung der Taten eine Rolle gespielt hat und wie die Mitglieder des PUA das beurteilen. Doch mit dem Begriff des institutionellen Rassismus kann oder will Sven Wolf offensichtlich nicht wirklich etwas anfangen. Angesprochen auf die Thematik, erwidert er immer wieder, man könne das „nicht pauschal sagen“ und „als Tatsache nicht stehen lassen“. Als Begründung führt er u.a. an, dass er selbst im Austausch mit vereinzelten Vertreter_innen von Institutionen wie Polizei und anderen Ermittlungsbehörden stehe und diese Personen dem vorgeworfenen Bild nicht entsprächen, also keine Rechtsradikalen seien. Daher gäbe es, seines Erachtens, kein Problem mit institutionellem Rassismus. Was bei seinen Aussagen deutlich wird ist vor allem, dass der Vorsitzende mit dem Begriff des institutionellen Rassismus einzelne Neonazis oder Rassist_innen verbindet, die innerhalb der Behörden sitzen. Den Einwurf aus dem Publikum, dass er anscheinend nicht begreife, was institutioneller Rassismus bedeute, versucht Sven Wolf an sich abprallen zu lassen, indem er erklärt „das könne sein, er sei ja nur Jurist“. Eine Antwort, die einige Zuhörer dazu veranlasst, demonstrativ den Saal zu verlassen.

Vor weiteren kritischen Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum wird Sven Wolf durch den Einlassbeginn zum Theaterstück „Die Lücke“, das sich u.a. um diese Thematik dreht und im selben Saal aufgeführt wird, gerettet.Unseres Erachtens nach ist das Verleugnen von institutionellem Rassismus durch den PUA-Vorsitzenden zynisch gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Zudem ignoriert er damit auch die Erkenntnisse und Empfehlungen, die sowohl im Abschlussbericht des ersten NSU- Untersuchungsausschusses des Bundes 2013 als auch im ersten Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss erkannt und benannt wurden – obwohl auch diese Abschlussberichte den Begriff des institutionellen Rassismus nicht gebrauchten.

Sollten alle Obleute des PUA diese Einstellung ihres Vorsitzenden teilen, drängt sich eine wesentliche Frage auf: ob der PUA den Auftrag, den er sich gestellt hat, in aller Konsequenz die „Untersuchung eines möglichen Fehlverhaltens nordrhein-westfälischer Sicherheits- und Justizbehörden einschließlich der zuständigen Ministerien und der Staatskanzlei und anderer Verantwortlicher betreffend“ (Drs.16/7148), überhaupt erfüllen will? Sollte die Untersuchung von „Fehlverhalten“ sich allein auf „Ermittlungsfehler und -versagen“ reduzieren, ohne eine intensive Analyse der Ursachen und Hintergründe ist wirkliche Aufklärung und eine tatsächliche Veränderung innerhalb des Staatsapparates zum Scheitern verurteilt.

Denn bei dem Begriff des institutionellen Rassismus geht es um Vorurteile, die das Handeln soweit beeinflussen, dass Menschen, von Staatsbehörden diskriminierend und herabwürdigend behandelt, seelisch sowie körperlich verletzt oder ermordet werden. Bei institutionellem Rassismus, geht es nicht um den Rassismus einzelner Personen, sondern um eine systemimmanente Form von Rassismus. Er ist in allen Bereichen der Gesellschaftsstruktur vorhanden und muss daher sowohl erkannt, thematisiert als auch bearbeitet werden. Dies ist der erste Schritt in Richtung Überwindung von Ausgrenzung und Stigmatisierung bestimmter Gesellschaftsgruppen.

Rechtsterroristische Taten und Täter, wie die des NSU, sind nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Es gibt sie seit Jahrzehnten. Auch deshalb ist die Aufarbeitung und Analyse von institutionellem Rassismus ein wesentlicher Bestandteil, Aufklärung voranzutreiben. So zieht sich Institutioneller Rassismus wie ein roter Faden nachweislich durch alle Ermittlungsakten. Er wird von Betroffenen des Nagelbombenanschlages auf der Keupstraße und von den Hinterbliebenen der NSU-Mordopfer in ihren Schilderungen deutlich benannt. Ihre Beobachtungen oder Vermutungen auf fremdenfeindliche bzw. rechtsradikale Täter wurden nicht ernst genommen. Stattdessen wurden sie selbst über Jahre verdächtigt, beschuldigt und observiert.

Eindrücklich schildern sie, in welcher Form sie seitens der Behörden von Opfern zu Tätern gemacht wurden und unter welchen, zum Teil traumatischen Folgen sie aufgrund dessen noch immer leiden müssen. Gamze Kubaşık, die Tochter des ermordeten Dortmunders Mehmet Kubaşık, hat das mit eindrücklichen Worten unterstrichen: ihr sei „nicht nur der Vater genommen worden“, sondern auch, aufgrund der jahrelangen Unterstellungen „ihr Stolz und ihr Leben“. Die Verantwortlichen dafür hat sie in ihrer Befragung vor dem PUA klar benannt: die ermittelnde Polizei. Was die Betroffenen fordern hat Elif Kubaşık, die Witwe von Mehmet Kubaşık, vor dem Ausschuss ganz deutlich benannt: eine Aufklärung in allen Details.

Vor diesem Hintergrund ist es für uns ein absolut falsches Signal, den Anteil von institutionellem Rassismus am „Versagen“ der Behörden zu negieren. Die Betroffenen der Anschläge und Morde haben all ihren Mut und ihre Kraft aufgebracht vor dem PUA auszusagen, trotz ihrer Erfahrungen mit dem Staat und seinen Institutionen. Umso wichtiger, dass die Abgeordneten und Regierungsvertreter_innen die Zielsetzung des PUA ernst nehmen. Aufklärung können derzeit nur noch die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse aller beteiligten Länder leisten. Die Hoffnung auf Wahrheitsfindung im Rahmen des Münchener NSU-Prozesses haben Betroffene, wie auch eine breite Öffentlichkeit, längst aufgegeben.

Gerade auch deswegen muss der NSU-Untersuchungsausschuss in NRW alles daran setzen, seinem Versprechen, das er den Angehörigen der Ermordeten und den Betroffenen der Anschläge gegeben hat, nachzukommen. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen des Ausschusses in NRW sind für die Betroffenen der NSU-Taten und ebenso für die gesamte Gesellschaft, essenziell wichtig. Wenn dieser Auftrag für den NSU-NRW-PUA in dieser Legislaturperiode nicht zu erfüllen sein sollte, dann in der nächsten. Ein guter Anfang und das richtige Zeichen in Richtung der Betroffenen wäre, anstatt von vereinzelten Phänomenen zu sprechen, die Tatsache des institutionellen Rassismus beim Namen zu nennen.

 

*** Nachtrag: Bei der Sitzung des PUA am 17. Februar 2016 fragte der Vorsitzende Sven Wolf den anwesenden Sachverständigen nach dessen Definition von institutionellem Rassismus. Dieser erläuterte den Begriff unter mit dem Beispiel von angeblich „verdachtsunabhängigen“ Polizeikontrollen, bei denen Personen ausschließlich aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert werden. Es scheint, als hätte die Diskussion im Schauspielhaus beim Vorsitzenden das Bedürfnis erzeugt, sich über den Begriff des institutionellen Rassismus auszutauschen.

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